piwik no script img

KolumneHerr Ren, die Fifa und der Moloch

Unser Sport-Redakteur ist in China. In Schanghai. Dort wohnen die Fifa-Funktionäre im höchsten Wolkenkratzer und Herr Ren erklärt alles zur Frauenfußball-WM.

Gut, dass wir Peter haben. Peter weiß alles. Er heißt eigentlich Ren Ying Jian. Herr Ren also, denn in China beginnt man mit dem Nachnamen. Herr Ren führt deutsche Journalisten durch Schanghai. Er hat uns gesagt, dass die Weltmeisterschaft im Frauenfußball am Montag losgeht, nur noch einmal zur Sicherheit. Herr Ren hat, als wir die Trasse des Transrapid, der in China Maglev heißt, vom Flughafen aus in die Stadt passierten, erklärt, dass die Magnetbahn mit einer "Temperatur von 430" über die Schienen rast. In nur acht Minuten ist man über 30 Kilometer weit gefahren, direkt in die urbane Hölle Schanghai. Kostet auch nur ein paar Euro.

Herr Ren heißt beruflich Peter, weil sich die Deutschen seinen Namen nicht merken. Das könnte daran liegen, dass Schanghai verstörend auf Europäer wirkt. Die Stadt ist ein Moloch, eine große Übertreibung, ein monströser Megamoloch also. Über zwölf Millionen Menschen leben hier. Endlich wird klar, was mit dem Wort Ballungsraum gemeint ist. 13.000 Leute bevölkern einen Quadratkilometer - eine klaustrophobische Bevölkerungsdichte herrscht hier. Hochhaus steht an Hochhaus, als hätte jemand sehr großzügig Beton gepflanzt und nur darauf gewartet, dass die Saat aufgeht und in die Höhe schießt. Es ist eine Rekordernte Beton, die Schanghai in diesem Jahr einfährt. In Pudong, dem Eliteviertel der Hochhäuser, stehen Wolkenkratzer von über 400 Meter Höhe. Von oben schaut der Reisende auf tausende anderer Hochhäuser, staunt und fühlt sich ein wenig erhaben, weil er in dieser Stadt der Schluchten plötzlich den Überblick hat. Herr Ren hat uns auf das Riesenhochhaus geführt, er selbst ist erst 22 Jahre alt und schon in guter Position bei der staatlichen Tourismusgesellschaft.

Herr Ren hat die Reisegruppe auch zur großen Pressekonferenz des Fußballweltverbandes geführt. Die Funktionäre der Fifa wohnen inmitten der größten Wolkenkratzer, wie es sich für die Weltenlenker des großen Fußballgeschäftes gehört. Ihr Hotel heißt Shangri La. Der Chef der Frauenfußballabteilung der Fifa ist Herr Makudi, kommt aus Thailand und redet belangloses Zeug. Anders die Chefin des chinesischen Organisationskomitees, Frau Shu. Sie versichert, dass China alles getan habe, um eine umweltfreundliche WM hinzubekommen. Das Rauchen im Stadion wurde verboten. "Das ist sehr gut für die Luft", sagt Frau Shu und nickt freundlich. Da hat sie bestimmt recht, genauso wie Herr Makudi, der auf die Frage, warum das Eröffnungsspiel der Deutschen gegen Argentinien und auch das Finale nur in einem eher kleinen Stadion in Schanghai stattfinden, antwortet: "Weil wir das so beschlossen haben." So eine klare Ansage kommt gut an in China, das alles tut, "um die beste WM aller Zeiten" auszurichten, ein Championat, "das eine größere Herausforderung als Olympia" darstellt, wie Frau Shu sagt.

Damit die Herren von der Fifa in wohliger Umgebung ihre Begrüßungsworte loswerden, hat das Shangri La das Klima beeinflusst und für eine Temperatur von gefühlten zehn Grad gesorgt, was ein bisschen happig ist, sind es draußen doch bei einer gewissen Schwüle an die 30. Die dunstige Hitze macht Herrn Ren nichts aus, noch nie sah man einen Schweißtropfen auf seiner Stirn, was wohl daran liegt, dass unser Führer schlimmere Erfahrungen mit dem Wetter hat. Im Sommer, bestätigt der SZ-Wirtschaftskorrespondent in Schanghai, könne man nicht vor die Tür treten, weil das Shirt sofort klitschnass geschwitzt sei. Viele flüchten dann in klimatisierte öffentliche Busse, müssen aber für diesen Service mehr zahlen als im stickigen Normalbus.

Wir zahlen nicht, und obendrein haben wir noch den Herrn Ren. Für uns Reisende, die mit staunenden Augen auf Schanghai blicken, greift er wie zum Trost in seinen kleinen Fundus deutscher Sprichwörter und sagt: "Alla Anfang iste schwä."

*Im getrübten Wasser fischen (altchinesisches Kriegsstrategem)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!