Kolumne: Monster oder Moralist?

Wir leben nicht in Frieden. Unsere Wafffen sind bei den meisten Kriegen weltweit dabei. Über eine Begegnung mit einem Waffenlobbyisten.

Vor längerer Zeit, als Student, war ich in eine Frau verliebt, an die ich mich kaum entsinne, doch habe ich ihren Vater noch in guter Erinnerung. Oder besser gesagt: in schlechter Erinnerung. Was mich an ihm störte, solange wir uns ausgiebig und manchmal hitzig austauschten, blieb mir auch im Gedächtnis haften: Ich konnte mich nicht entscheiden, ob er ein kultivierter Mensch war oder ein Monster.

Für das eine sprach etwa, dass er viel las aus verschiedenen Fachgebieten, sich Zeit nahm, das Gelesene zu durchdenken. Zudem kümmerte er sich um seine Familie und war von einer vorzüglichen Höflichkeit. Andererseits war er Vertriebsleiter eines der führenden Rüstungsunternehmen des Landes. Und er verfügte über alle notwendigen Argumente, wieso dies moralisch nicht fragwürdig, sondern im Gegenteil geradezu gesellschaftlich dienlich und menschlich notwendig sei.

Eine moralische Diskussion ist nur dort zwingend notwendig, wo die herrschende Meinung keinen Bedarf an ihr erkennt. Sein Neugeborenes zu erschlagen ist grauenvoll, aber wir sind uns alle einig über die ethische Bewertung einer solchen Tat. Selbst der Täter würde, zu Sinnen gekommen, sein Verbrechen kaum rechtfertigen können. Eine moralische Diskussion ist dort nötig, wo ein Paradox wahrgenommen wird, das einer klaren Bewertung oder gar Verurteilung im Wege steht. Eine vermeintliche "Ja-und-nein"-Situation, um es in den Worten von Petrus Abaelard zu sagen.

Bei Rüstungsunternehmen und Waffenhändlern ist das Nein allerdings gegenwärtig nur sehr leise zu hören, was vielleicht damit zusammenhängt, dass weltweit ein Waffenrausch ausgebrochen ist, an dem auch deutsche Firmen hervorragend profitieren. Die Bundesrepublik exportierte letztes Jahr Waffen im Wert von 3,85 Milliarden Dollar (im Vorjahr waren es nur 1,5 Milliarden). Besonders gut stehen wir bei Kleinwaffen da, die bekanntlich von Kindersoldaten, Gangstern und Folterknechten benutzt werden. Jedes Mal, wenn wir das Wort "Menschenrechte" aussprechen, wird irgendwo auf der Welt eine Salve aus einem von uns hergestellten Gewehr, ein Schuss aus einer deutschen Pistole abgefeuert - von den Minen, die weltweit Bauern und spielende Kinder zerfetzen, ganz zu schweigen. Während wir uns selbstzufrieden mit "Freiheit" beweihräuchern, wird die Brutalisierung der Welt mit unserer Wertarbeit vorangetrieben.

Das habe ich damals dem Vater meiner Freundin vorgehalten und er hat geübt geantwortet:

Erstes moralisches Argument: Wenn wir es nicht tun, tun es andere, und bei uns geht es wenigstens kontrolliert und ziemlich unkorrupt vonstatten. Ins normale Leben übersetzt: Herr Richter, hätte ich diesen Unbekannten nicht umgebracht, hätte es ein anderer getan, und ich habe es wenigstens schmerzlos, sauber und unter Hinzuziehung eines Priesters erledigt.

Zweites moralisches Argument: Hunderttausende Arbeitsplätze hängen davon ab, somit der allgemeine Wohlstand, somit die soziale Sicherheit und somit Freiheit und Frieden bei uns. Ins normale Leben übersetzt: Herr Richter, der bewaffnete Raubüberfall war nötig, um die Haushaltskasse zu füllen, denn nur wenn ich über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, bin ich satt und sorglos und somit friedlich. Mit anderen Worten, mein Verbrechen garantiert Ihre Freiheit, Herr Richter.

