Kolumne Unser Mann in Roskilde: Crowd-Surfen verboten
Auf-Schultern-Sitzen ist auch nicht erlaubt. Aber die Menschen mit den orangefarbenen Westen müssen niemanden gewaltsam herunterzerren. Stress macht nur das gestopfte Programm.
Samstag ist der Tag der alten Helden. Denn es spielen Neil Young, My Bloody Valentine und: Judas Priest. Ich als Spätgeborener habe vor allen dreien natürlich größten Respekt - wobei ich von Judas Priest eigentlich gar nichts kenne, abgesehen von "Breaking The Law". Der all music guide sagt: Judas Priest gibt es schon seit 1970. Wie alt sind die denn dann, bitte!? Ansonsten muss Folgendes verkündet werden: Eine Entscheidung ist gefallen! Ich werde Neil Young nicht anschauen, sondern schön zu My Bloody Valentine gehen. Es ist mir nicht leicht gefallen, aber ich habe die leise Ahnung, dass man Neil Young eher noch einmal sehen können wird als die alten Noise-Helden.
Während der Konzerte verteilen nette Menschen in orangefarbenen Westen massenweise Wasser in Plastikbechern ans Publikum. "Crowd Safety" steht auf den Westen. Bei anderen Festivals heißen diese Menschen Ordner, tragen schwarze, dicke Jacken, auf denen "Security" steht und schauen grimmig. Auf den Bechern ein Aufruf: Alkohol trocknet aus! Menschenmassen erzeugen Hitze! Trinkt Wasser!
Bisher hat noch keiner gesehen, dass ein Ordner irgendwo einen Zuschauer herausziehen musste, weil er sich daneben benommen hat. Nichts dergleichen. Crowd-Surfen ist verboten, darauf weisen große Schilder hin, und die Leute halten sich dran. Auf-Schultern-Sitzen ist auch verboten. Manchmal halten sich die Leute nicht dran. Dann richten sich die Ordner auf, zeigen mit dem Finger auf den, der auf den Schultern sitzt, und der steigt schnell wieder ab. Es funktioniert wirklich.
Man könnte sich weiterhin in Lobeshymnen ergehen auf dieses Festival, zum Beispiel stehen überall große Container herum, in die man Leergut werfen kann, dessen Pfandwert dann gespendet wird. Oder die Ampelsysteme, mit denen geregelt wird, wann man in den vorderen, abgesperrten Bereich vor die Bühne gehen kann und wann nicht. Es gibt eine Apotheke auf dem Festivalgelände und einen Cash Point voller Geldautomaten.
Am Freitag habe ich übrigens Nick Cave gesehen. Mit Grinderman, seinem Nebenprojekt. Nachdem CocoRosie mit einer viel zu leisen, viel zu schlecht beleuchteten Performance uns "schon etwas enttäuscht" Richtung Hauptbühne gehen ließen, holte Nick Cave den schmutzigsten Rock aller Zeiten raus und blies uns weg.
Um fünf spielen The Fashion, die sich überschneiden mit Joan As Policewoman, die sich mit Judas Priest überschneidet, die noch spielen, wenn The Notwist anfangen, die noch längst nicht zu Ende gespielt haben wenn man schon bei My Bloody Valentine stehen muss, nach denen man gar keine Verschnaufpause hat, weil man sich entscheiden muss zwischen Girl Talk oder Lykke Li, bevor um Mitternacht die großen Raveonettes anfangen nach denen direkt im Anschluss dann Alphabeat an der Reihe sind.
So ein Rockfestival kann ganz schön anstrengend sein.
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