Kolumne Wortklauberei: Vielleicht hilft ja umschalten
Ein sauber herausgespieltes 4:4 gegen Schweden. Haben Sie so etwas schon mal erlebt? Zurück zur Tagesordnung.
A ch Menno! Jetzt dürfen wir schon wieder nicht zur Tagesordnung übergehen. Hat diesmal Oliver Bierhoff gesagt, nach dem sauber herausgespielten 4:4 gegen die Schweden. Die haben ja alle so was noch nie erlebt, sagen sie. Der Beckmann nicht, und der Mehmet Scholl hat so was auch noch nie erlebt. Und der Oliver Bierhoff wohl auch nicht.
Haben Sie so was schon erlebt? Man ist ja geneigt zu sagen: Wer so was schon erlebt hat, ist echt selber schuld! Also: Ich hab so was noch nie erlebt. Aber ich bin ja auch kein Fußballer, ich hab es ja noch nicht mal erlebt, auf einem regenüberfluteten Platz herumzurutschen, bis das Spiel unterbrochen wird, wo ein Mehmet Scholl natürlich abwinkt: Das habe er alles schon erlebt. Jedenfalls sind alle ganz bestürzt und sagen, das gibt’s doch gar nicht, dabei heißt es doch sonst immer, dass im Fußball alles möglich ist und dass das gerade das Tolle am Fußball ist, dass da alles passieren kann. Und wenn dann mal was passiert, dann hätte das auf keinen Fall passieren dürfen.
Und der Beckmann hatte davor noch geklagt über die „mehr als durchschnittlichen Spiele“ der Deutschen gegen Österreich und die Färöer Inseln, wobei er mutmaßlich nicht „überdurchschnittlich“ meinte, sondern das abwertend verstandene „durchschnittlich“ noch etwas ins Abwertende verstärken wollte, also eher: unterdurchschnittlich. Das machen Schwatzgeneigte ja seit einiger Zeit mehr als gerne, vor ein Adjektiv oder Adverb zu dessen diffuser Steigerung ein „mehr als“ zu kleben.
Das haut dann eben manchmal mehr als gut, vulgo: besser hin, ein andermal dann wieder nicht so gut. Und wenn sie dem Beckmann in der Kantine nicht genug Bratkartoffeln auf den Teller tun, beschwert er sich, das seien ja wohl mehr als wenig Kartoffeln, die er da erhalten habe.
ist Kolumnist der taz.
Oh mei. Jedenfalls ist jetzt nicht der Zeitpunkt, zur Tagesordnung überzugehen, obwohl da doch so viel wichtigere Sachen draufstehen als Fußballspielen oder gar Diskussionen über das Fußballspielen. Vielleicht hilft ja umschalten? Im ZDF stakst gerade Monika Gruber herum, Bayerns allerneuestes Geschenk an Fernsehdeutschland, reißt Witze über Prominente und wird dann plötzlich ernst (oder mehr als ernst) und sagt, ihr sei schon klar, dass das jetzt als „populistisch“ rüberkomme, aber sie würde die 3.000 Euro Entschädigung für den Kindsmörder Magnus Gäfgen gern auf 10.000 Euro erhöhen, wenn sie „diesem Schwein dazu noch eine reinhauen dürfte“. Das ist natürlich auch irgendwie mehr als peinlich, aber vom Ansatz her vielleicht ein Modell für die Politik, Stichwort Transparenz.
Freuen Sie sich mit uns, wenn dann Innenminister Hans-Peter Friedrich vor die Mikrofone tritt und verkündet: „Meine Damen und Herren, mir ist schon klar, dass das populistischer Oberschwachsinn ist, was ich gleich sagen werde. Aber wir müssen zusehen, dass diese ganzen Balkan-Zigeuner bleiben, wo sie hingehören, und nicht hier unseren Wohlstand gefährden, und wenn am Ende Neonazis Leute umbringen, ist das Geheule wieder groß. Das wollen wir doch nicht mehr erleben, oder?“
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