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Kolumne SchlaglochEin Quäntchen Optimismus

Daimler produziert weniger S-Klasse-Autos. Warum ist das eine schlechte Nachricht?

Bild: taz

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide.

Ich verstehe die Krise der Automobilindustrie nicht. Das ist insofern nichts Besonderes, als ich ohnehin nicht viel von Wirtschaft verstehe. Trotzdem verfolge ich die Börsennachrichten vor der "Tagesschau" und versuche mir einen Reim darauf zu machen. So habe ich also gesehen, wie der Börsenberichterstatter vor zehn Tagen alarmiert verkündete: Jetzt habe die Krise Daimler erfasst. Die Nachfrage insbesondere nach S-Klasse-Wagen sei rapide gesunken. Die Leute nähmen weniger Kredite zum Autokauf auf oder stiegen auf ein kleineres Modell um.

Nun, Autokaufkredite belasten Menschen auf Jahre hinaus. Und S-Klasse-Wagen sind Autos, die größer sind, als man zur Fortbewegung braucht. Die mehr Sprit verbrennen als unbedingt nötig. Die schneller fahren können und wollen, als auf einem Gutteil deutscher Autobahnen erlaubt. Daimler gehört nach wie vor die Marke Mercedes, und es wird nicht wenige Leute unter den Lesern geben, die aus früheren Zeiten noch eine Sammlung von abgebrochenen Sternen im Schrank haben. Diese Firma verkauft also weniger Luxuswagen - und was ist das Schlimme daran? Man schleppe jetzt bitte nicht gleich das Argument mit den Arbeitsplätzen an - wir werden noch darauf zurückkommen. Die entsprechende Meldung kam erst drei Tage später, zunächst hieß es nur: Weniger S-Klasse. Das war offenbar schlechte Nachricht genug.

Ebenso wie es überhaupt ein Anlass zur Volkstrauer zu sein scheint, wenn irgendwer nicht so viel produziert und verkauft hat wie erhofft. Das Ganze erinnert mich daher ein wenig an jene andere Meldung, die uns in zwei Monaten erreichen wird, genau wie beinah jedes Jahr: Der Einzelhandel habe weniger Umsatz gemacht als erwartet. Im Weihnachtsgeschäft. In jeder Adventszeit erinnern die einen Sender besinnlich-kritisch, dass Weihnachten ein Fest der Liebe, nicht des Kaufens sei. Die anderen Sender melden fast beleidigt, dass die Leute tatsächlich weniger gekauft haben und die Einzelhandelsmenschen sehr traurig seien. Danach wechselt man sich ab, so dass nachher jeder Sender alles ein paar Mal gesendet hat.

Oder wenden wir uns, um wieder aufs Auto zurückzukommen, nach China. Noch bis vor wenigen Monaten galt die potenzielle Motorisierung Chinas als Klimabedrohung Nummer eins. Wenige Kommentatoren wagten einzuwenden, dass China damit nur die Entwicklung zu einem Lebensstandard nachhole, den der Westen für selbstverständlich hält. Die meisten stellten es eher so dar: Immer mehr von diesen frechen Chinesen steigen einfach vom Fahrrad aufs Auto um - und beschleunigen damit unser aller Fahrt in den Untergang.

Nun aber wurde auch Volkswagen "von der Finanzkrise erfasst". Ebenso China. Darum wird Volkswagen weniger Autos in China verkaufen als geplant. Und atmet der Nachrichtensprecher etwa auf vor Erleichterung? Mitnichten! Wieder sollen wir Deutschen kollektiv aufseufzen. Nicht etwa, weil die Chinesen weiterhin radeln müssen, sondern weil Volkswagen in einer Konjunkturkrise steckt.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, über Arbeitsplätze zu sprechen. Auf die Arbeiter der Automobilindustrie kommen harte Zeiten zu; aber folgt daraus automatisch, dass all diese Leute darauf warten müssen, bis wieder mehr Menschen Kredite für S-Klasse- oder Volkswagen aufnehmen? Könnten diese Leute nicht ebenso gut etwas herstellen, das wir gesamtgesellschaftlich wirklich brauchen würden, etwas, das nicht automatisch das Klima schädigte und weniger ein Luxus wäre als vielmehr wahre Lebensqualität? Kann man nicht Vorhandenes reparieren, alte Menschen pflegen, Schülern mehr Lehrer bieten? Wohin man schaut, es gibt doch wahrlich genug zu tun!

