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Kolumne WortklaubereiOkkulte Remoulade

Kolumne
von Josef Winkler

„Heiß genießen“ oder „lauwarm runterwürgen“ – manchmal liegt dazwischen nur ein klitzekleiner Schritt. Gerade in Bayern.

Manch einen Snack möchte man lieber nicht essen. Bild: dapd

O hne das hier jetzt in eine Schlemmerkolumne umwidmen zu wollen, möchte ich vorausschicken: Wenn man aus München, ja: Bayern kommt und zum Nahrungserwerb zwischendurch resp. to go nicht gerade die allergschertesten Kettenbäcker oder gar den erschröcklichen Kettenmetzger aufsucht, ist man unter Umständen etwas verwöhnt, was die Qualität von belegten Backwaren vulgo Wurst- und Käsesemmeln angeht – aber eben NICHT Wurst- und Käsesemmeln, weil heute kaum noch wer einfach eine Scheibe Wurst oder einen Käse in eine Semmel legen und verkaufen mag, sondern da muss in aller Regel irgendein Gedöns von variierender Überkandidelung dazugeschmiert oder -gequetscht werden, wenn nicht gar ein Chutney …

#In jedem Fall ist man in Bayern, home of the Leberkas-Semmel, was eben die Qualität solcher Sandwichgeschichten in den Auslagen angeht, verwöhnt, ja: eingelullt bis zum Verlust der Wachsamkeit.

So lief ich großäugig wie ein Rehlein in eine Aufbackanstalt hier auf Besuch im Norden und orderte – weh mir! – eine der auf einem Anordnungsgestell in der klinikweißen Theke angeordneten runden Sandwichgeschichten, die auf einem laminierten Schildchen als „Panini’s“ im Wortsinne apostrophiert waren und die man, so das Informationslaminat weiter, „heiß genießen“ könne, dürfe bzw. solle. Die Verkäuferin, die mit ihren Kunden und ihrer Ware so herzerfrischend agierte, als würde sie viel lieber bei Hagebau im Keller Schrauben sortieren (vielleicht hätte mich ja schon der Slogan überm Eingang stutzig machen sollen: „Landbäckerei Piepenbrink: Wir verachten Lebensmittel.“ Nur Spaß) reichte mir das Brötlein nach bedenklich kurzer Aufbereitungszeit.

Bild: privat
Josef Winkler

ist Kolumnist der taz.

Ein erster Biss ließ zwei Vermutungen zu und brachte eine Gewissheit: Entweder es handelte sich bei dem vorgeblichen Panino gar nicht um etwas zum Verzehr Bestimmtes, sondern um eine Art als Semmel getarntes Aufbewahrungsbehältnis für Gurkenremoulade, oder aber dieses Ding war das groteske Ergebnis des Kochwettbewerbes „Wer bringt die meiste Remoulade in einer Semmel unter, ohne dass man von außen sieht, dass überhaupt welche drin ist?“.

Und während ich noch überlegte, ob es überhaupt vom Lebensmittelrecht gedeckt ist, Remoulade zu erhitzen, kam die Gewissheit: Zwischen „heiß genießen“ und „lauwarm runterwürgen“ ist es manchmal nur ein sehr kleiner Schritt. Das Ganze übrigens für geschmeidige drei Euro sechzig. Facebook macht arm und fett, haben Wissenschaftler gerade herausgefunden. Die Landbäckerei Piepenbrink auch.

Unsere kulinarische Tour de Force führte uns dann noch weiter in einen – wie mir glaubhaft versichert wurde – ehemals ganz angenehmen Laden, der under new management einen Gentrifizierungssschub in Richtung „Edelresto“ erfahren hat. Der Satz „Ich darf Ihnen heute den gezupften Blattsalat empfehlen“ überschattete unsere Ankunft, noch ehe wir uns an den gleichmäßig im Raum verteilten neun Kubikmetern Weihnachtsdekozivilisationsschrott sattgesehen hatten. Schwer lastete Joghurtmantsch auf dem zarten Grün. Es war wenigstens kalt.

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10 Kommentare

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  • A
    Arne

    Welcher Spinner fährt in den Norden, um dann dort ein italienisches Gebäck wie Panini mit Allerweltsingredienzien zu futtern?

    So toll sind Leberkässemmeln auch nicht, obwohl sie schon den Weißwurstäquator bis ins Ruhrgebiet überschritten haben. Hier in Norddeutschland sieht man sie glücklicherweise noch selten.

