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KolumneHausdurchsuchung? KSZE!

Kolumne
von Kerstin Decker

Die SPD beendete den rhetorischen Kalten Krieg - ein bleibendes Verdienst.

Es gibt Dinge, die macht man einfach nicht. Wer zum Beispiel die SPD lobt, ist nicht mehr ganz ernst zu nehmen in den Augen seiner Mitmenschen, und selbst die größten Nullen entwickeln sofort eine Art intellektuelles Überlegenheitsgefühl. Ältere Herren Ost fangen dann manchmal sogar an zu singen: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!"

Loben wir also die SPD! Warum nicht im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls die These wagen: Mauerfall und Wiedervereinigung sind nicht zuletzt ihr Verdienst! Ja, mehr noch: Die Einkehr des zivilen Tons in Ost und West verdanken wir den Sozialdemokraten! Und wer die DDR und ihre Feindesrhetorik kannte, weiß nichts so sehr zu schätzen wie den zivilen Ton.

Irgendwann Anfang der Neunzigerjahre hieß der Rostocker Bahnhofsvorplatz plötzlich Konrad-Adenauer-Platz. Mich hat das geärgert. Allein dieser bellende Kalte-Krieger-Ton, in dem Adenauer von der "Soffjetzone" sprach! Ohnehin blieb die Sprache der neuen Demokraten West noch lange die alte, nur der Feind hatte gewechselt. Zu Beginn der fünfziger Jahre hatte der Rias einen Auftrag für seine Hörer im Osten: "Achtung! Achtung! Wir sprechen zur Sowjetzone. Achtet auf den Arbeiterverräter, den Banditenführer Garbe mit seinen Trabanten. Schlagt ihn, wo ihr ihn trefft!" Der "Banditenführer" war nur ein Arbeiter, der auf seine naive Weise die Hoffnung des Sozialismus ganz ernst genommen hatte: So gut wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben! Und so arbeitete er für zwei, für drei.

Solange der Westen klang wie er klang, waren die herrschenden Kommunisten der DDR beruhigt. Schlagt ihre Führer tot!, lautete schon 1918 der Auftrag an alle braven Bürger. Und er wurde erfüllt, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg überlebten die Jagd nicht lange. Es ist schwer, Kommunist zu sein ohne Klassenfeind. Solange Adenauer regierte, hatte auch Ostberlin irgendwie recht.

Natürlich fühlt sich jeder Schulbuchdemokrat an dieser Stelle provoziert - selbst von Spiegel-TV weiß man es doch besser. Der Beitrag "Deutschland im Kalten Krieg" zeigt Aufnahmen der Moskauer Militärparade vom Juni 1945 - das Land mit den Millionen Kriegstoten feierte den Sieg über Hitler -, und Spiegel-TV kommentiert die waffenstrotzenden Bilder: "Stalin ist entschlossen, seinen Machtbereich über ganz Europa auszudehnen … und seine Schergen sind fest entschlossen, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen." Gerade so hatten die Nationalsozialisten den Überfall auf die Sowjetunion begründet. Das am Boden liegende, ausgeblutete, schon vor Kriegsbeginn fast unregierbare russische Riesenreich - die Hauptbedrohung Westeuropas? Es gehört schon eine Portion Dummheit oder Demagogie dazu, das zu behaupten, nur weil der eigene mehr oder minder offene Vernichtungswille nicht ins demokratische Selbstbild passt.

Aber dies soll keine Schmäh-, sondern ein Lobrede werden. Das Lob der Sozialdemokraten im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls. Jedes Lob braucht einen Kontrastgrund. In der letzten Woche gedachten wir des ersten großen Lochs im Eisernen Vorhang. Und dieses ungarische Loch wiederum ist nicht denkbar ohne eine mehr als fünfzehn Jahre zurückliegende Konferenz. Und diese Konferenz ist nicht zu denken ohne den Regierungsantritt der SPD. Es war die "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", deren Schlussakte 1975 in Helsinki unterzeichnet wurde.

