Kolumne Pressschlag: Das sind doch nur zwei Uhren
Es gibt Alltagsgegenstände die jeder braucht, etwa einen formschönen Zeitmesser. Dumm nur, wenn man ihn im Ausland erwirbt und durch den Zoll muss.
Das weiß ich ich nicht“, hat er gesagt, als ihn der Typ gefragt hat, wie hoch eigentlich seine Handy-Rechnung jeden Monat ist. „Das zahlt die Firma, glaube ich“, hat er noch überlegt und dann hinzugefügt: „Und wenn nicht, dann kriege ich das sowieso nicht mit, weil das automatisch vom Konto abgebucht wird.“ Früher fand er den Typen ganz nett. Es war immer lustig mit ihm.
Wie es eben so ist mit den alten Kameraden, mit denen man in der Schule war: Wenn man nicht mehr weiß, worüber man reden soll, dann erzählt man sich gegenseitig irgendwelche wohlbekannte Anekdoten von autoritären Lehrerschweinen und bestätigt sich gegenseitig, dass es einfach eine tolle Zeit gewesen ist – damals. Aber wie hat der das jetzt nur mit der Telefonrechnung gemeint? Komischer Typ.
Er musste sich an den Zollbeamten erinnern, der ihn, IHN, dessen Gesicht eigentlich jeder in der Stadt kennen sollte, vor kurzem doch tatsächlich darum gebeten hatte, zu zeigen, was er in seinem Koffer hat. Schnell hat er damals gemerkt, dass mit dem Mann in dieser schlecht sitzenden Uniform irgendetwas nicht gestimmt hat. „Wieso, das sind doch nur zwei Uhren?“, hatte er gesagt und überhaupt nicht verstanden, was der Beamte mit „Verzollen“ meinen könnte.
„Haben Sie noch nie eine Uhr gekauft?“, hatte er gefragt, worauf der Zöllner mit einer Gegenfrage geantwortet hat: „Was heißt hier Uhr? Wissen Sie, wie viel so eine Uhr kostet.“ Dieser Spinner. Was für eine Frage. Nein, das wusste er natürlich nicht. Wer weiß schon, was eine Uhr kostet? Und dann der Zöllner wieder: „Aber Sie wissen schon, dass Rolex eine besondere Marke ist?“ Er verstand immer weniger. Klar, wusste er das. Sonst würde er vielleicht eine andere Uhr tragen? Idiot, dieser Mann!
ist Sport-Redakteur der taz.
Die lästige Sache mit der Steuer
Und jetzt hatte er dieses Verfahren wegen Steuerhinterziehung am Hals. Weil er zwei Uhren gekauft hatte! Alltagsgegenstände, die jeder braucht. Er musste an einen seiner besten Freunde denken. Dem wurde gerade besonders übel mitgespielt – fast so übel wie ihm jetzt. Der hatte sich wegen Steuerhinterziehung selbst angezeigt, und jetzt wird er behandelt, als hätte er etwas falsch gemacht.
Wie viel Geld, fragte er sich, muss man eigentlich dem Staat bei einer Selbstanzeige noch überweisen, damit man von diesem in Ruhe gelassen wird. Und wie viel Kaution muss man eigentlich hinterlegen, bis es endlich so etwas wie eine Unschuldsvermutung gibt? Irgendwie hatte er den Eindruck, dass die Welt, die über Jahre so gut funktioniert hat, gerade aus den Fugen geriet.
Er hat dann einfach mal im Internet nachgeschaut, was die Uhren eigentlich gekostet haben, die der Zöllner moniert hatte. 13.000 Euro die eine aus der Oyster-Serie mit dem goldenen Armband. Und die andere, die mit der praktischen Datumsanzeige, die aus Weißgold, 26.000 Euro.
Vielleicht, überlegte er, lag hier das Problem. Da fiel ihm wieder dieser komische Klassenkamerad ein, der ihn vor Kurzem nach der Höhe seiner Handy-Rechnung gefragt hatte. Der muss das doch wissen. Vielleicht sollte er ihn einfach mal anrufen und fragen, ob 39.000 Euro eigentlich viel Geld ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
NGO über den Machtwechsel in Syrien
„Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“
Ende des Assad-Regimes
Momente, die niemand den Syrern nehmen kann
Ende des Assad-Regimes in Syrien
Syrien ist frei
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
Unterstützerin von Gisèle Pelicot
„Für mich sind diese Männer keine Menschen mehr“