piwik no script img

KolumneIst der Chef da?

Kolumne
von Hilal Sezgin

Das Gegenteil von Unsichtbarkeit ist Anerkennung. Das ist eine schier unendliche Ressource, die wir immer dabei haben.

M erkel bleibt. Das war klar. Eher überrascht mich, dass ich - obwohl ich mich in den letzten Monaten oft über sie, ihren Wahlkampf und ihr so offensichtlich strategisches Vorgehen geärgert habe - auch etwas wie Vergnügen darüber empfinde. Bei dem Versuch zu verstehen, warum, erinnerte ich mich daran, wie vor einigen Wochen eine Schornsteinfegerin bei mir klingelte. Und sie fragte: "Ist der Chef da?" Ich sei mein eigener Chef, antwortete ich. Vor ein paar Tagen kam ein Mann aus dem Nachbarort; eine Freundin, die zu Besuch war, öffnete die Tür. Er fragte, ob "jemand" da sei.

Schulterzuckend holte sie mich. Und schließlich erinnerte ich mich an frühere Szenen, die sich bisweilen im grafischen Büro meiner damaligen Zeitung abspielten. Dort arbeiteten mehrere Frauen und, als Chef, ein Mann. Mehr als einmal durften die Kolleginnen, wenn der Chef gerade im Hause unterwegs war, erleben, wie jemand den Kopf durch die Tür steckte, hin und her schaute und vor sich hin murmelte: "Keiner da."

Derart die eigene Unsichtbarkeit vorgeführt zu bekommen, ist gleichermaßen verblüffend wie verletzend. Im Fall der Schornsteinfegerin und des Manns aus dem Nachbardorf ist sie offensichtlich gegendert - man wollte den Herrn des Hauses sprechen, jemanden, der verbindlich Auskunft geben kann. Was die Unsichtbarkeit der Grafikerinnen angeht, hat sie sicher auch mit dem Geschlecht zu tun, wäre aber unter anderen Umständen genauso denkbar. Wenn man sich eine Frau oder einen Mann von einer Reinigungsfirma in dem entsprechenden Büro vorstellt, hätten die vorbeikommenden KollegInnen sicher ebenfalls von einem "leeren" Büro gesprochen. Wenn aber jemand die Putzkammer öffnete und den Chefredakteur darin fände, würde er nicht sagen, dass niemand darin sei, weil es eine offensichtliche Respektlosigkeit wäre. Jemandem unbekümmert ins Gesicht zu sagen, dass er oder sie nicht da sei, funktioniert nur im Fall von Frauen, Kindern und Statusniedrigeren.

Bild: hilal sezgin

Hilal Sezgin lebt als Publizistin in der Lüneburger Heide.In ihrer letzten Kolumne kritisierte sie den Reflex, Forderungen nach Schutz vor rassistischen Anwürfen gerne mal als Zensur abzutun. 2008 publizierte sie mit Nasr Hamid Abu Zaid: "Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam".

Im Fall von uns Frauen korrespondiert diese Unsichtbarkeit als Person paradoxerweise mit einer verstärkten Sichtbarkeit als Körper. Alles Mögliche wird mit vorzugsweise jungen und schönen Frauen dekoriert und beworben - die Hotelhalle, der Empfang, der Servicecenter, das neue Handymodell, die Fernreise, der Ferienkurs. In Werbepausen und auf Plakaten sehen wir lächelnde Frauen, während in den Nachrichten meist männliche Experten, Firmen- und Personalchefs Auskunft geben. Wer glaubt, dass die Gleichberechtigung in Deutschland auch nur annähernd hergestellt sei, braucht nur mal ein, zwei Tage lang eine private Statistik über Kassiererinnen, Kindergärtnerinnen, Busfahrer und Computerfachleute zu führen. Man muss nicht viel über Mittelwert und Streubreite wissen, um festzustellen, dass unsere Welt total gegendert ist. Und genau deshalb ist es nach wie vor wohltuend, eine Kanzlerin zwischen all den Trägern dunkler Anzüge zu sehen. Von den vielen Frauen, die aufbrechen, sich einen Platz "an der Spitze" zu erobern, hat immerhin sie es geschafft, für jeden sichtbar. Mehr noch: Sie hat die ersten vier Jahre überlebt.

