piwik no script img

Kolumne PressschlagGlück ist messbar - Pech nicht

Kolumne
von Markus Brenner

Nicht selten ist es der Zufall, der über einen Torerfolg entscheidet. Das darf man ruhig Glück nennen.

H erthas Raffael schießt gegen Köln binnen sechs Sekunden zwei Mal an den Pfosten, erst an den linken, dann an den rechten. Bundesligakonkurrent VfB Stuttgart trifft in den entscheidenden Momenten Aluminium. Beide Mannschaften kämpfen derzeit vergebens darum, aus dem Tabellenkeller hochzusteigen. Scheint, als wären beide Clubs, die heute in Stuttgart aufeinandertreffen, Teil des ungeschriebenen Gesetzes, dass wer unten drin steht, kein Glück hat. Und frei nach Jürgen "Kobra" Wegmann auch noch Pech hinzukommt.

Dr. Jeannine Ohlert vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule glaubt zumindest, dass Pech in einem relativ torarmen Spiel wie Fußball durchaus mit entscheiden könne, ob eine Mannschaft unten drin steht. Allerdings fehle die wissenschaftliche Beweisführung in Bezug auf Pech im Abschluss. Nicht jedoch, was Glück betrifft. Ohlert verweist auf Untersuchungen, wie oft bei Toren der Zufall mitspielte. Als Zufall im Sinne eines ungeplanten Ereignisses wurden Abpraller von Gegenspielern, Torwart oder Torgehäuse angenommen, wie auch die verdeckte Sicht des Torhüters bei Fernschüssen.

Mehrere Teilstudien ergaben eine Beteiligung mindestens eines der Zufallsmerkmale an 38 bis 47 Prozent der Tore. Man könne den Zufall durchaus als Glück interpretieren, meint Ohlert. Die Studien stammen von Professor Martin Lames.

"Wir haben insgesamt 2.500 Tore aus europäischen ersten Ligen sowie aus Welt- und Europameisterschaften auf Zufallsmerkmale untersucht", sagt der Lehrstuhlinhaber an der TU in München. So seien jedem fünften Tor misslungene Abwehrversuche vorweggegangen. Wie seine Kollegin Ohlert lässt auch der Professor die Bezeichnung Glück zu.

Ein Zusammenhang zwischen glücklichen Toren und dem Sieg im Spiel konnte laut Lames allerdings nicht nachgewiesen werden. Der glückliche Zufall macht keinen Unterschied zwischen Gewinner und Verlierer.

Wie es sich mit Pech im Abschluss verhält, vermag Lames nicht zu sagen, hierzu existierten keine Untersuchungen. Eine Torchance zu definieren, die dann aufgrund eines Zufalls verhindert wird, sei sehr schwer, begründet der Sportwissenschaftler.

Die Sportpsychologie setzt Rituale ein, um ablenkende Gedanken möglichst auszuschalten und damit dem Pech vielleicht ein Schnippchen zu schlagen. Allerdings stößt sie damit an Grenzen. "Einen Fußballer auf die Situation vorzubereiten, dass er in der 85. Spielminute die entscheidende Torchance verwertet, ist sehr schwierig", sagt Lames. "Der Spieler befindet sich dann in einer chaotischen Situation."

Der Zufall kann zwar im Durchschnitt keine Spiele gewinnen, im Einzelfall aber schon. Gut möglich also, dass der VfB oder die Hertha heute einen wichtigen Schritt nach vorne machen. Und zwar, wenn ihnen das zukommt, was Berlins Trainer Friedhelm Funkel im Gespräch mit der taz bei seinem Team vermisste: "ein Quäntchen Glück".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!