Fortan geschah Merkwürdiges. In den mitunterzeichnenden Ländern Osteuropas bildeten sich Menschenrechtsgruppen wie die "Charta 77" in der Tschechoslowakei. In der DDR stieg die Zahl der Ausreiseanträge sprunghaft an. Zwar wussten die Ostdeutschen wie alle widerrechtlich Inhaftierten, dass sie ein Recht auf Freiheit haben. Aber jetzt konnten sie dieses Grundrecht vor dem eigenen Staat zitieren, denn dieser war leichtsinnig genug gewesen, jene Schlussakte zu unterzeichnen. Damit war die DDR dem Geltungsraum der Menschenrechte beigetreten. Was Mitte der siebziger Jahre begann, wurde in den Achtzigern zur Massenbewegung. Noch keinen Ausreiseantrag gestellt zu haben, war am Ende der DDR unter Jugendlichen mindestens genauso ehrenrührig wie eine DDR-Jeans zu tragen. Auch traf die Volkspolizei mitunter auf ganz neue Widerstände, wenn sie etwa die Absicht äußerte, eine Wohnung zu durchsuchen. Unter Hinweis auf die Schlussakte von Helsinki bedauerten Mieter, dies keinesfalls gestatten zu können.

Die "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" war das trojanische Pferd, das die europäische Sozialdemokratie hinter die Verteidigungslinien des Feindes entsandt hatte. Des Feindes? Sagen wir richtiger: des Gegners. Denn die neue Ostpolitik der SPD machte ernst mit der Demokratie, insofern sie eine Kultur des Umgangs bedeutet: dem Gegenüber nicht von vornherein alle Legitimität abzusprechen. Hier begann der zivile Ton, um schließlich in den Herbst 89 zu münden, in das Paradoxon einer Revolution der Zivilisten.

Diese Überlegenheit des Westens, seiner demokratischen Form war zwingend: Sie entmächtigte die Feindesrhetorik der regierenden Kommunisten der DDR - plötzlich schien sie wie aus der Zeit gefallen und zumal den Jüngeren vor allem eins: lächerlich. Vielleicht sollte man erwähnen, dass es sich bei dieser höchst folgenreichen Konferenz nicht um eine Idee der westlichen Sozialdemokratie gehandelt hatte. Der Vorschlag kam, seit den fünfziger Jahren immer wieder erneuert, aus dem angeblich so aggressiven Osten, doch war er - vor dem Regierungsantritt Willy Brandts - immer wieder an westlichen, insbesondere bundesdeutschen Widerständen gescheitert.

Geschichte ist das, was jede Absicht durchkreuzt, vor allem die eigene. Sie besitzt einen bemerkenswerten Sinn für Ironie und Ungleichzeitigkeiten aller Art: Jeder weiß, das Revolutionsvolk Ost konnte 1989 die soeben errungene Autonomie gar nicht schnell genug wieder loswerden, legte sie aber nicht der SPD in die Hände, sondern den anderen. Und sofort begann der Kalte Krieg aufs Neue - nun auf dem Leichnam des einstigen Gegners.

Aber was machte das schon, wenn man ihn täglich wieder neu gewinnen konnte?

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6 Kommentare

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  • EB
    Ein Brandenburger

    Da haben doch einige der Kommentatoren diese feine ironische Kolumne mit einer Geschichtstunde à la Guido Knopp verwechselt und ihr Gehirn abgeschaltet.

     

    Frau Decker ist keinesfalls eine "junge TAZ-Erfolgsjournalistin" sondern eine erfahrene Journalistin und Buchautorin.

     

    Vielleicht sollte die taz solche Artikel demnächst extra kennzeichnen damit sich Menschen ohne Geschichts- und Humorverständnis nicht unnötig daran abarbeiten und die alten Feindbilder weiterhin pflegen können.

    Unter diesen Gesichtspunkten sind einige Kommentare einfach peinlich.

  • JP
    Joachim Petrick

    Das Tragische an der Agenda 2010/Hartz IV schockerstarrten SPD ist doch nicht, dass sie nicht gelobt wird, sondern mit Lob, wie dem Lob der der „Entspannungspolitik“, des „KSZE- Prozesses„ der „Deutschen Einheit 1990“ politisch nichts anfangen will.

    Ihre gewagte These: „Mauerfall und Wiedervereinigung sind nicht zuletzt ihr Verdienst! Ja, mehr noch: Die Einkehr des zivilen Tons in Ost und West verdanken wir den Sozialdemokraten“

    entwickelt den Charme von Cafe Kranzler Damen- Kränzchen mit ausladendem Hut am Ku- Damm, Ecke Joachimsthaler Straße

    “Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben, den mit Kinnbart!“.

    Mit der gelebten Geschichte hat Ihre These nur marginal zutun, waren es doch die einstigen Knallchargen des Kalten Krieges in der Frontstadt Westberlin, Willy Brandt, sein Sekundant Egon Bahr vom RIAS, die großkoalierend, gefolgt von Heinrich Albertz , Klaus Schütz, Franz Amrehn gen Osten durchaus pragmatisch vom Paulus zum Saulus wurden, um innenpolitisch brachial gegen die herangewachsene eigene Brut der 67er, 68er den forsch miltant schneidigen Oberleutnants Ton eines Helmut Schmidt, Klaus Bölling, Holger Börner als alter Dach- Latten Saulus nährend anzuschlagen und zu mehren.

