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Kolumne SpäterMit Club Cola in die „Götterdämmerung“

Schaffe ich es als Mittfünfzigerin noch in ein Konzert nach 23 Uhr? Oder werde ich kulturell ausgegrenzt?

N eulich, als ich mit Christoph in der Küche saß, habe ich über das Thema gesprochen. Man müsste sich einen Ruck geben.

Ich würde zum Beispiel gerne mal ins Kaffee Burger gehen, am Montag ist da „Soul-Fun-Disco“, Beginn 23 Uhr. Soul war doch mal meine Musik. Tanzen, sich betrinken. Grenzen überschreiten. Immerhin habe ich am nächsten Tag frei, da könnte ich sogar ausschlafen. Vielleicht käme Britt ja mit, die hat keine festen Arbeitszeiten. Sie hat schon so oft gesagt, wir sollten „mal wieder tanzen“ gehen, jetzt erst recht, wo die Kinder so gut wie aus dem Haus sind.

Vor kurzem hatte ich es schon mal versucht, zur „Flittchenbar“ im Kreuzberger „Südblock“. Coole Bands, als sympathische Conférencière die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger. Gute Stimmung. Doch ich schlich mich schon vor Mitternacht davon, bevor es zum legendären „Musikquiz“ kam.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

Erschöpfung. Die Luft. Dabei hatte ich sogar einen Barhocker zum Sitzen ergattert, den ein naiver Mittzwanziger leichtsinnigerweise für einen Moment freigegeben hatte, um sich einen Drink an der Bar zu holen. Ich fand es schon ein bisschen uncool, mir gierig den Hocker gegriffen zu haben, als der junge Mann mit Glas in der Hand zurückkam und mir einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.

Ich musste an die Rentnerinnen denken bei Butter Lindner, die früher, als noch die strengen Ladenschlusszeiten galten, auch am Samstag um 12 Uhr einkaufen wollten, um das Leben um sich zu spüren.

Die Yuppies in der Schlange damals murmelten wüste Beschimpfungen, schließlich hätten die „alten Tanten“ doch unter der Woche „jede Menge Zeit“, um sich „ihre Butter“ zu holen, und müssten nicht auch noch am Samstag die Versorgung der Leistungsträger blockieren. Auch der betagte Mensch will aber dahin, wo das Leben tobt. Jedoch – die Anfangszeiten sind plötzlich wichtig. Mein Freund Winnie hatte mir vorgeschwärmt von einem Bob-Dylan-Konzert, weil es so pünktlich anfing um 20 Uhr, ohne lästige Vorgruppe und überflüssige Zugabe, die das Konzert nur verlängert hätte in die Nachtstunden hinein. Winnie hat zwar neulich auch einen Konzertabend im Club mit Nachwuchsbands bis kurz nach zwei Uhr nachts durchgehalten. Aber auch nur, weil er anschließend das Keyboard seines Sohnes im VW Passat nach Hause fahren musste.

„Oper“, sagt Christoph und geht auf meinen Monolog nicht ein. Er blättert in dem Spielplan, der am Morgen mit der Post gekommen ist. „In Dessau spielen sie im kommenden März den ’Siegfried‘. Wir sollten rechtzeitig Karten bestellen.“

Dessau. Das Anhaltische Theater. Wir haben dort schon die „Götterdämmerung“ von Wagner gesehen. Beginn 17 Uhr. Aus Reisebussen stömten die Seniorinnen ins Theater, die Damen trugen geblümte Tunikas über bequemen Hosen.

In den Pausen konnte man Schnitzel Hawai bestellen. Die Rentnerinnen waren enthusiastisch, die Aufführung wirklich sehr gut und auch wir klatschten am Ende als Jüngste in der Reihe im Stehen mit. Selten habe ich mich so jung gefühlt wie an diesem Ort.

„Klar können wir in den ’Siegfried‘ gehen“, sage ich zu Christoph. Ich werde es machen wie in der „Götterdämmerung“. In den Pausen Club Cola mit viel Koffein trinken. Dann sind vier Stunden Wagner gut zu schaffen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

4 Kommentare

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  • JN
    Jim Nadolny

    Ach Frau Dribbusch, wie deprimierend.

     

    Leider machen sie sich ja selbst zum Fossil. Ich denke ich bin so ihr Alter, um die Mitte Fuffzich. Und klar, Sie und ich und viele unseres Alters haben weniger Morgenfreizeit als etwa Studenten oder jugendliche Kellner.

     

    Aber wenn sie nicht wechgehn' und sich von der Bräsigkeit ihres Liebsten in Richtung Oper abbiegen lassen (ist ja gelegentlich auch ok) dann ist das allein Ihre Schuld, nicht die der Nachtkultur. Tja, und weil Frauen Ihres Alters leider fast alle so antriebslos sind, habe ich mir eine 20 Jahre jüngere Freundin gesucht. Auch wenn DAS manchmal anstrengend ist, zumindest muß man sie nicht zum Weggehen nötigen.

     

    Und nun Prost und nächsten Freitag spät nach Mitternacht ein paar Biere in den Kopf, irgendwo auf der Oranienstrasse.

     

    Herzlichst

    Jim

  • RB
    Rainer Baumann

    So isses!

  • P
    Paul

    Hallo Frau Dribbusch,

     

    leider kann ich Ihre Uberschrift nicht mit dem nachgereichten Text in Einklang bringen. Mir erschliesst sich schlichtweg nicht, inwiefern Sie nunmehr ausgegrenzt werden.

     

    Ich selbst (27) war bereits in Opernauffuehrungen und in Sinfoniekonzerten. Auch habe ich auf der alljaehrlichen Mayday in Dortmund Damen angetroffen, die locker mit dem Alter meiner Oma mitgehalten haetten.

     

    Auch in Ihrem Artikel kann ich diese Ausgrenzung nicht finden. Sie nahmen den jungem Mann den Stuhl weg und haben, wie zu erwarten, die entsprechende Reaktion erhalten.

     

    Das viele Konzerte und Events erst spaet Abends beginnen, liegt wahrscheinlich an der Vorliebe der jungen Menschen, was nun sicherlich eher die Zielgruppe sein duerfte, da es auch nicht die Regel ist, dass "aelter" Menschen mit der Art zu feten sich noch identifizieren koennen.

     

    Andersrum beschwert sich auch niemand, dass die Sinfoniekonzerte etc. bereits um 18 Uhr beginnen. Auch ich nicht.

     

    Von daher erschliesst sich mir leider wirklich nicht, warum Sie dahingehend ausgegrenzt werden. Viel schlimmer ist dann eher die Ausgrenzung aufgrund von Kleidung anzusehen, welche unabhaengig vom Alter und beigefuertem Geld ist. Lediglich die Annahme, dass ich mit meinen Turn- und Sportschuhen nicht zum etablierten Klientel gehoere, ist anscheinend Grund genug, dass ich bestimmte lokale nicht betreten darf (auch wenn nirgends ein Hinweis auf den gewuenschten Dresscode vorhanden ist).

     

    Gruss Paul

  • E
    elmar

    also du und stage diving??? also echt, das sehe ich nach lektuere des textes nicht mehr so richtig . . .