Kolumne Pressschlag: "Do you know Himmler?"
Fans berichten, wie sie beim Europa-League-Spiel von Borussia Dortmund in Sevilla behandelt wurden. Die Polizei soll massiv provoziert haben.
I m November 2006 trifft Eintracht Frankfurt im Europapokal auf Celta Vigo. Ein Fan der Eintracht verbringt die folgenden 46 Tage im Hochsicherheitsgefängnis, rund 40 Kilometer von Vigo entfernt. Am 19. Dezember 2006 wird er auf freien Fuß gesetzt, am 21. März darf er Spanien verlassen.
Im April 2007 kommt es zur Partie Sevilla gegen Tottenham. Die Bilder von dem Europapokalabend zeigen fliegende Sitze und Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den britischen Fans. Dabei wird ein englischer Fan von der spanischen Polizei aus seinem Rollstuhl geknüppelt. Tottenham legt bei der Uefa Protest ein. Er verläuft im Sand.
Am 15. Dezember 2010 freuen sich rund 3.000 BVB-Fans in Sevilla auf die entscheidende Europa-League-Partie gegen den heimischen FC. Die Fans genießen die Sonne, feiern am Nachmittag in der Stadt, marschieren zum Stadion. Auf dem Weg dorthin laufen die Dinge aus dem Ruder. Ein paar Fans müssen austreten, dürfen es nicht.
STEPHAN UERSFELD, 31, lebt in Dortmund, ist Medienschaffender und schreibt für die BVB-Fanseite schwatzgelb.de
Die Polizei provoziert die vorderen Reihen nach einer Schubserei und pfercht die hinteren Reihen zusammen. Die Köpfe der Fans werden mit Knüppeln bearbeitet. Ein Augenzeuge: "Mein Schwiegervater wurde plötzlich zu Boden geworfen. Auf Bosnisch rief er immer wieder: ,Ich habe nichts gemacht!' Dies nahm die Polizei zum Anlass, mit Schlagstöcken auf ihn einzuschlagen. Er hat Verletzungen am Hinterkopf, im Gesicht, einen riesigen Bluterguss am Oberschenkel."
Der am Boden Liegende ist über 60, ein Bosnier, den die Kriegswirren nach Schweden getrieben haben. Er wurde von seinem Schwiegersohn über die Jahre mit dem BVB-Virus infiziert. Er ist das willkürliche Opfer einer Attacke. Den nächsten Tag verbringt er in der Obhut der spanischen Polizei, ohne ausreichende medizinische Versorgung, ohne Essen und Trinken. Auf dem Weg in die Zelle schlägt man noch mehrfach auf ihn ein.
Der Rest der Fans wird von der Polizei mit Pferden und Schlägen durch ein drei Meter breites Tor ins Stadion getrieben; im unteren Gästeblock warten bereits die nächsten Ordnungshüter, die willkürlich auf die Fans eindreschen. Einige Anhänger sind aufgebracht. Sie treten die lockeren Sitze aus der Verankerung und setzen sich zu Wehr. Die Situation beruhigt sich.
Doch zur Halbzeit verlassen etliche Fans aus Angst das Stadion. Der Block wird gesperrt. Nach Spielende greift sich die Polizei weitere Fans aus der Masse und unterzieht sie einer Einzelbehandlung. Die Schreie der Inhaftierten vernimmt man noch außerhalb des Stadions.
Für 16 Fans beginnen nun 20 Stunden im Gefängnis von Sevilla. Sie landen jeweils in einer bitterkalten Zelle, teils mit dünner Unterlage und Decke, teils ohne. Vorher werden sie von den anwesenden Dolmetschern verhöhnt, von Polizisten auf Spanisch angebrüllt, ihnen werden EC-Karten geklaut, und man bereitet sie mit Sprüchen wie "Do you know Himmler or Auschwitz?" auf die Nacht vor. Die Zellen sind unbeaufsichtigt.
Am anderen Ende der Nacht warten ein Anwalt, ein weiterer Dolmetscher, der Weg zum Gericht. Den Leuten wird nahegelegt, ein Schuldanerkenntnis (Angriff auf Polizisten, Körperverletzung) zu unterschreiben, was schließlich alle tun. Ohne die Unterschrift stünden ihnen 18 Monate ohne Bewährung bevor, so sind es 120 Euro Geldstrafe (für den Bosnier 1.200 Euro) und zwei Jahre auf Bewährung. Ein Jahr dürfen sie nicht nach Spanien reisen.
Der BVB-Fanbeauftragte Jens Volke wartet auf die Freilassung der Fans und organisiert die Rückreise. Er sagt: "Wir werden uns an die Uefa wenden und um eine Stellungnahme bitten. Die Sicherheitsvorkehrungen rund ums Stadion waren eine Katastrophe." Die Behandlung der Fans in einem EU-Staat war mehr als katastrophal, sie war menschenunwürdig.
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