    War nicht dieser militante öffentliche Ton des gesamten parteipolitischen Personals von SPD, CDU/CSU, FDP durch die parlamentarische Bank der Wegweiser zum bleiernen Herbst 1977, der Aufwertung der prekären RAF zum militanten Komplex, samt Sonder- Schwurgerichts Stuttgart- Stammheim Wahn?

    War nicht Willy Brandt der hervorragende Propagandist des Radikalenerlasses, des Berufsverbots, um eilig halbherzig die Rücknahme des KPD- Verbots von 1956 durch die Zulassung der DKP 1968 auf dem Rücken der eigenen Brut, der 67er, 68er zugunsten alter Kameraden/innen aus dem Krieg, Exil, dem Widerstand gegen Hitler sakrosankt „heilig“ zu sprechen?

    Wo ist da der zivile Ton, den Sie der damlaigen SPD unter ihre miltanten Gefolgschafts- , Partei- Sodaten/innen Röcke jubeln?

    War es nicht eher so, dass die herangewachsene 67er, 68er Brut, mit Esprit, Humor, Zivilcourage, Spass- Guerilla, hüben 6 drüben, in Deutschland wie Europa den Altvorderen in Parteien, Parlamenten, Gesellschaft, Kultur, Sport, Medien den militanten Mief und Muff von 1914- 48 aus den Partei- Talaren, - Röcken blasen musste?, was dann letzendlich erst mit der Gründung der taz 1978, der Gründung der Partei Die Grünen 1980, Bündnis 90, Neues Forum, Aufbruch Jetzt, bei uns gesamtdeutsch bis 1989 gelang?

     

    Hat nicht gegen den Willen aller Unterzeichner- Staaten der KSZE- Schlussakte, samt Warenkörbe von 1975 in Helsinki, hüben & drüben, ein neues Subjekt der Geschichte durch eine ungewollte Schwangerschaft das Licht der Welt erblickt? Nämlich die Iniation der 67er, 68er, deren Väter/Mütter die damalige Konferentzdiplomatie- Karawane (s. US- Präsident Gerald Ford/ Watergate Affäre/Amnestie von Richard Nixon/US- Präsident Jmmy Carter) war?.

     

    War die Geburt des neuen Subjekts der Geschichte, die 67er, 68er als Generationshorde mit medial fordernder und fördernder Gestaltungmacht der Baby- Boomer nicht lokal & global der wahre Treiber der imnhaltlichen Umsetzung der Schlussakte von Helsinki 1975 und nicht die SPD.

    Die SPD stand nicht im Wege, das war und ist das nicht gering zu achtende Verdienst der SPD.

    Ist es nicht auffällig, dass immer wieder versucht wird, die 67er, 68er, lokal & global, als Subjekt der Geschichte, als Blaupause für neue Genrationen mit historischer Gestaltungsmacht durch die Einmottung der Konferentzdiplomatie- Karawane, gemäß der KSZE von 1975 in Helsinki, zu marginalisieren?

    Da hege ich die Hoffnung, dass US- Präsident Barack Obama der Konferentzdiplomatie- Karawane von damals 1975 neuen Schwung auf neuen Rädern bringt.

    JP

  • BG
    Bernd Goldammer

    Unwissenheit, gepaart mit dem deutlichen Wunsch wenige Kenntnisse auch noch gezielt zu verdrehen, dass gab’s lange nicht. So sehen junge TAZ-Erfolgsjournalisten künftig also aus. Das Lied "Wer hat uns verraten“, stammt übrigens aus Zeiten, als die SPD noch auf unbewaffnete Arbeiter in Deutschland schießen ließ. Nicht gelernt? Vergessen? Oder darf man das hier nicht schreiben? Und wer hat hat die Kredite für den ersten Weltkrieg mit beschlossen? Die Geschichte der SPD ist eine lange Liste zynischen Verrats. Der Artikel entbehrt jeder Analyse: Kein Satz zu Harz IV, Jugoslawien und Afghanistankrieg. Im Übrigen kann man Egon Bahr, Willy Brand und all die anderen Politiker aus den siebziger Jahren mit heutigen Treibhaus Politikern nicht vergleichen. Fakt ist: Der Ostblock war militärisch nicht zu besiegen. Doch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften war BRD innenpolitisch wesentlich besser. Das verlangte BRD-innenpolitisch enorme Zugeständnisse im Verteilungskampf. Also musste jemand die „Ost- Opas“ langfristig einlullen, damit sie sich nicht länger gegen die Systemüberwindung durch Annäherung wehrten. Es ist kein Zufall, dass der Lebensstandart seit dem Wegfall der DDR deutlich gesunken ist. Denn hätte die BRD 1989 schon Harz IV, oder die letzte Gesundheitsreform gehabt, wäre dieser Plan klar gescheitert. Erst Ostblock beseitigen, dann nach Jugoslawien und Afghanistan durchziehen. Und den inneren Sozialabbau erledig man gleich mit. Anders hätte es aber auch nicht funktioniert. Also ist die SPD sich auch in diesem Punkt treu geblieben. Nur, wie zu sehen ist, haben das „Erfolgsjournalisten“ nie gelernt...

