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■ KolumneAm Apparat

Mein Telefon war heruntergefallen. Ich dachte, es sei kaputt, da klingelte es. Vor Schreck lies ich es wieder fallen. „Oh, Mist, ähm, ich meine: hallo.“ Es war die Stimme meines Freundes Nago Hountohué. „Hallo, Nago, Du am...“ Ich zögerte. Sollte ich „am Apparat“ sagen? Ich sage schließlich auch nicht „Volant“ zum Steuer, zur Kellnerin nicht „Fräulein“ und trage auch keine „Galoschen“. So sagte ich: „Wir leben doch nicht mehr in den Fünfziger Jahren.“ – „Warum kommst du nicht mit in die heutige Zeit, die Bar Rossi, die feiert heute Jubiläum.“ „Oh je, Neue Mitte“ sagte ich. „Gerade Du solltest vorsichtig sein“, sagte Nago.

So stand ich zwei Stunden später mit Nago in der Bar Rossi: „Warum hast Du gesagt, ich sollte vorsichtig sein mit der Neuen Mitte?“ fragte ich Nago. „Weil Du....“ Nika kam zur Tür herein. „Nika, Du kommst spät!“ riefen Nago und ich. „Verzeiht! Aber seit ich frei arbeite, habe ich überhaupt keine Freizeit mehr. Ich stehe auf, frühstücke, und irgendwann ist es plötzlich Mitternacht. Als Freiberuflerin habe ich gar keinen Feierabend. Dann gehe ich ins Bett, bin aber so aufgekratzt, dass ich nicht einschlafen kann.“ – „Gestern traf ich deinen Ex-Freund Lennart“ meinte Nago, „der arbeitet jetzt in einer Multimedia-Agentur. Zweimal in der Woche kommt ein Masseur, es gibt einen Tischkicker, eine Sofaecke, abends leiht der Chef ein paar Videos aus, spendiert Chips und Bier, im Haus ist sogar eine Sauna. Das perfekte Modell um alle Mühe, sich vom, ähm, Arbeitgeber zu distanzieren, einfach uncool wirken zu lassen.“ – „Arbeitgeber? Da hättest Du ja gleich ,am Apparat' sagen können“ sagte ich. – „Ja, oder: Gewerkschaften“ sagte der Rockjournalist Henning Stieg, der an uns vorbei drängelte. „35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich“, rief Nika ihm nach. „Du arbeitest zuviel, weil Du keinen Chef hast, Lennart arbeitet zuviel, weil er einen hat“, sagte ich zu Nika. „Dann sind wir doch richtig in der Bar Rossi“, sagte Nago. „Aber habt ihr euch mal gefragt, warum alle Begriffe, die früher links waren, heute altmodisch wirken – und, ob das ein Problem sein könnte?“. „Wann endlich kommt eigentlich jemand auf die Idee und eröffnet die Bar Simpson?“, fragte Henning Stieg, der schon wieder an uns vorbeidrängelte.

„Hoho! Darauf: vier Gläser Unternehmerbrause für uns“, sagte Nago. „Unternehmerbrause, wie lustig“, sagte Nika. Ich ging zur Theke.

Sebastian Hammelehle

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