Kolumne: Look At All Those Idiots
Die "Simpsons" tun nichts für die Arbeiter, stellen aber die wirklich wichtigen Fragen.
Mein Gott. Außerirdische! Fresst mich nicht! Ich habe Frau und Kinder. Fresst die!
Homer Simpson
Ich liebe natürlich Lisa. Aber Lisa zu lieben ist einfach. Lisa hat eine wunderbare Sternenfrisur, eine ideale deutsche Stimme und kann fantastisch Saxophon spielen. Aber jetzt ist einer gekommen und sagt, wir dürften weder Lisa noch überhaupt einen ihrer Anverwandten lieben.
James A. Wallace hat etwas gegen die "Simpsons", weil die Serie trotz aller Sticheleien gegen Kommerz und Konzerne doch nur die traditionelle, bürgerliche Ideologie propagiere. In seinem Buch über die "Simpsons und die Philosophie" macht sich der Englischprofessor Wallace daran, den vermeintlich subversiven Humor der Serie aus marxistischer Sicht zu entlarven. Dieser "Mix aus literarischen Bezügen, kulturellen Anspielungen, selbstreflexiven Parodien, grobschlächtigem Humor und absurd-ironischen Situationen" sei eben postmodernes Fernsehens, das die Interessen jener Klasse bediene, "die die wirtschaftliche Macht über die Massen innehat und ihnen T-Shirts, Schlüsselketten, Essensdosen und Videospiele verkauft."
Vielleicht hat Mr. Wallace sogar recht. Vielleicht sollte man tatsächlich von einer Serie wie den Simpsons erwarten, dass dort bürgerliche Ideologie und repressive Werte in Frage gestellt werden; dass sie den Glauben an den Kapitalismus als einzig mögliches System ad absurdum führt. Stattdessen werde dort aber, so Wallace, nur genau das untergraben, was einer linken Weltanschauung nahe kommt.
Er verdächtigt die Autoren geradezu, eine politische Stellungnahme unbedingt vermeiden zu wollen. Die Idee des Klassenkampfes würde ins Lächerliche gezogen und jeder, der auch nur einen Hauch revolutionären Bewusstseins zeige, fiele am Ende einer Folge doch wieder zurück in Anpassung und Akzeptanz der Zustände, wie sie nun mal seien. Statt, dass die Autoren mit der Arbeiterklasse sympathisieren, würde die - Homer ist das beste Beispiel - nur als faul, ungeschickt, ungebildet und unmoralisch hingestellt. Man denke nur an das Schild in einer Autoshow : "Wir grüßen die amerikanischen Arbeiter - jetzt schon 61 Prozent drogenfrei."
Ich gebe nicht nur zu, dass ich das Schild spontan ganz klasse fand, sondern auch, dass mich Wallace Vorwurf nachdenklich gemacht hat. Die ganzen letzten Jahre, ja, man muss sagen Jahrzehnte, hatte ich mir keine Gedanken mehr über die Arbeiterklasse gemacht. Außer, wenn sie gut aussah und lecker roch - aber das kann man nicht wirklich als echtes Interesse werten.
Ja, und es gibt ja wirklich etwas bei den Simpsons, was diese verlogene, amerikanische Idylle hochhält. Dieses schreckliche "trotz alledem" das von den Waltons bis zu den Clintons alle vereint und auch den Simpsons als Happy-Ending-Mantra dient. Ja, man kann die Serie auch als zynisch-bourgeoise Satire sehen, die uns vom ernsthaften Nachdenken und der Kritik an den herrschenden Zuständen abhalten möchte. Wie ein Schlag traf es mich: Ich habe nahezu 15 Jahre lang unter meinem Wertekodex gelacht. Und plötzlich fühlte ich mich sehr schuldbewusst und hätte darüber fast eine Folge ausgelassen - ausgerechnet die, die außer Marxisten weder Evangelikalen noch Katholiken gefallen haben dürfte, weil sie nicht nur zeigt, wie gut es einem (Homer) geht, der Sonntags statt in die Kirche zu traben, lieber im Bett bleibt und dazu noch Besuch von Gott bekommt, sondern in der Homer Gott nach dem Sinn des Lebens fragt, dessen Antwort aber durch den Abspann abgeschnitten wird.
