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Kolumne Soziale BewegungenLetzter Hort der Glaubwürdigkeit

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Während die Parteien erodieren, haben die sozialen Bewegungen das Kapital der Authentizität. Die zukunftsträchtigen Themen werden nicht mehr in den Parteien, sondern in den NGOs ausgebrütet.

D ie Grünen haben bei den letzten Europa-Wahlen europaweit gewonnen, in Frankreich gelang Daniel Cohn-Bendit ein bereits jetzt legendärer Erfolg. Doch in Österreich sind sie ganz gegen den Trend ziemlich abgestürzt. Das wirklich Erstaunliche an diesen gegenläufigen Bewegungen aber ist, dass sie dieselbe Ursache haben. Während die deutschen Grünen mit der Kandidatur von Sven Giegold, dem bisherigen Mister Attac, Aufwind bekommen haben, haben die österreichischen Grünen gerade wegen einer kolportierten Nähe zu ebendieser NGO massive Einbußen verzeichnen müssen.

Nachdem Greenpeace und Amnesty in den 80er- und 90er-Jahren die Themen vorgegeben haben, ist heute, in Zeiten der Finanzkrise, Attac die paradigmatische NGO. Das ist in Österreich nicht anders als in Deutschland. Es geht hier nicht um die unterschiedliche Beliebtheit von Attac, sondern um die Frage, wie Parteien mit NGOs umgehen können, sollen, dürfen. Die Kandidatur Giegolds war ein eindeutiger Akt, der deswegen positiv bewertet wurde: als redlicher Wechsel eines Aktivisten in die Parteipolitik und als Offenheit einer Partei neuen politischen Strömungen gegenüber.

In Österreich hingegen gab es das genaue Gegenteil: das öffentlich ausgetragene Politschauspiel einer konzertierten Absägung des bisherigen EU-Spitzenkandidaten Johannes Voggenhuber. Dieser galt als prononcierter EU-Befürworter und war einer Attac-affinen Fraktion von EU-Skeptikern ein Dorn im Auge. Die Attac-Nähe drückte sich in der Beseitigung einer anderen Position, in einem Putsch hinter den Kulissen aus. Das hat nicht nur der Partei massiv geschadet, sondern widerspricht auch allem, wofür NGOs stehen.

NGOs - das sind heute der letzte Hort für die Glaubwürdigkeit des Politischen. Während die Parteien erodieren, haben die sozialen Bewegungen - nach wie vor und immer mehr - das Kapital der Authentizität. Jugendliche, sagen die Politikforscher, vertrauen NGOs mehr als Parteien. Die zukunftsträchtigen Themen werden nicht in den Parteien, sondern in den NGOs ausgebrütet. Deshalb findet man dort auch die politische interessierte Jugend - eine Spezies, die man in Parteien schon lange nicht mehr gesehen hat. Der Grund für diese Attraktion liegt auch in der Art von politischer Beteiligung, die NGOs ermöglichen: Es ist das Selber-Tun, das Ausagieren der eigenen Affekte. Denn das Authentische von NGOs liegt darin, dass hier tatsächlich Affekte zum Tragen kommen. Der Rohstoff des Politischen sind Emotionen. Und daran mangelt es den Parteien mittlerweile gänzlich.

Waren Parteien einmal, nach dem schönen Wort von Peter Sloterdijk, "Zornbanken", so erinnern sie heute eher an den Handel mit faulen Krediten. NGOs hingegen funktionieren nicht mit gepumpten Affekten. Sie sind keine Banken, sondern Affektunternehmen, wo Emotionen von ihren Trägern selbst bewirtschaftet werden. Im Unterschied zu den Zornbanken erzeugen sie nicht so sehr einen Emotionsprofit - also keinen Zorn heckenden Zorn - als vielmehr eine Verschiebung, geradezu eine Affektwäsche: die motivierende Empörung. Wut wird ausagiert und erzeugt so Befriedigung und gutes Gewissen. Als solche wirken NGOs weit über ihren Aktivistenkreis hinaus: Sie werden zum Inbegriff eines produktiven politischen Unternehmens. Ihre Affektbewirtschaftung funktioniert auch für andere, gewissermaßen stellvertretend. So lautet ein wesentliches politisches Delegationsprinzip heute: Stellvertretung statt Repräsentation.

Deshalb ist die Verbindung zwischen Parteien und NGOs eine sehr heikle Sache. Heikel für die Bewegungen, die das Parasitieren an ihrem Emotionskapital fürchten. Eine vampirhafte Einverleibung ihrer Lebenskräfte delegitimiert solch eine moralische Politik. Die Verbindung kann aber auch für die Parteien heikel sein. Produktiv wird sie, wo sie als Offenheit begriffen wird. Sie kann aber auch den gegenteiligen Effekt haben. Wenn die Verbindung kein offenes Bündnis ist, sondern eine verdruckste Interaktion, wenn es nicht darum geht, das Spektrum zu erweitern, sondern in einen Fraktionskampf hineingezogen wird, dann kommt es statt zur Öffnung zu einer Schließung: Die Partei wird zu einer Sekte.

