Kolumne Ostwärts Immer: Ein gutes Körpergefühl
Motorblöcke hochziehen, Bankdrücken, Schluss mit den dünnen Berliner Büroarmen. Der EM-Reporter auf dem Weg zu einem richtigen ukrainischen Mann.
D as ist jetzt kein leichter Moment für mich. Ich ziehe mein T-Shirt aus. Schaut jemand? Lacht jemand? Niemand schaut. Oder doch? Es ist ein ganz normaler Nachmittag an einem der zahlreichen Sandstrände an den Ufern des Dnjepr. Tausende Kiewer bräunen ihre Körper und erfrischen selbige beim Baden in gewöhnungsbedürftig brauner Brühe.
Ich mache das an diesem Tag auch, werde von der Sonne ein wenig rot und vom Wasser nicht braun. Und doch ist mir unwohl. Mit meinen dünnen Berliner Büroarmen fühle ich mich einfach nicht Kerls genug in dieser Stadt der starken Männer. Mit den gewaltigen Oberkörpern vieler Kiewer Mannsbilder kann ich einfach nicht mithalten.
Schaut jetzt jemand? „Hello, how are you?“ Ein Baum von einem Mann steht vor meinem Handtuch. Er hat meinem Körper wohl angesehen, dass er nicht ukrainischer Bauart ist.
ist Sportredakteur der taz und während der EM in der Ukraine unterwegs.
Hat also doch jemand geschaut. Euro, Fußball, die Russen und die Ukraine. Wir unterhalten uns ein wenig über das, worüber man sich in diesen Tagen eben unterhält in Kiew. Dann will er gehen. Trainieren. Klar, was sonst, denke ich mir. Ich soll doch mitkommen, sagt er. Dass ich nicht einmal einen einzigen Klimmzug machen kann, lasse ich unerwähnt und folge ihm.
Das Fitnessstudio, das wir aufsuchen, ist keine 100 Meter vom Strand entfernt. Unter freiem Himmel sind hunderte Folterbänke aufgebaut, an denen sich jeder, der trainieren will, ein wenig aufpumpen kann. Mein neuer Freund zeigt mir, wie viele Klimmzüge er machen kann. Es sind sehr viele. Danach setzt er mich auf eine verwitterte Holzbank, über der eine gewagte Konstruktion aus zusammengeschweißtem Stahlschrott angebracht ist.
Via Seilwinde ziehe ich Teile alter Motorblöcke in die Höhe. Mein Begleiter lacht. Danach muss ich noch bankdrücken. Die mächtigen rostigen Ketten sind sicher schwerer als die kleinen Gewichte, die ich stemmen soll. Ich schaffe es ein paar Mal. Geht doch, sagt mein Trainer.
Als ich aufstehe, halte ich mich ganz anders. Meine Brust fühlt sich ganz breit an. Ich gockle zurück zum Strand, freue mich an planschenden Kindern, kichernden Frauen und Männern, die zu Gitarrenbegleitung volkstümliche Lieder singen. Ihnen geht es darum, dass alles egal ist, solange man Bier und Frau hat. Später stelle ich fest, dass ich mich nach meinem Abstecher ins Fitnessstudio gar nicht mehr für meinen Körper geniert habe. Wenn das Wetter passt, trainiere ich morgen wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker