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Kolumne Press-SchlagFrostmeister und C-Jugend-Appeal

Bernd Müllender
Kolumne
von Bernd Müllender

Leverkusen versagt nicht mehr auf der Zielgeraden - zumindest auf der in die Winterpause. Doch man kann auch unbesiegt Vizemeister werden. Ungebrochen ist der Trend zum Trend.

Z wischendurch, kurz nach Sonnenuntergang an diesem eisigen Samstag, in der segensreichen Erfindung mit Namen Blitztabelle, waren sie schon auf Platz 3 gestürzt. Doch Bayer Leverkusens Akteure krempelten die Pudelmützen hoch und schafften doch noch die viel umjubelte Meisterschaft. Sicher, der Titel trägt den jahreszeitlichen Zusatzbegriff Herbst-, Winter-, Weihnachts-, Schnee- oder Frostmeister. Dennoch ist von Ruck die Rede, von etwas besonderem: Leverkusen versagt und verzagt nicht mehr auf der Zielgeraden, sie halten durch und drehen gar ein Spiel. Nur, ganz neu ist das keineswegs: Bayer war schon einmal Halbzeitmeister, 2001. Danach folgte das Vize-Triple, der Beiname Loserkusen und die fröhlichen Gassenhauer der Tribünen: „Ihr werdet nie Deutscher Meister...“

Alles sei jetzt anders, reden sie sich ein, und glauben auch fest daran. Da ist der erfahrene Trainer Jupp Heynckes, 64, mit seiner menschelnden Autorität. Gefestigt sei das Team, defensiv verlässlicher durch Samy Hyppiä, den Felsblock von Veteran fast im Heynckes-Alter, und unberechenbarer im Angriff. Bayeriker werten es erfreut als Stärke, dass fast die Hälfte aller Tore nach Standardsituationen erzielt wurden. Das zeigt tatsächlich, dass Leverkusen aus dem Spiel heraus viel weniger zustande bringt als es bei happigen 35 Saisontoren den Anschein hat.

Man kann übrigens auch unbesiegt Vizemeister werden. Schalke, das wirklich verblüffende Youngsterteam, ist ein gefährlicher Konkurrent um diesen Titel, und womöglich auch Borussia Dortmund, das nach dem vielleicht kältesten Heimspiel seit Erfindung des Frostes (-16 Grad) in seiner nunmehr zweiten Lebensjahrhundertschaft einen Europa-League-Platz (formerly known as Uefapokalplatz) besetzt. Singt eigentlich schon jemand: ...und wir gewinnen die Eu-, Eu- Europa-Lieeeg“?

Trends? Wichtige Erkenntnisse der Hinrunde? Ja: Der Trend zum Trend ist ungebrochen. Torarmut hatte gerade jemand diagnostiziert, da fielen am Samstag Treffer wie Reifefrüchtevergleiche. Auswärtssiege boomen. Da ist noch viel Kaffeesatz zu durchwühlen, um Gründe zu finden, bis es wieder einen Trend zum Heimsieg gibt. Und da ist der kühne Versuch des 1. FC Köln, alle tasmanianischen Torminusrekorde (15) zu pulverisieren und mit einer Spektakelserie an Nullzunulls in der Liga zu bleiben. Und womöglich gelingt der Hertha noch ein ewiger Punkteminusrekord. Es sei denn, sie folgen dem Trend zur Jugend nach Vorbild der Vizekandidaten Bayer und Schalke: Derzeit scheint mit der eigenen C-Jugend der Klassenerhalt wahrscheinlicher als mit den Rumpelprofis. BERND MÜLLENDER

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Bernd Müllender
Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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