  • I
    Isaak

    Werte Frau Decker,

     

    ein wunderbarer Artikel, in zweierlei Hinsicht:

    - schön, dass mal einige Sachen klargestellt wurden

    - höchst interessant, wie sie rhetorisch operieren

     

    Ich schreibe gerade eine Hausarbeit unter Verwendung von diskursanalytischen Methoden und ihre Kolumne wäre da wirklich gefundenes Fressen:

     

    Wie Sie in wenigen Worten in Zusammenhang stellen, dass die "herrschenden Kommunisten der DDR" beruhigt waren, solange der Westen die Kalter-Krieg-Rhetorik verwendete, und dass 1918 die Sozialdemokraten zusammen mit den meisten anderen Parteien den Mord an R.Luxemburg und K. Liebknecht unterstützten und deckten. Das suggeriert dem Leser so schön, dass solche Opfer und damit auch ihr Mord Kommunisten gar nicht so unrecht gekommen wäre, nur um einen Klassenfeind zu haben. Finden Sie das nicht ein bisschen zynisch?

     

    Wie Sie beschreiben, die DDR das Abschlussprotokoll der KSZE "leichtsinnig" unterschrieben, als hätte man vielleicht gar nicht richtig gewusst, was darin steht, als sei habe man auf dieser Konferenz, die ohne SPD gar nicht möglich gewesen wäre, die DDR ausgetrickst, wo man sich als aufmerksamer Leser fragt, ob die DDR nicht vielleicht eher als "leichtsinnig" zu unterschreiben hatte unterstützen wollen, was in dem Protokoll steht - was dann einige Absätze weiter unten in einem eingeschobenen Satz bestätigt wird.

     

    Wie Sie behaupten, das Revolutionsvolk Ost habe die soeben errungene Autonomie gar nicht schnell genug loswerden können. Wer hat denn entschieden, dass der ursprüngliche Inhalt des Artikels 146 im GG - der darauf abzielte, dass bei der Wiedervereinigung eine Verfassung vom gesamten Volk beschlossen werde -, dass dieser Beschluss repräsentativ und nicht durch ein Plebiszit beschlossen werden würde? Das war nicht das "Revolutionsvolk Ost"!

     

    Und nochwas: Nicht nur ältere Herren Ost singen "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!". Ich komme aus Hamburg und würde einstimmen.

     

    Nichtsdestotrotz hat es mir eine große Freude bereitet, dass endlich einmal jemand darauf hinweist, dass die Wiedervereinigung nicht vorrangig ein Verdienst von Helmut Kohl ist! Eine der bedeutendsten Geschichtsverklitterungen, die es gibt. Danke!

  • I
    Isaak

    Werte Frau Decker,

     

    ein wunderbarer Artikel, in zweierlei Hinsicht:

    - schön, dass mal einige Sachen klargestellt wurden

    - höchst interessant, wie sie rhetorisch operieren

     

    Ich schreibe gerade eine Hausarbeit unter Verwendung von diskursanalytischen Methoden und ihre Kolumne wäre da wirklich gefundenes Fressen:

     

    Wie Sie in wenigen Worten in Zusammenhang stellen, dass die "herrschenden Kommunisten der DDR" beruhigt waren, solange der Westen die Kalter-Krieg-Rhetorik verwendete, und dass 1918 die Sozialdemokraten zusammen mit den meisten anderen Parteien den Mord an R.Luxemburg und K. Liebknecht unterstützten und deckten. Das suggeriert dem Leser so schön, dass solche Opfer und damit auch ihr Mord Kommunisten gar nicht so unrecht gekommen wäre, nur um einen Klassenfeind zu haben. Finden Sie das nicht ein bisschen zynisch?

     

    Wie Sie beschreiben, die DDR das Abschlussprotokoll der KSZE "leichtsinnig" unterschrieben, als hätte man vielleicht gar nicht richtig gewusst, was darin steht, als sei habe man auf dieser Konferenz, die ohne SPD gar nicht möglich gewesen wäre, die DDR ausgetrickst, wo man sich als aufmerksamer Leser fragt, ob die DDR nicht vielleicht eher als "leichtsinnig" zu unterschreiben hatte unterstützen wollen, was in dem Protokoll steht - was dann einige Absätze weiter unten in einem eingeschobenen Satz bestätigt wird.

     

    Wie Sie behaupten, das Revolutionsvolk Ost habe die soeben errungene Autonomie gar nicht schnell genug loswerden können. Wer hat denn entschieden, dass der ursprüngliche Inhalt des Artikels 146 im GG - der darauf abzielte, dass bei der Wiedervereinigung eine Verfassung vom gesamten Volk beschlossen werde -, dass dieser Beschluss repräsentativ und nicht durch ein Plebiszit beschlossen werden würde? Das war nicht das "Revolutionsvolk Ost"!

     

    Und nochwas: Nicht nur ältere Herren Ost singen "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!". Ich komme aus Hamburg und würde einstimmen.

     

    Nichtsdestotrotz hat es mir eine große Freude bereitet, dass endlich einmal jemand darauf hinweist, dass die Wiedervereinigung nicht vorrangig ein Verdienst von Helmut Kohl ist! Eine der bedeutendsten Geschichtsverklitterungen, die es gibt. Danke!

  • T
    thomsen

    Was soll die Provoziererei?

     

    Dass Stalin kein Waisenknabe war, sollte sich bis in die TAZ herumgesprochen haben. Dass die SPD sich grosse Verdienste um den Abbau der Spannungen in Europa erworben hat, auch.

     

    Das Problem vieler SPDler und anderer "Linker" war aber leider, dass sie irgendwann nicht mehr so richtig unterscheiden konnten zwischen "friedlicher Koexistenz" und "Friede Freude Eierkuchen". Das zeigte sich dann an den merkwürdigen Kommentaren zur Solidarnosc und zum Kriegsrecht in Polen.

     

    Wenn irgendetwas den Wendepunkt in der Geschichte des Sowjetblocks (bitte, den "Sov'etsky Chelov'ek" hat sich doch nicht die westliche Propaganda ausgedacht, und die Lager auch nicht) bedeutete, dann die Solidarnosc: weil hier das erstemal eine Volksbewegung entstanden ist (ca 10 Millionen Mitglieder auf dem Höhepunkt), die zum System offen "nein" sagten.

     

    Und die SPD? Viele haben einfach nur dumm geguckt. Willy Brandt sicherlich nicht - aber manch anderer, z.B. viele Jusos.

    Erhard Eppler fing damals in einem Interview gleich von Nicaragua an, um nicht über Polen zu sprechen. So wie man Anfang der 70er Jahre froh war, von Chile anzufangen, um Prag 1968 zu vergessen.

     

    Die Behauptung, die Sowjetunion sei für Westeuropa keine Bedrohung gewesen, ist ziemlich abenteuerlich: sie war es nicht, weil die Amerikaner sich ihr entgegenstellten (siehe Berlin-Blockade).

     

    Finnland z.B., das gezwungenermassen "neutral" war (aus Gleichgewichtsgründen war es deshalb Schweden auch) hat Flüchtlinge aus der UdSSR wieder zurückgeliefert - warum wohl? Hat da etwa jemand Druck ausgeübt? Und warum waren z.B. Norwegen und Dänemark lieber mit Deutschland zusammen in der NATO, statt neutral wie ihre östlichen Nachbarn?

     

    Dass Adenauer kölsch "bellend" gesprochen habe, ist mir auch neu. Ich habe Brandt und seine Ostpolitik gewählt, und mochte Adenauer, seine Rhetorik und seine Politik überhaupt nicht - aber ich glaube, auf kölsch kann man gar nicht "bellen". Trotz "Ostpolitik" habe ich mir wenig Illusionen über die UdSSR und ihr Anhängsel DDR gemacht.

     

    Spätestens seit dem Erscheinen des "Archipel GULAG" konnte sich jeder selbst informieren über das, was allerdings schon seit den 50er Jahren denjenigen bekannt war, die es wissen wollten.

     

    Die "Ostpolitik" war trozdem richtig, und hat zur Auflösung der Blöcke beigetragen. Aber sie hat leider auch für Verwirrung in manchen Köpfen gesorgt.