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Kolumne Wir retten die WeltVerzicht, das letzte Tabu

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Karneval ist vorbei? Von wegen. Gegen den Schwachsinn unserer Wirtschaftsweise sind die Jecken sehr vernünftig. Was hilft: ewiger Aschermittwoch.

Vorbildliche Konsumkritik: Nur noch halb soviel einkaufen! Foto: dpa

K arneval ist bei uns zu Hause nicht so das Riesending. Ich bewundere ja, wie ernsthaft die Jecken ihren Spaß haben. Aber meine Familie ist wohl zu preußisch dafür. In diesem Jahr haben wir sogar einer Flüchtlingsfamilie aus dem rheinischen Krisengebiet Unterschlupf gewährt. Wie wenig wir uns in den Karneval einfühlen, zeigt dies: Schon am Faschingsdienstag, als im Fernsehen noch auf allen Kanälen die Tollitäten regierten, ging die Debatte über die Fastenzeit los.

„Letztes Jahr habe ich nichts Süßes gegessen“, sagt meine 15-jährige Tochter. „Das mache ich nie wieder.“ Ich überlegte kurz, ob es wohl gelten würde, wenn wir uns beim nächsten Flug nicht anschnallten („Fasten Seat Belt“), aber ließ es dann lieber. Die Wahl fiel aufs tote Tier – „sechs Wochen kein Fleisch, keine Wurst“, verkündete die Tochter. Zustimmung selbst beim großen Bruder. Nur unser Jüngster hatte Panik im Blick. 40 Schulbrote ohne Kochschinken? Da muss wohl ab und zu geschummelt werden.

Der größte Schwindel am Fasching ist aber, dass er nur vom 11. 11. bis Aschermittwoch dauert. Schön wär’s. Wenn man es genau nimmt, regieren die Narren eigentlich immer und überall. Donald Trump geht jetzt viermal hintereinander als Präsident. VW, Erdoğan, die AfD oder den Emissionshandel närrisch zu nennen ist stark untertrieben.

Ähnlich mit dem Fasten. Das Problem: Es ist Privatsache. Deshalb schafft es auch keiner. Das christliche Abend- und das muslimische Morgenland haben das früher radikal durchgesetzt. Und in den Gegenden, wo das noch so ist, will man nicht sein. Aber wer heute fastet, ist allein mit sich und seinem inneren Hundeschwein. Früher wurde auch gefastet, weil nach dem langen Winter schlicht nichts mehr da war oder vor Weihnachten gespart wurde. Und das ist ja heute auch nicht anders. Nach 150 Jahren Saus und Braus ist von gutem Ackerland, gesunden Ozeanen und stabiler Atmosphäre auch nicht mehr viel übrig.

Mit Low-Carb-Diät zur Dekarbonisierung

Grund genug also, dem Narr­halla des „Sofort und alles“ zur Dekarbonisierung eine Low-Carb-Diät entgegenzusetzen. Was könnte pappnasiger sein als die eigene Atemluft mit Stickoxiden und das eigene Trinkwasser durch Schweinepisse zu vergiften? Täten wir das nur zwischen November und Februar, wäre es dumm genug. Aber wir machen es an 365 tollen Tagen.

Fasten würde helfen. Aber entgegen all den Fake News von „Verlieren Sie 20 Kilo im Schlaf“: Askese tut weh. Wir brauchen dazu das verbotene V-Wort: VERZICHT. Uuuuh, ein Tabu! Wer „Verzicht“ sagt, kann gleich einpacken. Als würde man gegenüber einem Amerikaner das Unwort „Steuern“ erwähnen. Verzicht ist eng verwandt mit anderen verfemten V-Wörtern: Verbot, Vernunft, Verantwortung, Veggie-Day. Vielleicht sollten wir es gerade deshalb mal probieren. Vielen verkünden, vorauf vir voller vreude vochenlang verzichten: Tiere zu quälen, Strom zu verschwenden, uns im Stau über die anderen zu ärgern, der ganze Quatsch mit „Wachstum über alles“.

Fasten tut weh. Denn es braucht das verfemte V-Wort: VERZICHT! Ein Tabu!

