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Kolumne ParallelgesellschaftDie Unbotmäßige kleinkriegen

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Warum Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Politikerin des Jahres ist und Beistand wie Großzügigkeit verdient. Gerade auch, weil sie Ärzte eben nicht als Halbgötter behandelt.

S ie wird sich bei Rita Süssmuth erkundigen können, wie das ist, wenn man es sich mit den Herrschaften verdirbt und daraufhin in eine Art gesellschaftlichen Mörser gepackt wird, auf dass man zermalmt werde. Die frühere Unionspolitikerin der ersten Reihe wurde zum Abdanken gezwungen mithilfe einer konstruierten Geschichte um nicht abgerechnete Privatflüge, weil sie verhältnismäßig unverhüllt Kritik am damaligen Kanzler (und "Parteifreund") Helmut Kohl übte.

Und nun, als Sommerschmierentheater, Ulla Schmidt, Gesundheitsministerin, die pünktlich zur Bundestagswahl über den Umstand verleumdet wird, dass sie in ihren Ferien in Spanien den Dienstwagen samt Fahrer mit im Gepäck hatte. Und was geschah? Die halbe Nation heuchelt und findet diese Frau des Amtes unwürdig - und es sind in etwa die Gleichen, so darf man mit Blick auf ihre Kritiker stark unterstellen, die sonst Abgabenbetrug (frisierte Steuererklärungen, geschmuggeltes Benzin wie Zigaretten im grenznahen Ausflugswesen) wie akkurat geschorene Gartenhecken pflegen und hegen.

Der Umstand, der nun Ulla Schmidt zum Straucheln bringen soll, ist eine Ausrede. Eine gute Gelegenheit, es einer Frau heimzuzahlen, die während der vergangenen sieben Jahre es mit Kreuz und erhobenem Haupt mit der halben Standesbrut der Mediziner und Ärzte aufgenommen hat. Das war schon schlimm genug, aber dass sie nur in den politischen Händeln mit der Union einknickte, nicht schon an sich auf Druck der medizinischen Verbandsbünde, war für jene Schicht, die noch auf Stand, Hausmusik und glänzende Biografien, hält, eine Zumutung.

Bild: taz

Jan Feddersen ist taz-Redakteur.

Ulla Schmidt gibt das Bild einer Frau ab, das an phallischer Kraft, so die Fantasie, kaum zu überbieten ist. Kein Mäuschen, sondern eine Jägerin und Steherin - keine Arztgattin, sondern die als Ärztin allenfalls ein Gespiel hätte, wenn schon keinen Ebenbürtigen. An Ulla Schmidts Dienstwagenspesenaffäre, der sogenannten, lässt sich der Stand der Geschlechterfrage fein dekonstruieren.

Eine Frau in der Politik darf so smart-geschlechtslos agieren wie Annette Schavan, so überemotional wie Claudia Roth, so tantentöchternhaft wie Ursula von der Leyen, so gediegen-klassensprecherinnenhaft wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, aber nicht so ersichtlich angriffslustig und kühl zugleich wie die Sozialdemokratin aus Aachen. Man fürchtet sie als Frau, die sich körperlich, im Kampf, offenkundig genießt.

An ihr greift man an, dass sie einst im sogenannten Rotlichtmilieu kellnernd jobbte, um sich das Studium zu finanzieren; man hasst sie, weil sie das kulturelle Kapital der Ärzteschaft nicht gesattelt zu haben scheint und doch den Mund aufmacht - und weil sie Ärzte behandelt wie andere, jedenfalls nicht wie geniale Halbgötter.

Sie wirkt unbotmäßig, ja verstockt, aber mit dieser Methode hatte sie Erfolg. Sie glänzt, indem sie die anderen kleinzumachen schien - sie gibt das Bild einer politisch Hungrigen ab, die unbedingt aufsteigen wollte und nicht katzbuckeln vor den Großkopferten. Zum spanischen Dienstwagenurlaub sagte sie: "Das stand mir zu" - und Journalisten blamierten sie als Hochmütige, weil sie ihren Nachsatz wegschnitten, nämlich "wie anderen Politikern auch".

"Auch" - das ist das Wort, das Ulla Schmidt gewiss gut findet. Sie wollte nie Dienstmädchen der Medizinstände sein, sondern auch politisch gestalten, ihren Überzeugungen von Gerechtigkeit gemäß. Das entsprach auch persönlich ihrem Lebensroman: Sich nicht von den Starken unterkriegen lassen. Ärztefunktionäre dachten, sie sei eine Sekretärin. Dass sie irrten, wollen sie ihr nicht verzeihen.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

14 Kommentare

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  • AR
    A. Remstedt

    Sehr geehrter Dr. Markus Schlarmann,

    wenn es auch wahr ist, dass sich unangreifbar machen muss, wer sich so mit den Hütern des Staus Quo anlegt wie Frau Schmidt derzeit:

    in welchem seriösen Diagnose-Manual findet such denn, bitte schön, das "gesunde Volksempfinden"?

