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Kolumne Rote ErdeEs johlt und klatscht

Kolumne
von Markus Völker

Neulich habe ich Fußball zeitverzögert geschaut. Während draußen schon gejubelt wurde, war bei mir noch nichts los. Da habe ich mich im Schnellschach versucht.

N eulich schaute ich ein Fußballspiel. Ich dachte, es wäre live. Aber nein, es lief zeitversetzt. Etwa zehn Sekunden betrug der Unterschied zwischen echt und unecht. Immer wenn es spannend wurde oder ein Tor fiel, johlte die Menge - genau 10 Sekunden, bevor das Tor bei mir fiel.

Am Anfang war ich noch irritiert und überlegte, ob ich zu einem Bildschirm wandern sollte, der direkt überträgt, aber das ließ ich sein, weil ich so noch nie ein Spiel angeschaut hatte. Jede Großchance traf mich jetzt nicht etwa unvorbereitet, nein, ich wusste jedesmal vorher Bescheid.

Blitzschnell versuchte ich wie ein Großmeister beim Schnellschach die Spielzüge weiterzudenken und das kommende Szenario zu entwerfen. Das war das eine Spiel. Das andere: Aufs Johlen der Menge zu warten, denn es lief nicht wie gewünscht, sprich: nicht so wie getippt. Aber da kam kein Johlen mehr. Der Tipp war futsch.

Bild: taz

Markus Völker ist Sportredakteur der taz und berichtet aus Südafrika.

Meine Top-five-Position beim taz-Tippspiel werde ich so nicht halten können. Das Tippspiel ist zu einer Schablone geworden, die sich über jedes Match legt. Ohne Tipps geht nix mehr. Ich kann's nicht mehr einfach so laufen lassen, das Spiel, ich versuche telepathische Tricks, um die Partie in meine Richtung zu lenken.

Die Tipps machen aus mir einen Gläubigen, der auf sein Team hofft und dem Gegner einen Klotz ans Bein wünscht. Viele Kollegen tippen derzeit und sind wegen des Tippens Teilzeitfans. Sehr, sehr viele aber geben sich auch als Vollzeitfans ihres Heimatlandes zu erkennen. Sie sind so eng und leidenschaftlich mit ihrem Team verschweißt, dass sie jeden Treffer ihrer Equipe, Squadra, Elftal oder der Black Stars, der vor allem, laut bejubeln.

Fan sein ist für Sportjournalisten naturgemäß streng verboten, so wie es für Politjournalisten verboten ist, Fan von Merkel, Westerwelle oder Trittin zu sein. Kein Mensch, jedenfalls kein Reporter mit ein bisschen Ehre im Leib, würde auf die Idee kommen, mit einem CDU-Sticker am Revers zum CDU-Parteitag zu gehen oder bei den Grünen Sonnenblumen zu verteilen.

Der Fußballfanjournalist schert sich nicht um Standards der Berichterstattung, er johlt und klatscht und freut sich. Wer kein Fanjournalist ist, der ist freilich Assistenzprofessor für Fußballästhetik. So ist man per Profession Anhänger des schönen Spiels. Man will sich berauschen an Steil- und Doppelpässen, an One-touch-Fußball und Schüssen in den Winkel. Plätschert eine Partie einfach nur so dahin, dann sind die Professoren die ersten, die das Match schlecht reden. Sie schreiben dann von Grottenkick und Ekelfußball. Es handelt sich um enttäuschte Liebe, dabei sollte der Connaisseur doch wissen, dass der Fußball sparsam umgeht mit magischen Momenten - mal abgesehen vom deutschen Team. Deshalb mein Tipp: Nehmen wie's kommt und drüber schreiben, in aller Distanz, versteht sich.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

1 Kommentar

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  • AZ
    Astrid Zingel

    Das Fernsehen sendet live >immer< zeitversetzt, fiel mir wieder ein, als ich Deutschland-England im Radio hörte..Wir hatten das Tor schon, die fernsehguckende Welt drum rum jubelte erst ein paar Sekunden später. Bem ersten Mal waren wir noch überrascht, bei den nächsten Toren hatten wir Zeit uns auf das Gefohle zu freuen. War ein sehr spezielles Gefühl viel "liver" zu sein als der Rest der Welt. Nein, keine Empfehlung dafür, Deutschland-Spanien im Radio zu hören, aber sollte man gezwungen sein, auf die Bilder zu verzichten, ist das "dafür bist Du aber liver" doch ein echter Trost!