Kolumne Rote Erde: Tief gesunken
Der erste Fehler unterläuft mir also schon im Flugzeug nach Johannesburg. Ich fraternisiere mit den Serben und dann leiste ich im Fifa-Hoheitsgebiet keinen Widerstand.
D ie Serben lassen die Hosen herunter. In Schlüpfern stehen sie in der Business-Class herum, Nemanja Vidic, Aleksandar Kolarow, Marko Pantelic und all die anderen Kicker. Die Gegner der Deutschen in der Vorrunde am 18. Juni in Port Elisabeth müssen sich umziehen, heraus aus ihren bequemen Trainingsanzügen, die sie im Flugzeug anhatten, hinein in schwarze Anzüge. Die Fotografen warten schon.
Andere Mannschaften sind zerknittert und zerknautscht aus den Maschinen gestiegen, die Serben machen sich hübsch. Auch einen Schlips binden sie sich um. Wie es scheint, haben sie einiges vor auf ihrer WM-Reise durch Südafrika. Sie wollen jedenfalls einen guten Eindruck hinterlassen.
Nur im Gang zur Economy Class steht noch ein Nachzügler in Trainingskluft: Dejan Stankovic, angestellt in Italiens Serie A. Gefragt, ob seine Mannschaft die Deutschen schlagen werde, sagt er: "Das wird schwer, sehr schwer." Auch das Erreichen des Viertelfinales sei "schwer, sehr schwer". Australien? "Leichter, viel leichter." Ghana? "O, difficult, very difficult."
Markus Völker ist Sport-Redakteur der taz und berichtet aus Südafrika.
Bei diesen belastenden Aussichten wünsche ich ihm viel Glück. Er klopft mir jovial auf die Schulter. Ich frage mich, ob ich zu weit gegangen bin mit meinen guten Wünschen, ob ich das Gebot der Neutralität verletzt habe? War es gar ein Akt der Fraternisierung? Der erste Fehler unterläuft mir also schon im Flugzeug nach Johannesburg, der zweite gleich danach auf dem internationalen Flughafen Oliver Reginald Tambo, benannt nach einem Gegner der Apartheid. Ein Helfer schafft es, mir eine Dose Coca-Cola in die Hand zu drücken. Ich leiste keinen Widerstand beim Betreten des Fifa-Hoheitsgebiets, das nicht nur ins gelobte Land des Fußballs führt, sondern auch in eine bunte Markenwelt.
Sinke nie so tief, dass du von dem Kakao, durch den du gezogen wirst, auch noch trinkst, hat Erich Kästner einmal gesagt. Ich nehme einen tiefen Zug Fifa-Coca-Cola. Ich bekenne es: Schlimm, aber erfrischend. Ausgezehrt und immer noch durstig nach dem anstrengenden Wechsel des Kontinents betrete ich in Pretoria im Stadtteil Muckleneuk einen Spar-Supermarkt, suche Wasser, finde aber keins. Ich begehe den gravierenden Fehler, mich an die Angestellten des gar nicht gut sortierten Ladens zu wenden. Sie schauen mich an, als wäre ich ein Wiedergänger von Pieter Willem Botha. Kopfschütteln. Keine Antwort. Die Kassiererin hält mich möglicherweise für einen Nachkommen der Voortrekker, denn sie straft mich mit vorbildlicher Missachtung. Das Wechselgeld wirft sie mir hin.
Man merke: In Spar-Supermärkten sollte man nie nach knappen Ressourcen fragen, es könnte allen die Laune verhageln. Ich frage mich, ob es mit den Fehltritten so weitergeht in den kommenden Wochen. Ich denke schon. Denn es ist ein fremdes, eigentümliches Land, dieses Südafrika.
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