  • TW
    Thomas Weber

    Kehrt man zu den Fakten zurück, die leider wie so oft nur scheibchenweise ans Licht kommen, und verlässt die elegischen Schwärmereien über Frau Schmidts "phallische Kraft" zeigt sich eine bodenlos doppelte Moral: einen Diestwagen samt Fahrer nebst dessen Sohn 5000 Kilometer durch Europa reisen zu lassen, um in Spanien (sic!)zu einem Termin wahrzunehmen ist deshalb nicht so schlimm, weil Frau Schmidt eine so toll "unbequeme" Politkerin sein soll? Dafür war sie in der großen Koalition überraschend still und mit der Kanzlerin zu oft in zu herzlicher Eintracht vor den Kameras, oder nicht?

     

    Die politischen Leistungen von Frau Schmidt sind - ganz nüchtern betrachtet - doch was ihre Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit angeht - mit Verlaub - eher Mau: die xte "große Gesundheitsreform", für deren Umsetzung die große Koalition ja so geeignet gewesen wäre, ist doch schon im Ansatz gescheitert, die GKV kränkelt trotz - oder vielleicht gerade wegen des unsinnigen Molochs "Gesundheitsfond" weiter vor sich hin, die vielgepriesene "Basisversicherung" der PKV ist zwar nicht verfassungswidrig (ganz toll), aber weder für Versicherte noch für Leistungserbringer tatsächlich attraktiv, die inhabergeführten Einzelpraxen der Heilberufler werden - vor allem auf dem Land - mangels überlebensermöglichender Renditen durch staatlich verordenete Bevorzugung "neopoliklinischer" Strukturen - allmählich wegsterben, die vehement propagierte elektronische Gesundheitskarte erweist sich als absoluter finanzieller und datenschutzrechtlicher Flop, die Macht der Lobbys (z.B. Krankenkassen oder Pharmaindustrie)erscheint dem aufmerksamen Beobachter absolut ungebrochen, der Ärzte- und Pflegenotstand in den Krankenhäusern ist offensichtlich ungelöst, die Pflegeversicherungsreform wurde nicht mal angegangen...

     

    Vor diesem Hintergrund verschließt sich meinem zugegebenermassen begrenzten Wählerhorizont eine sachliche Rechtfertigung dieses Kommentars. Vielleicht aber war er ja ursprünglich eine Glosse...

  • H
    Hanseatin

    Täusche ich mich, oder sind alle Vor-Kommentatoren Männer? Heuchler, die sich begierig auf eine starke Frau stürzen, die Fehler gemacht hat. Ja, das hat sie. Sie hat immer gekämpft und nicht begriffen, dass blindes Umsichschlagen der falsche Weg ist. Sie hat wie so viele in der Politik die Bodenhaftung verloren. Aber auf die Anderen schlägt die Medien(und Ärzte-)meute nicht ein. Eine Frau zu jagen, macht Spaß. Vorteile sichern, ja, das ist legitim, auch und gerade für die, die jetzt so laut empört tun. Nur erwischen lassen , darf man - pardon: frau - sich nicht.

  • JS
    Jörg Schelling

    Lieber Herr Feddersen,

     

    Lesen Sie Ihren Jan Vielhauer. Da werden Sie die gesamte Basis Ihrer Argumentation wiederfinden. Leider (für Sie) interessiert das aber in diesem Jahr niemanden mehr wirklich. Das Mittel, das Sie einsetzen, ist hier die Halbwahrheit, die eine ganze Lüge offenbart.

     

    Einen schönen Sommer

  • IL
    Ich liebe Euch doch alle!

    Einen Kommentar zu diesem Kommentar von Feddersen abzugeben lohnt sich nicht. Die geistige Verwandschaft aus alten Zeiten kommunistischen Denkens ist zu offenbar.

  • KK
    klaus keller

    nichts neues:

     

    scharping galt nicht wegen der ersten auslandseinsätze der Bundeswehr als verteidigungsminister für unhaltbar sondern weil er eine freundin auf einer spanischen insel besuchte.

     

    das psychotherapeuten künftig eher mehr,radiologen eher weniger geld bekommen ist erfreulich aber das erfährt der leser idR nicht.

     

    der leser berurteilt was er versteht, dienstwagen im urlaub ist böse,

    praxisgebühr von 10€ im quartal ist Böse

    das die CDU 10€ bei jedem arztbesuch plante ist vergessen.

