Kolumne Parallelgesellschaft: Durchs deutsche Wirklichkeitsdickicht
Warum Migranten angeblich immer die Opfer sind? Weil es die Linken so wollen.
Wie gern er erzählt, mein Taxifahrer. Über seine Kinder Ayse, Murat und Tolga, wie sie klasse in der Schule seien, und das Auto, das sei jetzt auch abbezahlt, denn die Kinder sollten es gut haben, in der Schule, im Handballverein, im Fußballklub. Ob er da nicht stolz sei, so ein neuer Deutscher, der es so weit gebracht hat? Deutscher? Er winkt ab. Ein Türke in Berlin, das sei er. Und stolz? Er schüttelt den Kopf, ehe er wieder in den Gute-Laune-Modus verfällt und von der Tochter berichtet, die kürzlich die Empfehlung fürs Gymnasium erhalten habe. Und seine Eltern? Irgendwo bei Istanbul. Der Vater sei fliegender Händler, die Mutter Hausfrau.
Ist es nicht schade, dass dieser Herr seine sogenannte Migrationsgeschichte nicht als deutsche abliefert? Dass er nicht mit dem gleichen Gestus von seinem Werden erzählt, wie das bei Neubürgern in den USA der Fall ist? Liegt es an den deutschen Verhältnissen selbst, all den schlimmen Rassismen und Ausgrenzungen, menschenverachtend und gemein, wie die Multikultis immer gebetsmühlenhaft sagen? Mein Taxifahrer, der so nebenbei von seinem Neffen berichtet, der mit den Eltern in den späten Siebzigern ebenfalls nach Berlin kam - und sich nun traute, die elternseits verordnete Meisterprüfung im Kfz-Wesen zu lassen und sich stattdessen auf ein Studium der Psychologie und Botanik verlegen will? Will denn niemand diese Geschichten hören und staunen?
Jan Feddersen ist taz-Redakteur.
Weshalb fahren Linke und Multikultis so sehr auf Erzählmuster ab, die im Gastarbeiter ein Opfer sehen möchten, im Migranten eine potenzielle Zielscheibe neofaschistischer Gewalt? Woran liegt es, dass niemand diese frohgemuten, hart erarbeiteten Aufsteigergeschichten zur Kenntnis nehmen will? Hat sich das ganze Milieu in den Siebzigern von Wallraff anstecken lassen, dem anerkannten Kopf der Opferverklappung in Romanform?
Könnte es nicht möglich sein, wenigstens ein bisschen zu staunen über all die Gastarbeiterkinder und deren Kinder, die sich durchs deutsche Wirklichkeitsdickicht schlugen und ein neues Leben in Angriff nahmen - nicht nur im ökonomischen Sinne, sondern auch in einer Weise, die jenseits der alten Heimat Sinn stiftet? Ist es nicht doof, dass in unseren Kreisen alle Migrantenschwurbelei sich auf einen Namen wie Zaimoglu reimt? Der ist natürlich großartig, aber gäbe es von solchen Epen wie dem seinen nicht viel mehr? Wer schreibt wie Amos Oz oder Thomas Mann, filmt wie Coppola oder Tarantino über die Wege, blutig, mafios oder nicht, über die Wege des Aufstiegs, über die Lust am Einwandererleben, am Abenteuer und am Risiko? So gesehen, klingen doch die meisten Multikultihistörchen wie Opferoperetten - ach, Gottchen, hattet ihr es schwer, doof, wa?
Besser wäre, ein deutscher Mann türkischer Herkunft würde auch öffentlich beflügelt, läse er solche Romane, sähe er solche Filme. Das Leben ist ein Aus- und Einwanderertum - mit allen Kosten, die das mit sich bringt, Hauptsache, das Überleben ist sicher, fast egal, zu welchem Preis. Nur Erfolg zu haben, das wärs, darum ginge es. Wer nur Opfer sieht, denke ich mir beim Taxifahren, liebt die Opfertümer. Dieses Thema wiederum verdient in einem brachial-präzisen Post-Gastarbeiter-Aufstiegs-Epos ein besonderes Kapitel: Es wäre ein besonders gutherzig-fürsorgliches. Ist das nicht mies?
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