Keine Ahnung, wie. Schließlich begegnet uns das paradoxe Paar Unsichtbarkeit & Körperlichkeit nicht nur in Werbung und freier Wirtschaft, sondern auch in der Sphäre vermeintlich rein inhaltlicher Diskussion. Empirische Forschungen zeigen, dass die tatsächliche Redezeit einer Frau als deutlich länger eingeschätzt wird als die - genauso lange - Redezeit eines Mannes. Hält er auf der morgendlichen Konferenz einen Monolog von vier Minuten, ist das normal. Spricht sie anderthalb, rutschen die Kollegen bereits ungeduldig auf den Stühlen herum. Trägt sie aber ein Kleid (statt der gewohnten Hosen) oder einen Ausschnitt, wird dies gelegentlich kommentiert werden, nicht unbedingt abschätzig. Man sieht sie halt - jetzt. Vorhin, im Grafikbüro, war niemand da.

Vermutlich wäre es peinlich, in einer Konferenz die Stoppuhr zu zücken. Es ist ja bereits unangenehm, in einer U-Bahn dem Typ nebenan mitzuteilen, dass man (frau) auch etwas Sitzfläche bräuchte. Er setzt sich hin, klappt die Beine auseinander, als ob er wer weiß was für ein Geschlecht hätte, und unsereins faltet die ihren (Beine) artig und platzsparend übereinander, bis sie fast vom Sitz fällt. So fest kann oder will frau ihre Beine gar nicht gegen die des Unbekannten drücken, dass er wieder beiseiterückt. Meist funktioniert es sowieso nicht: So aggressiv sich die Frau vorkommt, wenn sie das ihr zugewiesene Territorium beansprucht, so ungeniert ragt er über die Mittellinie hinaus. Unheimlich schwierig, sich die Hälfte auch nur des Sitzes zurückzuerobern, von der Hälfte des Himmels und der Erde ganz zu schweigen!

Als die Nichtfeministin, die sie ist, wird uns Merkel zu Quoten nach skandinavischem Vorbild leider nicht verhelfen. Dennoch besitzen wir auch als Privatpersonen eine Waffe gegen diverse Formen von Geschlechterungleichgewicht. Das Gegenteil von Unsichtbarkeit ist Anerkennung. Und selbst wenn die anerkennende Geste eines Ranghöheren oft stärkeren Eindruck macht als die einer beliebigen Einzelperson, haben wir grundsätzlich alle Anerkennung zu geben. Hier offenbart sich eine subversive Note von G. W. F. Hegels und Axel Honneths Anerkennungstheorien: Anerkennung ist eine im Kern egalitäre und schier endlose Ressource. Die eine eingequetschte Frau kann sich zur anderen auf dem gegenüberliegenden U-Bahn-Sitz hinüberbeugen und freundlich fragen: "Haben Sie genug Platz?" (Muss allerdings damit rechnen, dass die andere heftig beteuert, sie komme schon klar.) In einer Konferenz können wir formulieren: "Wie die Kollegin XY eben vorgeschlagen hat …" - vorzugsweise, bevor männliche Kollegen deren Idee für sich reklamieren. Wir können Reinemachleute höflich grüßen. Damit werden deren ökonomische Benachteiligung, ihr niedriger Status nicht ausgeglichen. Aber es gibt ein wirksames Mittel, das wir alle stets dabei haben, und eine spezifische Form der Missachtung, die mit Anerkennung hier und jetzt zu heilen ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

5 Kommentare

 / 
  • MW
    Matthias Warkus

    Liebe "anke", wenn Ihr Beispiel mit der Katze nicht ein so prominent auf den Kopf stellbares wäre (Luise F. Pusch lässt grüßen: "Sie sind heute die einzige Kundin mit einem Kater"), könnte man Ihren Beitrag fast ernst nehmen. Aber auch nur fast.

  • AC
    ab cd

    Liebe Feministen und Feministinnen,

    kapiert doch bitte endlich, dass diese Bundeskanzlerin, welchen Geschlechts auch immer, an diesem Problem überhaupt nichts ändern wird, im Gegenteil!