Entschlacken, runterkommen, chillen, das wäre doch mal eine schöne Alternative für die nächsten Wochen. Und zwar nicht so, dass es jeder unter Gewissenskrämpfen selbst organisiert, sondern lautstark propagiert und durchgesetzt von Behörden, Schulen, Firmen, Parlamenten: sechs Wochen ohne Kohlestrom, ohne Flugreisen, ohne Aktien-Leerverkäufe. 40 Tage, eine Quarantäne, ohne T-Shirts von Primark, ohne Autofahrten unter fünf Kilometern.

Ich bin überzeugt: Die Menschen wollen den Verzicht. Man muss ihn nur gut erklären und klug verkaufen. Unser Jüngster zum Beispiel hat dann doch beschlossen mitzumachen: „Ich faste auf Schule.“ Okay, man sollte es nicht gleich übertreiben mit der Askese.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Verordneter Verzicht verhindert völlige Verwertung

     

    --oder halt auch nicht. Man könnte nämlich in Anlehnung an Faucault davon reden, dass der Verzicht längst in den höheren sozialen Strata angekommen ist. Secondhand, nachhaltige Mode (sowie überhaupt nachhaltiges alles), Dinge von wert statt beständiger Neukauf und Vegetarierin ist sowieso jede_r.

     

    Nur schade, dass das Ziel dabei auf der Strecke bleibt, denn die Unterpriveligierten (und bei genauerer Betrachtung auch die Studis unter den höheren Töchern) machen da nicht mit. Es nimmt sie ja auch keiner mit, weil Solidarität ein Fremdwort ist und die Distinktion doch bitte erhalten bleiben soll. Genau darauf läuft es auch raus, wenn man den Staat als sekulären Ersatzpartner für Ersatzhandlungen der überkommenen Religionen haben möchte. Es ist schlicht Unsinn. Zwar hübscher, fruchtbarer Unsinn über den sich trefflich nachdenken und Kritik üben lässt, wenn man weiter als bis zum moralisch bequemen Eirichten im Krisensystem nicht denken kann, will oder darf , aber eben auch Unsinn über den man einfach schweigen könnte. Helau.

  • Prima Idee. Ich bin übrigens auch sehr arm, das bedeutet aber nun wirklich in D nicht, dass man nix zu essen hat. Ausserdem isses doch gut, wenn sich die bessersituierten mit dem thema beschäftigen. Natürlich muss man sich dann auch mit der wunschwelt vieler armer menschen beschäftigen, den frustrationen, weil man sich dies und jenes nicht leisten kann. Ich muss nun am sonntag zum beispiel raus und die billige pinienholzplatte weiss streichen, damit ich endlich einen anständigen arbeitsplatz habe für meine prekär bezahlte arbeit, bohr dann holzdinger zur stütze an die wände, wo ich löcher bohren so ungern tue. Für einen schicken schreibtisch, der mir ins haus geliefert wird und bestens passt kein geld. Würde lieber spazieren gehen, das wetter ist so schön... dafür bin ich kreativ tätig und geb ein minimum aus, stecke es nicht den halsabschneidern und kriegsgewinnlern in den hals! Verzicht!!!

  • Vielleicht sollten Sie öfter in die Welt schauen, dann wüssten Sie, dass es in Deutschland allein schon Millionen gibt, die zum Fasten gezwungen sind!

    Keinen Strom, weil kein Geld, keine Heizung, weil keine Wohnung, und vom Fleisch essen o.ä. Völlereien sind diese Menschen die meiste Zeit des Monats eh weit entfernt...

     

    In Ihrer scheinbar "Gutsituierten Familie", können Sie wenigstens Frei entscheiden, ob sie auf dies oder das verzichten wollen, anderen bleibt leider nichts anderes übrig als Verzicht zu leben!!!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)
  • Verzicht als Lifestyle, das wärs.

  • Der mir angesichts Ihrs anderwo Verzapften - Weil mal begegnet -

    Eingefallene alternative Hans-Peter Duerr hat da -

    Ganz interessante gesellschaftlich-relevante Modelle aufgezeigt - gell!

    Statt - hier wieder post Karneval - Ihre allfällige pädo-Möhre zu mümmeln.

    Das wär´s doch mal - wa!;)(

    Besten Dank im Voraus.

    Normal.