Kolumne Psycho: Angststörung zum Anziehen
Wie kann man beschreiben, was unbeschreiblich ist? Entweder mit Worten. Oder mit Objekten, die Gefühle spürbar machen.
E s gibt eine Frage, die mir in fast jedem Interview gestellt wird: Wie fühlt sich eine Panikattacke an? Ich muss dann immer daran denken, wie enttäuscht ich früher war, wenn die Verfilmung eines Buches ganz anders aussah, als das, was ich mir beim Lesen vorgestellt hatte.
Jeder hat seine eigene Wahrheit, seine eigenen Empfindungen, und die eins zu eins zu transportieren, ist nahezu unmöglich. Selbst, wenn die Hauptfigur als brünett beschrieben wird, sieht der eine vor dem inneren Auge ein dunkles Blond, der andere ein sattes Braun und der nächste ein helles Braun mit Rotstich, von der Länge und der Struktur der Haare mal ganz zu schweigen.
Aus meinem Versuch, meine Angststörung zu beschreiben, ist ein ganzes Buch geworden – und bin immer noch nicht sicher, ob ich die richtigen Worte gefunden habe.
Johanna Dreyer, Nele Groeger und Luisa Weyrich haben im Rahmen ihres Masterstudiengangs an der Universität der Künste in Berlin einen anderen Weg gewählt, Angststörungen und Depressionen zu vermitteln. Nicht durch Worte, sondern durch Objekte.
Emotions-Simulatoren
Ihre Idee ist auf den ersten Blick so naheliegend, dass sie schon wieder genial ist: Da psychische Probleme nicht nur im Kopf stattfinden, sondern auch das körperliche Befinden beeinflussen, sollen sogenannte Emotions-Simulatoren zum Anziehen genau das erfahrbar machen. Denn, siehe oben, es ist eben ein Unterschied, sich etwas nur vorzustellen oder es am eigenen Leib zu spüren.
Weil ich mir das unbedingt anschauen will, fahre ich am vierten und letzten Tag zu ihrer Pop-Up-Ausstellung „The Shitshow – A show about shitty feelings“. Auf dem Weg dorthin fühle ich mich beschissen, aber hey, ich bin eben Perfektionistin. Dann stehe ich vor einer Tafel mit der Aufschrift „When was the last time you felt shitty?“ und es geht mir sofort besser. Ich bin nicht allein. Die meisten Besucherinnen und Besucher haben ihre Aufkleber bei „Today“ platziert. Meiner klebt da jetzt auch.
Nebenan kann man Ratschläge für schlechte Zeiten auf Zettel schreiben und dafür einen anderen mitnehmen. Zwischen Empfehlungen wie Natur, Sport, Natur, Sex und nochmal Natur stehen Sachen wie: Im Auto schreien. Eat eat eat. Irgendwie klarkommen.
Und dann sind da noch die vier Objekte zum Anziehen. Ein Helm wie ein überdimensionales Blaulicht, der einen sowohl schlechter atmen als auch die Welt nur noch schemenhaft erkennen lässt. Eine Art gebogene Luftmatratze mit Rucksackträgern, die einem den Kopf Richtung Boden beugt. Ein wurstiges Konstrukt, das wie eine Kette in den 20ern vorne eng und hinten lang getragen wird und hart auf den Kehlkopf drückt. Ein Umhang, der mit sechs Kilo Sand gefüllt ist.
Kehlkopfwürger
Während mir die Schwere des Umhangs gut tut und mich erdet, setze ich den Helm nur kurz auf. Atemnot. Auf den Kehlkopfwürger verzichte ich ganz, ich kenne das Gefühl auch so gut genug. Als ich den Beuger anhabe, spricht mich eine junge Frau an – es ist unmöglich, ihr ins Gesicht zu sehen.
Aber wir kommen ins Gespräch. Genau wie die anderen Besucherinnen und Besucher, die sich über ihre Empfindungen austauschen. So sei die Ausstellung auch gedacht, sagt Nele Groeger: Als Kommunikationsmöglichkeit zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen, die zur Sensibilisierung und Entstigmatisierung beitragen soll.
Die psychologisch-psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks Berlin benutzt die Simulatoren bereits zur Prävention, da Depressionen und Angststörungen unter Studierenden weit verbreitet sind und es in den Wohnheimen immer wieder Suizide gibt. Und die Frau neben mir, die gerade sehr viele Fotos macht, arbeitet in einer Klinik und will direkt alle Objekte kaufen.
Wer weiß, vielleicht gehen die Prototypen ja bald in Serie. Im Zweifel könnten sie Leben retten.
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