Selbstverständlich geht diese Rechnung so nicht auf. Milchmädchen!, höre ich die Leserin schon rufen … Und natürlich schrammt man hier hart am Staatssozialismus vorbei - wer soll die Leute denn für diese anderen Tätigkeiten bezahlen? Aber keine Sorge, ein solches Plädoyer soll nicht meine Sache sein. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Drosselung der Produktion von Autos nichts ist, was per se verhängnisvoll ist. Wir stecken aber leider in einem System, in dem es zu einem Verhängnis geworden ist. Mehr noch: Wir haben uns davon abhängig gemacht, dass ein Produkt X (und sehr viele weitere) massenweise produziert wird - und zwar ganz unabhängig davon, ob wir Produkt X schätzen oder nicht! Tagein, tagaus können wir davon reden, wie viel unsere Lebensweise den Planeten kostet, ein gewisser Level der Konsumkritik hat jede Talkshow und jede noch so konventionelle Nachrichtensendung erfasst … Das alles hat null Auswirkungen darauf, mit welchen Augen wir Wirtschaft, Wachstum und Flaute sehen. Wenn der DAX hochgeht, sind wir beruhigt. Und wenn er runtergeht, macht es uns Sorgen.

Und das ist die eigentliche Katastrophe. Unsere Gesellschaft ist, was ihre Wirtschaftsweise angeht, in höchstem Maße widersprüchlich: Eher lassen wir uns vom Markt bestimmen, als umgekehrt ihn einer öffentlichen Diskussion zu unterwerfen, die von vernünftigen und ethischen Kriterien geleitet ist. Wir tragen Plastikarmbänder für den Regenwald, werden "Pate" für den kleinen Philipp und sein afrikanisches Dorf - alles Ablasshandel und Kosmetik. Von kleineren staatlichen Korrekturmaßnahmen abgesehen, saust (oder stottert) die Produktion von Autos, Rüstung, Elektroschrott & Co. völlig unkommentiert an uns vorbei.

Nicht nur die Produktion, auch das Entstehen und Wachsen unserer (Konsum-)Bedürfnisse haben wir in die Hände von Menschen, Institutionen und Dynamiken gelegt, die sich ihrerseits nicht an sachlichen oder ethischen Maßstäben orientieren. Der Markt erzeugt nicht nur die Waren, sondern über das Versprechen von Komfort oder sozialem Distinktionsgewinn auch den Bedarf. Es gibt ja so viele Dinge, bei denen sich die meisten Leute einig sind, dass sie streng genommen bloß für den Müll sind; und weil sie schon so unsorgfältig produziert sind, wandern sie nach kurzer Nutzungsdauer auch genau dorthin. Trotzdem wollen wir sie bis dahin besitzen, eben weil … weil … weil wir sie im Fernsehen gesehen haben. Weil es ein Schnäppchen war. Weil man das diesen Winter halt so trägt.

Mit einem Quäntchen Optimismus kann man hoffen, dass wir aus diesem Jahr etwas lernen werden, dass Weihnachten nicht am Berg der Geschenke gemessen wird und "Zukunft" nicht daran, ab wann die Autoindustrie wieder boomt. Mit noch etwas mehr Optimismus könnte man in die Hände spucken und fragen: Wo jetzt sowieso schon so viel darnieder liegt, wieso lassen wirs nicht liegen und bauen stattdessen etwas Besseres auf? Aber, ehrlich gesagt, mir fehlt sowohl die große Portion Optimismus wie auch das Quäntchen. Ich fürchte, wir werden keine Ruhe finden, bis der DAX nicht wieder bei soundso vielen Punkten steht und unsere Fließbänder genauso viel menschlich und ökologisch unverträglichen Unsinn liefern wie zuvor.

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1 Kommentar

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  • H
    hwsp

    Liebe Frau Szegin, Sie haben es so schön auf den Punkt gebracht - und mir aus der Seele gesprochen. Sollten in Zukunft nicht besonders hohe Managergehälter gezahlt werden für Personen, denen es gelingt, wirtschaftliches Wohlergehen aller sichern zu helfen - ohne die von ihnen erwähnte Abhängigkeit von Bruttosozialprodukt und Arbeitsplätzen von der Produktion überflüssiger und schädlicher Produkte?