Drittes moralisches Argument: Die militärische Forschung wirft enorme Fortschritte für den Zivilbereich ab. Ins normale Leben übersetzt: Herr Richter, ich musste zuerst als Fälscher arbeiten, um die Technik zu entwickeln, mit der ich dann später meine eigenen Meisterwerke bewerkstelligen konnte.

Ein weiteres moralisches Argument ist schon so oft verwendet worden, dass es ganz abgegriffen ist: Waffen schrecken ab, die Lieferung von Waffen an einen bestimmten Staat sichert den Frieden in der Region. Sie verstehen doch gewiss, Herr Richter, da wir den Blauen gestern Panzer geliefert haben, müssen wir morgen den Roten zur gegenseitigen Abschreckung auch einige Panzer zur Verfügung stellen, wobei wir schon mit der blauen Seite in Verhandlung stehen, ob sie uns nicht einige unserer neuen Kampfflugzeuge abnehmen.

Merkwürdig. Wenn Waffen tatsächlich Frieden garantieren, müssten nicht immer weniger von ihnen produziert und verkauft werden?

Das letzte und wohl infamste Argument lautet: Das Ziel heiligt die Mittel. Mit Waffenlieferungen und Armeeeinsätzen werden wir die Welt verbessern. Eigentlich hätte dieses leninistische Motto spätestens am Ende des letzten Jahrhunderts diskreditiert sein müssen, aber offensichtlich muss man die Diskussion von Neuem aufrollen und daran erinnern, wieso diese Überzeugung so gefährlich ist. Wer das Böse mit den Waffen des Bösen besiegen will, trägt nur dazu bei, dass das Böse fortbesteht. Ins Konkrete übersetzt: Die Militärindustrie giert nach immer größeren Aufträgen.

Nach dem Kalten Krieg wurde im Rahmen weitreichender Budgeteinsparungen auch der Verteidigungsetat in den meisten Nato-Staaten gekürzt. Bevor sich der Bürger über diesen wirklichen Fortschritt freuen konnte, erklangen schon Stimmen wie die eines amerikanischen Generals, der davor warnte, das Militär zu schwächen. Es gäbe noch ganz viele schlimme Diktatoren in der Dritten Welt, und die Vielzahl der lokalen Herausforderungen würde eher einen höheren Etat bedingen.

Weltweit wurden im vergangenen Jahr 1.204 Milliarden US-Dollar für Rüstung ausgegeben. Davon fast die Hälfte von den USA (529 Milliarden), 59 Milliarden von Großbritannien und 53 von Frankreich. Russlands Militärbudget ist zwar von 42,5 Milliarden Dollar (1992) auf 13,6 gesunken (1998). Bis letztes Jahr stieg es jedoch wieder auf 34,7 Milliarden Dollar an, Tendenz steil nach oben. Bei den führenden Waffenexporteuren ist Russland an zweiter Stelle, alle anderen führenden Lieferanten sind in der Nato. Eine wirklich friedliche Zukunft ist also nur möglich, wenn gerade die Nato-Staaten - "demokratisch und fortschrittlich", aber auch auf dem Waffenmarkt dominierend - den Teufelskreis hoher Militärausgaben und massiver Rüstungsexporte durchbrechen.

Regelmäßig wird über die längste Friedensphase unserer Geschichte gestaunt, über die gut sechzig Jahre seit dem Weltkrieg. Doch inzwischen sind Bundeswehrsoldaten in mehr als einem Dutzend Ländern tätig, und mit deutschen Waffen wird in den meisten der zwei Dutzend Kriege gekämpft, die momentan weltweit vorherrschen. Deutsche Gewehre töten Kinder in Westafrika, deutsche Waffen zerfetzen Zivilisten in Afghanistan. Wir leben nicht im Frieden, wir sind als Mittäter an Kriegen beteiligt, die von einer Grausamkeit und Sinnlosigkeit sind, die uns den Schlaf rauben würden, wenn wir mal genauer hinsehen und über unsere Mitschuld nachdenken würden. Es wird höchste Zeit, dass wir den Frieden erklären, indem wir weniger Waffen produzieren und keine Waffen exportieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.