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Kolumne ParallelgesellschaftAllah wirds schon verstehen

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Die religiösen Eide verändern sich in meiner exotischen Nachbarschaft - zugunsten kostspieliger Objekte.

I n meinem Viertel wird ja viel beteuert - und geschworen. Die Zauberformel wird immer ins Gespräch eingeführt, wenn es um Dinge geht, die Letztgültiges in sich tragen. "Isch schwör, Alta", nein, er hat die Freundin des anderen nicht angeguckt. Glatt gelogen, hat er nämlich doch, und zwar, wie es sich für hormonell aus der Balance geratene männliche Jugendliche gehört, ziemlich unverhohlen. Oder "Hab isch nisch", wenn der Penner um eine Fluppe bettelt, dabei hat der Angesprochene gerade aus einer vollen Packung eine Zigarette gepult - Allah weiß, warum.

Bild: taz

Jan Feddersen ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

"Isch schwör", besonders wenn es mit leuchtenden, Glaubwürdigkeit heischenden Augen ausgerufen wird, ist ein Mantra, und wenn mit dem Ausdruck größten Bedauerns Faktisch Unwahres gesagt wird, aber mit gutem, nicht verletzendem Gefühl. Ich denke, das ist eine Art Minioperette im Kommunikativen, verbreitet unter muslimischen Jugendlichen deutscher Herkunft, denn die wollen ja niemand enttäuschen, nichts abschlagen, schon gar nicht im Namen des Herrn, der das Lügen verbietet, außer in besonderen Fällen, aber über die weiß nur der Imam Bescheid, und der ist zum Nachfragen nicht immer zur Stelle.

Die Mutter aus meinem Nachbarhaus ist keine besonders fromme Frau, sie feiert das Zuckerfest, aber Moscheen sind ihr einerlei, doch wer Allah ist, weiß sie doch recht genau, seit ihre Großmutter ihr ihn beim Vorlesen, damals noch in den anatolischen Weiten, vorgestellt hat: "Heilig!"

Ihr Sohn, Kind einer stolzen Kinderpulloverstrickerin und Büglerin, hat neulich ein bemerkenswertes Zeugnis sich wandelnder religiöser Formen abgelegt. Er, Gökhan, 27 Jahre, einst schwer in Behandlung seiner Spielsucht wegen, ist nun geheilt, geht kaum noch in die Moschee, verdient als Saalwächter sein Geld (Tariflohn plus fetter Trinkgelder) in einem staatlich beaufsichtigten Kasino, was wiederum die Mutter eingefädelt hat, denn ihre beste Freundin, Ayse, geht mit dem Geschäftsführer jenes Spielhauses.

Neulich wurde Gökhan nun gefragt, ob er gelobe, nach den Sitzungen der Anonymen Spielsüchtigen auch nie wieder Zocken gegangen zu sein. Er erwiderte, die Knopfaugen heftig aufgerissen, knapp: "Isch schwör … im Namen meines neuen BMW." Mama stutzte, lachte heftig und fügte nur "Dann muss ich dir glauben" an - und berichtete es mir.

Und ich dachte: Dieser junge Mann, niemals richtig religiös auf allen Kanälen, hat in deutscher Atmosphäre einen entscheidenden Beitrag zur eigenen Erdenruhe geleistet: Er schwört nicht mehr vor Gott, sondern auf das höchste Gut, das er sein Eigen nennt, neben der Mutter, dem Vater, der doofen Schwester, dem karrieregeilen Bruder und seiner Hertha-BSC-Bettwäsche, die er zum zehnten Geburtstag bekam - auf seinen BMW.

Sauer verdient vom eigenen Geld, nicht am Daddelautomaten, sondern vom Spielen anderer; er weiß, was seine Karre wertvoll macht, nämlich die begründete Fantasie, dass er sie sich selbst verdient hat. Gökhan entschuldigt sein Leben mit einer Edelkarre, spricht von der "Abwrackprämiere" wie aus einer Sure - und meint es mit sich gut nach all der Schufterei.

"Isch schwör, Alta", wer das vernimmt, muss nicht gleich göttlichen Beistand des Sprechenden unterstellen, sollte immer bedenken, dass da einer beteuert, bekräftigt, unterstreicht und eben schwört, weil ihm ein Haus, ein Auto heilig ist - Schöpfung aus eigener Kraft.

Allah wirds verstehen: Er ist ja nur für die Dinge des Jenseits zuständig. Für das Hiesige zählen das Sein und, klar doch, auch das Haben. Und sei es ein schnelles Auto mit Hybridantrieb.

PS: Neulich soll ein Cinquecento, nichts als eine Keksdose auf Rädern, beim Einparken Gökhans Auto geschrammt haben. Das Tatauto mit Mainzer Kennzeichen war eilends verschwunden, aber die Flüche, die der Geschädigte von sich gab, ja, die Tränen, die er vergoss, sollen hier nicht detailliert wiedergegeben werden. Aber: Seine Schwüre auf fast ganz und gar Heiliges haben diesen Tort nur noch weiter fundiert. Allah, würden die religiös Simplen denken, hätte das verhindert. Im Diesseits gilt, die Polizei zu rufen. Und das tat er und sagte: "Isch schwör, der kam nicht von hier. Bei uns hat man Respekt vor Autos anderer Leute, Alta, Respekt."

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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