     

    der kommentar kommt nur sehr spät

     

    der markt ist verlaufen

     

    frau schmidt wirds ähnlich sehen aber es nutzt nix

     

    die spd bleibt unwählbar,trotz frau schmidt.

     

    klaus keller hanau

  • DM
    Dr. Markus Schlarmann

    Wer Wasser predigt sollte sich nicht beim Wein trinken erwischen lassen. Frau Schmidt hat hohe moralische Maßstäbe bei anderen verwendet - z.B. bei uns Ärzten. Da darf sie sich nicht wundern, wenn man diese auch bei ihr anwendet.

    Und wenn ein Kandidat Steinmeier das gesunde Volksempfinden ignoriert und Frau Schmidt wieder in sein Kompetenzteam holt, dann wird er bei der Wahl vom Volk ignoriert.

    Außerdem fällt mir auf, dass dieses "Lobeshymnen" auf die Gesundheitsministerin bzw. Gesundheitspolitik immer von Autoren jüngeren oder mittleren Alters (meistens selbst privat versichert) stammen. Bei einem chronisch kranken und alten Menschen habe ich diesen Realitätsverlust noch nicht wahrgenommen.

    Und beim Bild des protzigen Dienstwagens, der quer durch Europa fährt, fällt mir bei der Altkommunistin Schmidt das Zitat aus "Animal farm" ein: Alle Menschen sind gleich, doch einige sind gleicher!

  • B
    Bergener

    Der "Arbeiterdame" verdanken wir die Praxisgebühr, die Anhebung der Kranken-Beitragssätze um 3%, die Öffnung der ambulanten Medizin für Heuschrecken wie Helios, Rhön und Fresenius. Leider auch die Abnabelung der ärmeren Bevölkerung von med. Fortschritt usw. Einfach nur peinlich diese Wahlhilfe für die 22000-Euro-Frau (natürlich monatlich)

  • HS
    Hans Steinke

    Ihre Lobhudelei erinnert stark an eine Grußaddresse aus dem Reich der Mitte an den Großen Vorsitzenden.

     

    Nach Ihrem freundlichen Hinweis auf den "Lebensroman" der überaus geschätzten Ministerin vermisse ich eine Erwähnung des von ihr verfassten Gedichtbandes. Auch wäre die Galerie von Interesse, in der die von ihr hervorgebrachten Kunstwerke der Anschauung harren.

     

    Irritiert hat mich auch die "phallische Kraft", welche Sie offenbar bei Frau Schmidt wahrgenommen haben. Ist mir irgendetwas entgangen ? Wissen Sie mehr ?

  • AP
    Andreas Pawlik

    Der Autor hat offensichtlich die Luxusausgabe des Propagandapakets aus dem BMG bekommen, es wurde ihm jedoch vorenthalten, daß man den Inhalt nicht für bare Münze nehmen sollte.

    Lange keinen derart grotesken Zeitungsartikel gelesen.

  • J
    Joba

    Im Gegensatz zu Dirk Gober bin ich der Meinung, dass Herr Feddersen nur schreibt, was längst schon hätte gesagt werden müssen. Das ewige Ulla Schmidt Bashing geht mir schon lange auf den Geist. Wer kann im Gesundheitsministerium, in dem an 1000 Fronten gekämpft wird, schon allgemein beliebt werden? Der Murks vieler Reformen liegt m.E. nur zu einem geringen Teil an Ulla Schmidt persönlich. Und die Misere der SPD hat auch viel tiefer liegende Ursachen.

  • DG
    Dirk Gober

    Wieviel kostet eigentlich eine solche Werbeanzeige in der taz, wenn man sie, wie in diesem Fall, als redaktionellen Beitrag / Kommentar tarnt?

    Die Anzeigenpreisliste schweigt sich darüber leider aus.

  • JM
    Joachim Marquardt

    "An Ulla Schmidts Dienstwagenspesenaffäre, der sogenannten, lässt sich der Stand der Geschlechterfrage fein dekonstruieren."

    Ja, fein dekonstruieren, und besonders die Geschlechterfrage, das ist ja immer gut und vor allem ist es verdienstvoll, den sträflich vernachlässigten Genderaspekt auch bei läppischen Politikeraffären gnadenlos ins Spiel zu bringen. Es könnte sonst passieren, daß eine Politikerin mit denselben bescheuerten Maßstäben gemessen würde wie ihre männlichen Kollegen. Und was könnte diskriminierender sein? Eben.

  • BS
    Bernd S.

    Ein sehr guter Artikel.

    Die echten Vollblut-Politiker sterben nun langsam aus.