Genau das zeigt allerdings auch, wie recht Mr. Wallace mit seiner Kritik hat, wenn er sagt, die Simpsons gediehen so gut, weil sie das Leid nicht ernst nehmen. Ist Homer nicht nur deshalb so ein Idiot, da er den Sinn des Lebens nicht kennt und einfach alles ausprobiert, was ihn dorthin führen könnte?
Schnickschnack, weiß Wallace. Bei den Simpsons bliebe nur der Witz, nichts sei wirklich wichtig und "alles, was fest ist, zerschmilzt in Gelächter". Vielleicht ist es aber auch gut, wenn das, was fest ist, in Gelächter zerschmilzt. Vielleicht lieben wir die Simpsons genau dafür, dass sie uns (abgesehen von dem familienzusammenführenden "trotz alledem") daran erinnern, dass es kaum Antworten gibt, die über "krieg ich was zu essen, wenn ich Hunger habe" hinausgehen, und dass am Ende tatsächlich alles, was fest ist, in Gelächter zerschmilzt. Wenn wir Glück haben.
Vielleicht ist es genau der Umgang mit dieser schnöden Erkenntnis, der einen heiteren Buddhisten von einem missbilligenden Marxisten unterscheidet. Womit wir ganz elegant zum Besuch des Dalai Lama überleiten könnten, den Homer übrigens auch verehrt. Wie sollte er auch nicht jemanden bewundern, der da sagt: "Schlaf ist die beste Meditation."?
Es ist übrigens erstaunlich, dass unglaublich viele Popstars bei den Simpsons aufgetreten sind - selbst Bob Dylan! Er antwortete dort sehr ausführlich auf die Frage, zu welcher Religion er onvertieren wird, nuschelte aber so, dass man kein Wort verstand. Nur der Dalai Lama kam nie. Homers kleine Tochter Lisa jedenfalls würde sich freuen, ein Satsang mit dem Meister aus dem Himalaya erleben zu dürfen, womit wir doch noch mal wieder zu Mr. Wallace und seiner erbitterten Simpsons-Kritik zurückkehren.
Was Wallace so besonders ärgert ist ja die fehlende Vision einer besseren Welt und die Unmöglichkeit für den Zuschauer, sich mit einer der Figuren zu identifizieren, weil deren Charakterfestschreibung auch schon mal zugunsten einer guten Pointe fallen gelassen würden. Aber ist das nicht alles genau so wie im wirklichen Leben? Fehlen uns dort zwar nicht die Visionen der besseren Welt, allein, mit der Umsetzung scheitert man doch immer an einem: dem Menschen und seinem unumstößlichen Bewusstsein, dass alles erlaubt ist, solange es ihm und den Seinen nur gut tut.
Bei Homer kommen manchmal nicht mal die Seinen mehr vor, das ist nicht nett, zugegeben. Aber denken wir doch nur an Lisa und ihren einsamen Kampf, meistens auf verlorenem Posten, für das Gute und den Vegetarismus! Entspricht das nicht wahrhaftig der Realität? Ist das nicht diejenige, mit der gerade wir taz-Leser uns alle identifizieren, und geben uns die Autoren der Serie nicht immer wieder, trotz aller guten Pointen Grund dazu? Sind wir nicht im tiefsten Herzen so weise, melancholisch und erkenntnishungrig wie Lisa. Und wenn nur nicht Homer und der böse Atomstromkapitalist Mr. Burns um uns herum wären - die Welt wäre ein schönerer Ort?
Auf all die diffizilen Fragen, die uns im Leben beschäftigen, hat der Marxismus keine befriedigenden Antworten gefunden. Die Simpsons auch nicht, aber sie greifen die Fragen immer wieder auf, werfen sie in die Luft, jonglieren mit ihnen und lassen die Hälfte fallen, zerschreddern sie in Witzen, zerpflücken sie in Kalauer, vergessen sie beim Fernsehen und töten sie mit Junk Food, lassen sie wieder auferstehen und alles, was fest ist, in Gelächter zerschmelzen. Es gibt keine Alternative.
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