    Im südlichen Niedersachsen, das noch an Westfalen grenzt, nimmt man tatsächlich die Mettbrötchen mit ordentlich Zwiebeln drauf. Ab Friesland würde ich mal Fisch probieren. Da schmeckt ein Fischbrötchen auch besser als beim Massenhersteller. Glücklicherweise habe ich noch keine Bäckerei hier gefunden, die auf die Idee kam, ein Grünkohlbrötchen mit Pinkel anzubieten. So pervers sind die Norddeutschen zumindest in meiner Gegend noch nicht.

    Ich kann mich noch entsinnen, wie ich meine Zeit in Baden damals mit der zumeist ergebnislosen Suche nach einem Fischladen verbringen durfte. Eigentlich sollte man viel mehr wieder auf regionale Produkte zurückgreifen und dafür auch seinen Geschmackssinn ruhig regional prägen lassen. Dann ist es auch mal interressant in andere Ecken zu kommen und was anderes zu essen.

  • O
    ole

    Foto: Dosenpfifferlinge auf Lauch im Sesambrötchen?

  • S
    Strategie

    Trocken Brot und Apfel.

    Eine hervorragende Alternative auf essenskulturlosen Straßen. Sichert das Überleben, bis man wieder an einem guten Herd angelangt ist.

     

    P.S.: Äpfel gibt es natürlich auch to go!

  • D
    DasNetz_inDir

    Es ist äußerst geschmacklos in solchen Tönen, gewissenlos über Tiervergewaltigungs-Massenhaltungs-Essgewohnheiten zu schwadronieren.

  • W
    wauz

    Evolution

     

    Ganz einfach: wer nicht das anbietet, was die Kunden letztendlich kaufen mögen, verschwindet wieder. Wenn also in zwei Jahren selbige Remouladenbomben immer noch angeboten werde (was zu erwarten ist), dann haben sie genügend dauerhafte Käufer. Ich für meinen Teil finde, dass in Süddeutschland viel zu wenig Mettbrötchen angeboten werden...

  • V
    vic

    Eine Frage zum Foto: Was zur Hölle IST das???

    (Das Brötchen habe ich erkannt)

  • PM
    Peterchens Mondfahrt

    @Autor: Bitte versuchen Sie es mit Deutsch. Oder bleiben Sie in Bayern, wo grammatikalische Todsünden als Dialekt verniedlicht werden und selbst die Kleinsten schon wissen, dass Bayrisch ja eigendlich eine Weltsprache ist. Abgesehen davon: inhaltsleeres Geschwätz bei dem sich selbst das Kommentarfeld von Facebook schämen würde. Danke

  • B
    Boiteltoifel

    Iiiiiiiiiiihhhh... Der Bericht weckt alte Erinnerungen! Das Kaff, in dem ich in Norddeutschland lebe, hatte vor ca. 25 Jahren mal ein "Burger Restaurant", in dem man - wohl als kultivierte Konkurrenz zum Goldenen M - die Burger auf Porzellantellern mit Besteck serviert bekam. Als ich vor so langer Zeit noch jung, unbedarft und neugierig (soll heißen unbedarft, unerfahren und dumm) war, habe ich mir den Burger ausgesucht, der dem Big Mäc am ähnlichsten sah. Es kam ein aufgeschnittenes Rundstück, auf dessen unterer Hälfte eine flache, runde Frikadelle ruhte, die übergossen (ertränkt?) mit einer schneeweißen Gurkenremouladensoße einen starken Kontrast zur danebenliegenden nackten Oberhälfte des Rundstücks (was ich damit machen sollte, hat sich mir bis heute nicht erschlossen, dem "Koch" wohl auch nicht) bot. Der Anblick lud nicht wirklich zum Essen ein, aber ich hatte dafür bezahlt. Also schnitt ich mir ein mundgroßes Brötchen-Frikadelle-Soßenstück ab und gabelte es in den Mund... Dieses Entsetzen, als die eiskalte weiße Soße mit den Gurkenstückchen Zunge, Zähne, Gaumen berührte... Ich glaube, ich wurde ohnmächtig, denn ich kann mich nicht erinnern, was danach passierte. Ich weiß nur, daß ich das Lokal nie wieder frequentiert habe und kann Dir, armer Josef, nachempfingen, was Du erlebt hast. Mein tiefstes Mitgefühl ist Dir sicher!

  • RC
    robin c. sherwood

    Hehe! Gut beoachtet! Bei MäcBroiler & Co ist das Prinzip ähnlich, allerdings mit industrieller Homogenisierung.

    Ich empfehle während des Verzehrs die unbedingte Degusterierung des "Anstalts"-Auftrittes von Malmsheimer in "Das Wurstbrot" (bei jutuub zu finden), in dem der Niedergang der Kultur ebenfalls drastisch dargestellt wird.

  • D
    dirk

    Wunderschöner Beitrag für Qype!