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5 Kommentare

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  • KK
    Klaus Keller

    Hoffentlich friedlich :Die NGO als Protestbewegung erinnern mich an die Grünen der Anfangsjahre. Daraus wurden die Bürgerinitiativen schließlich Parteien mit dem Versuch mit rechtlichen Mitteln den Protest in konkrete Handlungsänderung zu verwandeln,in Städten,Gemeinden, irgendwann in den Ländern und im Bund.

    Die Ideale der Friedensbewegung wurden aber im Bund dem Machterhalt geopfert, und heute hält man bei den Grünen das richtige festhalten am Atomausstieg für wichtiger als eine nichtmilitärische Außenpolitik Deutschlands.

    Die Friedensbewegung hatte aber mehr Leute auf die Straße gebracht denke ich und ihr Machtkampf mit dem Staat war eher anders als der der Atomkraftgegner. Ich denke an die Leute die vor den US.Atomwaffendepots saßen und sich wegtragen ließen, und die Ostermaschierer. Bei Atomkräftgegnern habe ich ander Bilder im Kopf(eher Straßenschlachten).

    Dieser gewalttätige Anteil hat mich immer erschreckt, und ich habe den Eindruck der gewaltbereitere Anteil der Grünen hat sich durchgesetzt.Siehe Abstimmungsverhalten der Grünen zu Afgahnistan.

    Wenn ich den NGO dauerhaft Erfolg wünschen soll beim wachrütteln müßen sie gewaltfrei bleiben.

    Dann können politische Parteien auch deren Themen aufgreifen und in die Parlamente tragen und Mehrheiten wachsen lassen.Gewaltätige Auseinandersetzungen bewirken eher das Gegenteil.

     

    klaus keller hanau

  • H
    hto

    Isolde Charm: "Die Kandidatur Giegolds war ein eindeutiger Akt, der deswegen positiv bewertet wurde: als redlicher Wechsel eines Aktivisten in die Parteipolitik und als Offenheit einer Partei neuen politischen Strömungen gegenüber."

     

    Mir zeigt dieser Wechsel nur, daß dieses System jeden in die absolute Verkommenheit des systemrationalen Kommunikationsmülls / der gebildeten Suppenkaspermentalität zieht, wer zuviele Kompromisse macht und keine wirklich eindeutig-wahrhaftige Alternative / Vision aufzeigen kann.

     

    "Freiheit", "Soziales", "Demokratie", usw. - die Glaubwürdigkeit ist ausserhalb der systemrationalen Schizophrenie!

  • L
    L.A.WOMAN

    @vic:

     

    Alle Deine Kommentare bisher: Zustimmung, kannst Du mir deine email Adresse durch die Redaktion mitteilen??

    Eine schöne Vorstellung, der sog. Wächterrat.

    Fakt ist doch aber: Attac gibt wöchentlich sehr gute

    Pressemitteilungen heraus, die es aber nie in die taz schaffen, gerade mal eben in die junge welt. Von anderen NGOs ganz zu schweigen, es sei denn, sie klettern auf eine AKW Kuppel, selbst diese Nachricht hat es nicht in den stern geschafft, wie ich einem entrüsteten Kommentator entnehmen musste.

    Es wird hier laut über den Iran lamentiert, aber diese Regierung sollte lieber die eigenen Übergriffe auf BürgerInnen unterlassen, die sich hier vor Ort äußern. Damit kann ich auf einen guten Artikel -ja, ausser taz von heute- hinweisen, wo Gedanken zur Tempelhof-Demo zu finden sind:

    http://www.taz.de/regional/berlin/tazplan-kultur/artikel/?dig=2009%2F06%2F24%2Fa0157&cHash=82a25e8f8d.

  • V
    vic

    Ich wünsche mir eine Mischung verschiedener NGOs mit ökologischer, humanistischer, medizinischer, und auch ökonomischer Zielrichtung als feste Größe im Bundestag.

    Ohne Parteistatus, nicht vereinehmbar, aber mit Mitspracherecht, als Wächterrat sozusagen.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Wohl und wehe der NGOs sind sehr treffend in ihrem größten Teil beschrieben.

    Seven Giengolds Kanditatur für die GRÜNEN ist etwas seltsam, da politisch die Verursacher der Deregulierung und Abschaffer der deutschen Tobin Steuer belohnt und nicht bestraft werden.

    Die GÜNEN waren am Anfang ein Gemisch aus Partei/NGOs, hieß damals Bürgerinitiativbewegung, doch schon so 30 Jahre auf dem Buckel.

    Die Parteiwerdung ist eher erschreckend.

    Also bleibt nur, den NGO-Schwung in die Quasi-Westneugründung

    der LINKEN, erfahrungsgewitzt und gewarnt,

    zu stecken.

    Da ist auch schon was Solideres an Strategie und Theorie aus der 19. Jahrhundert soziale Frage NGO Arbeiterbewegung vorhanden als damals beim Neuthemas Ökologie.