Kolumne Wortklauberei: Bedenklich wie ein Lämmerschwanz
Manche Leute haben keine eingebaute Qualitätskontrolle für das, was sie daherreden. Auf Fußballkommentatoren trifft das besonders oft zu. Willkommen im Floskelland.
W enn er's noch einmal sagt, schieße ich ins Radio. "Der kleine Franzose." Ich kanns nicht mehr hören. Noch einmal, und ich schieße ins Radio. Wie Elvis in den Fernseher. "Der kleine Franzose." Es ist Champions League und die Bayern spielen, und beim Rumoren in der Küche nebenher könnte man da doch recht entspannt am Radio zuhören … "Der kleine Franzose."
Ich weiß, er ist Sport-, schlimmer: Fußballreporter, und er kann wohl nicht anders. Darum ist auch klar, dass er es wieder sagen wird; man müsste drüber hinweghören. Aber es ist wie mit dem tropfenden Wasserhahn, wenn man nur noch darauf wartet, dass einem der nächste "plip" den allerletzten Nerv raubt, wenn man angestrengt hinhört, wo man eigentlich angestrengt weghören möchte, dann … "Der kleine Franzose!"
Der Reporter, nennen wir ihn HPP, ist ein alter Bekannter aus dem Radio und man ist gefasst auf seinen bieder-knautschigen, floskeldurchwirkten Redefluss. Der Reporter HPP ist einer von diesen Leuten, die – man kennt das im ungünstigsten Fall aus dem eigenen Umfeld – sich selbst nicht reden hören, die keine eingebaute Qualitätskontrolle haben für das, was sie daherreden (ich spreche vom Formalen; Inhalt ist eine andere Baustelle).
Bei manchen ist diese Kontrolle vor die Äußerung geschaltet, man hört ihnen gemeinhin gerne zu, wenige von ihnen sind Fußballreporter. Andere hören sich selbst beim Reden und haben die Fähigkeit – oder Klasse –, eine bereits ausgespuckte Torheit oder Floskel flugs zu relativieren oder korrigieren.
Ich habe den Exfinanzminister Hans Eichel immer ein Stück für voller genommen als andere Politiker, weil er im April 1999 nach seiner Wahlniederlage als hessischer Ministerpräsident gegen (brrrrrr) Roland Koch in ein Mikrofon sagte, man müsse als SPDler den Stimmenzuwachs der CDU "neidlos" - und hier hielt er inne - "oder auch neidvoll anerkennen".
35, lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.
Und dann gibt es jene, die einfach labern und die auch dann kein selbstkritischer Gedanke anficht, wenn ihre ganze Rede schon vollgesogen ist mit Floskeln, Allgemeinplätzen und zigmal benutzten Bildern. Das kann etwas regelrecht Zwanghaftes bekommen.
Der Fußballreporter HPP kann den Fußballer Franck Ribéry nicht erwähnen ohne den Zusatz "der kleine Franzose". Er kann auch nicht von einem "Unentschieden" sprechen, es ist immer ein "Remis". Und wenn's 0:0 ausgeht, war es ein "torloses Remis". Wenn der Fußballreporter HPP von Transfersummen redet, die für einen Spieler bezahlt wurden, dann hat IMMER jemand soundsoviel Geld "auf den Tisch des Hauses gelegt".
Der Fußballreporter HPP scheint das Wort "bezahlen" gar nicht mehr zu kennen, und wenn er früh vom Bäcker kommt, erzählt er seiner Frau, dass die Semmeln wieder teurer geworden sind und er jetzt 2,86 Euro auf den Tisch des Hauses gelegt hat.
Das Schlimme, besser: das Gute ist, ich hab gar nichts da, um in das Radio zu schießen. "Die Dreierkette wackelt bedenklich wie ein Lämmerschwanz", stellt HPP fest. Komisch. Ich hatte noch nie Bedenken beim Wackeln eines Lämmerschwanzes. Ich muss raus aus dieser Küche.
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