Kolumne Warum so ernst?: Syrische Depression
Ich tausche meine Lampe aus, meine Musik, meine Facebook-Freunde, zumindest die patriotischen. Alles vergeblich.
I ch rief meinen Freund Djihad an und bat ihn, mich zu besuchen. Ich sagte ihm am Telefon, dass ich gerade unter starker Depression leide.
Als er meine Wohnung betrat, sagte er sofort: „Diese gelbliche Lampe ist die Ursache deiner Depression.“ Daraufhin tauschte ich die Lampe gegen eine helle, weiße aus. Meine Depression wurde damit sichtbarer und akuter als vorher.
Seine Erklärung war dann, dass meine Freundschaften die Ursache des Übels seien. Ich fragte ihn, ob er meine Freunde auf Facebook meinte. Er belehrte mich: „Mensch! Vergiss doch endlich Facebook. Wir reden hier mit einander face to face; von Mensch zu Mensch; mit Fleisch und Blut. Vergiss bitte endlich ein für alle Mal diesen Bildschirm und Facebook.“ Ich erwiderte: „Ich habe doch keine Freunde außer dir.“
Er überlegte kurz und sagte: „Jetzt hab ich’s. Dein Problem liegt in den Liedern, die du ständig hörst. Hör doch mal auf, Ilias Khader mit seinem melancholischen Gejammer zu hören. Such dir etwas Neues. Etwas Schönes; moderne syrische Lieder. Mach die Fenster auf und lass frische Luft rein. Ich löschte alle Titel von Ilias Khader von meinem Rechner und aus den Favoriten auf YouTube, öffnete alle Fenster, ließ viel frische Luft herein und hörte nur noch coole Songs. Alles vergeblich.
Mein Freund Djihad musste sich wieder anstrengen. Er dachte nach und kam nun auf die glorreiche Idee: „Sag mal! Hast du vielleicht noch irgendetwas auf Facebook, das dich an die Heimat erinnert? Das sollst du unbedingt sofort löschen. Vor allem diese Patrioten mit ihren Sprüchen.“ Gesagt, getan. Ich entfernte alle vermeintlich patriotischen Facebook-Freunde. Trotzdem änderte sich an meiner Depression nichts.
Djihad trank sein Bier in einem Zug aus und sagte: „Jetzt habe ich es aber. Du musst dich verlieben, Ja, du musst dich in eine Frau verlieben, die dich aus deiner Depression herausholt.“Ich verliebte mich in eine Frau; aber es stellte sich heraus, dass diese Frau zufällig noch depressiver war als ich. Die Vereinigung zwischen ihrer und meiner Depression unter dem hellen Schein der weißen Lampe führte dazu, dass alle Hausbewohner depressiv wurden.
Djihad war nun verzweifelt. Er machte sein drittes Bier auf und hielt kurz inne. Er sagte zu mir: „Geh doch raus. Geh einfach unter die Menschen. Vergiss alles und mach Schluss mit deiner Einsamkeit.“ Ich machte mich sofort auf den Weg in die nächste Bar.
Wie ein Cowboy trat ich die Tür der Bar mit meinem Fuß. Dabei war ich wild entschlossen, die Depression endgültig zu eliminieren. In der Bar saß ein Syrer wie ich ganz allein in einer Ecke; vor ihm standen vier leere Bierflaschen. Seine Depression war deutlich genug und scheinbar ansteckend. Denn die ganze Bar war depressiv. Ein Kantersieg für die Depression.
Ich kehrte nach Hause zurück, schraubte die gelbe Lampe wieder ein, schickte meinen Freund Djihad nach Hause, legte die Musik von Ilias Khader auf, schloss alle Fenster, machte ein Bier auf und setzte mich zu meiner Depression.
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman
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