piwik no script img

Kolumne OverseasHeiße Nächte in Washington

Kommentar von Adrienne Woltersdorf

In den USA sind Stewardessen selten freundlich - sie werden eher handgreiflich und setzen sich auch so durch.

S ummertime, and the living is easy. Na, von wegen. Nicht die Fische springen, sondern das Insektengetier. In der brühwarmen Sommersauna, in die sich Washington im Sommer verwandelt, sind selbst die Nächte so heiß, dass wir uns mit Erlebnisberichten aus dem Alltag abkühlen müssen. So etwa eine Kollegin, die allein im ersten Halbjahr 2008 sage und schreibe sechsmal ihre Koffer verloren hat. Nicht dass sie sie selbst verloren hätte, vielmehr wurden sie verloren. Wenn sie hinter Obama und Hillary herflog, wie wir alle es zwischen Januar und Juni mit irgendwann nachlassender Begeisterung taten, etwa nach Columbia in South Carolina, fand sich ihr Koffer Tage später zum Beispiel in Milwaukee.

Bild: taz

Adrienne Woltersdorf ist taz-Korrespondentin in Washington D.C.

Das Schauspiel war immer das gleiche. Da der Wahlkampf der beiden Demokraten sich oft genug in Städten mit kleinen Flughäfen abspielte, die gar nicht auf die Stampede mehrerer tausend Journalisten eingerichtet waren, gab es halt Schwund. Angeblich gibt es irgendwo in Amerikas Weiten einen Kofferfriedhof. Wohl eine Halde aufgegebener Koffer, die kein Computersystem mehr lokalisieren konnte. Sicher wissen wir nur, dass es ganze Lagerhallen mit Containerladungen gibt, in denen sich Nagelscheren, Taschenmesser, Bic-Feuerzeuge und Shampooflaschen befinden. Alles, was die Security den schusseligen Reisenden halt so abnimmt.

Fliegen ist ein Endlos-Thema in den Vereinigten Staaten. Alle tun es. Wer mal eben von New York nach Houston will, kann halt nicht mal schnell mit dem Auto losfahren. Das ist wohl der Grund dafür, warum sich Stewardessen in den USA aufführen wie bei uns die Verkehrspolizei. Schließlich herrscht oben fast mehr Stau als unten und die meisten Unfälle passieren in den USA auf Flughäfen. Erst neulich bretterte mal wieder ein parkierender Flieger in einen Bautrupp. Jedenfalls sind Stewardessen wohl nicht in erster Linie dazu da, uns Fluggästen das Leben so angenehm wie möglich zu machen, sondern eher um uns wie eine Horde Schüler auf Schulausflug zu beaufsichtigen - und wenn nötig zusammenzuscheißen. Mein jüngstes Erlebnis dieser Art spielte sich auf dem New Yorker Flughafen Newark ab. Zweimal wurde unser Abfluggate geändert und ich und der Liebste langten schließlich atemlos und mehr durch beharrliche Recherche am richtigen Gate an. In der Eile hatte niemand Zeit gehabt, die Plastikschildchen an den defekten Anzeigetafeln umzustecken. Egal, wir saßen bald ermattet auf unseren Plätzen. Hinter uns entstand aber bald eine Diskussion.

Zwei Südostasiaten forderten zwei Latinos in einer mir unverständlichen Sprache auf, die Plätze zu räumen. Es dauerte nicht lange und eine dralle Schwarze kam angeschossen. "Was ist hier los?", wollte sie wissen. Nach kurzem Hin und Her schrie die erboste Stewardess die beiden Südostasiaten an: "Was fällt Ihnen ein, Sie sind im falschen Flugzeug!" Die beiden blieben sprachlos, denn sie verstanden offenbar kein Wort Englisch. Die Stewardess setzt sie, handgreiflich werdend, auf freie Plätze etwas weiter hinten, denn die Maschine legte gerade vom Einstiegarm ab, um Richtung Rollfeld aufzubrechen. "Bewegen Sie sich nicht vom Fleck, Sie sprechen kein Englisch, ich rufe jetzt die Security."

Als die beiden nach vorne laufen, um herauszubekommen, was los ist, tobte die Flugbegleiterin. "Hinsetzen!" Als in der Kabine Gemurmel anhebt, herrschen die Frau und auch ihre Kolleginnen uns alle an: "Jetzt aber mal Ruhe!". Keiner wagt mehr, einen Mucks zu machen, aus Angst, es gäbe bei Missachtung Orangensaftentzug. Obgleich die Maschine bei brütender Hitze dann noch eine ganze Stunde auf dem Asphalt herumsteht, bevor sie wieder anlegen darf, sitzen wir alle brav angeschnallt in unseren Sitzen, keiner traut sich aufs Klo. Bei der kleinsten Disziplinlosigkeit stampfen die Stewardessen herbei, und ihr Blick ist so, dass einem jeder Wunsch im Halse stecken bleibt. Während im Flughafen bei ausgefallenem Terminalcomputer die reinste Anarchie herrscht, haben die stämmigen Flugbegleiterinnen uns fest unter Kontrolle.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!