  • G
    Gabriele

    Liebe Frau Sezgin, vielen Dank für Ihren Artikel, der mich zutiefst deprimiert hat. Weil alles wahr ist. Es hat sich nichts geändert. Ich finde sogar, das Übersehen und das Missachten haben zugenommen. Schlau schlau: Jetzt muss mann sich nicht mehr mit Frauen zanken, sondern gesteht ihnen Gleichberechtigung, Führungspositionen, etc. eben zu. Um die Frauen dann zu ignorieren und so weiterzumachen wie bisher. Und das Problem, das nicht in Ordnung zu finden - tja, das liegt dann wohl eher bei den Frauen selbst. Also bei einigen. Andere finden es ja völlig in Ordnung so, wie es ist. Und so lange die so denken wie oben genannteR Katze/ Ex-Kater und ihnen lediglich wichtig ist, dass für ihr Lieblingsfutter gesorgt ist, bleibt das auch so. Bloß nicht irgendwas anderes! Wo kämen wir da auch hin? - Oh Mann bzw. oh Frau! *schäm*

  • E
    Edda

    Aus dem Herzen gesprochen!

    Ich war mehrere Jahre die Vorgesetzte eines ansonsten fast durchgängig männlichen Kollegiums und arbeitete (im Gegensatz zu den Mitarbeitern) als einzige im Büro. Ich wurde von Besuchern, Handwerkern, Polizisten, neuen Kunden meistens für die Praktikantin, die Verwaltungskraft, die Sekretärin gehalten. Klarstellungen dieses "Missverständnisses" wurden nicht selten für einen Scherz oder eine Fehleinschätzung meinerseits gehalten. Erst wenn einer der (männlichen) Mitarbeiter glaubhaft versicherte, dass ich die Vorsesetzte war, wich der Unglaube der unverhohlenen Verblüffung.

    Schönster Dialog: "Wer ist hier der Chef?" "Ich" "Ach so, also gibt es hier keinen Chef"

  • A
    anke

    Seltsam! Ausgerechnet eine Schornsteinfegerin erkundigt sich nach dem Chef. Wo doch nicht einmal das Rechtschreibkorrekturprogramm von Microsoft Word, das sonst eigentlich ganz brauchbar ist, schon weiß, dass es weibliche Essenkehrer gibt. Wie kann eine Frau, die in einem typischen Männerberuf arbeitet, gegendert sein (was immer das meint)? Wissen sie, was ich annehme, Frau Sezgin? Ich nehme an, das Problem liegt eher bei Ihnen. Vielleicht wollte die Dame in Schwarz einfach nur diejenige Person sprechen, an die die Rechnung gehen soll. Den Chef eben oder die Chefin. Und womöglich würde sie, nach ihrer Profession befragt, schlicht behaupten, sie sei Schornsteinfeger. Ich behaupte ja auch unverdrossen, ich wäre Stadtplaner. Und meine Chefin sagt von sich, sie sei Architekt. Über mangelnde Sichtbarkeit können wir im Übrigen beide nicht klagen. Im Gegenteil. So bald wir irgendwo auftauchen, werden die Leute vorsichtig in der Wahl ihrer Worte. Sicher, wenn man demonstrativ ignoriert wird, ist das eine arge Beleidigung. Das demonstrative Element allerdings ist ein sehr relatives. Es hängt sehr von der subjektiven Wahrnehmung des Einzelnen ab, ob man im Verhalten des Gegenübers eine Demonstration sehen will oder nicht. Im Verhalten ihrer Schornsteinfegerin mag ich persönlich keine Demonstration gesamtgesellschaftlicher Verziehungsleistungen sehen. Schließlich: Hätte die Gesellschaft Erfolg gehabt mit ihren Zuweisungen, hätte an jenem Tag nicht eine Frau bei ihnen geklingelt, sondern ein Mann. Und was unsere alte neue Kanzlerin angeht: Die ist wahrscheinlich Politiker. Und es ist mir völlig egal, ob irgendjemand sie für gegendert hält. Die Hauptsache ist, man bringt ihr nicht all zu viel Anerkennung entgegeg für Dinge, die sie falsch macht. Die Gefahr ist nämlich ziemlich groß, dass sie genau das dann permanent tut. Zum Vorteil der Lobenden und zum Nachteil von uns anderen, Männern wie Frauen.

     

    Ach ja, Frau Sezgin, eins wollte ich in dem Zusammenhang ganz gerne noch los werden: Meine Katze ist ein Kater. Zumindest war er mal einer. Und ich schätze, es ist ihm vollkommen egal, ob ich die männliche Form verwende, wenn ich über ihn rede. Ihm ist lediglich wichtig, dass ich sein Lieblingsfutter kaufe und nicht irgendwas anderes.