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Kolumne ÖkosexÖkosex im Bundestag

Wie man das Leben in vollen Zügen genießt - und andere klimapolitische Herausforderungen des Verkehrswesens.

Das war heute ein schöner Samstag in Berlin. Bei Sonnenschein ging es um abschmelzende Gletscher, Verkehrswachstum, Autoflottenverbrauch, Tankeremissionen, Bahnfahren mit Atomkraft, steigende Flugemissionen, Elektroantrieb und den ganzen Kladderadatsch. Ökosex war im Deutschen Bundestag bei der Konferenz einer Fraktion, die wohl immer noch die höchste Fahrradfahrerdichte aufweist. Lekker Koffie. Gepflegtes Ambiente. Blick auf die Spree. Richtig gemütlich haben es die Abgeordneten. Das Thema war natürlich der Horror. Irgendwie läuft es nicht so richtig gut mit dem Verkehr und dem Klimaschutz. Das haben wir von Ökosex ja schon immer gepredigt. Kein Auto über 120, sonst wird das Klima ranzig. Aber können wir in Zeiten von Notstandsgesetzen und Finanzkrise überhaupt noch solche Banalitäten wie Wetter und VW Touareg diskutieren? Ökosex meint: Jetzt erst recht! Dazu eine Presseerklärung: "Das Scheitern des Casinokapitalismus bedeutet, dass Sie Ihr Geld, oder was davon übrig ist, so schnell wie möglich in die soliden Werte der solaren Effizienzrevolution investieren sollten." Diese Ökosexansage ist nötig, da anscheinend, so wurde in Berlin kolportiert, der deutsche Wirtschaftsminister Glos ganz anderes vorhat: einen Bestandsschutz für klimaschädliche Aktivitäten. Das dürfen die Freunde des Ökosexes natürlich nicht durchgehen lassen.

Bild: taz

Martin Unfried, 41, arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.

Und die waren alle da. VCD, DUH, BUND, UBA, WWF, BMU, MdB, MdEP, FU, PIK, Puck und pipapo. Wenn Sie die Abkürzungen kennen, sind sie ein Insider. Wenn nicht, sollten Sie erfahren, dass die Veranstaltung etwas umweltlastig war. Der arme Herr Dr. Schlick vom Verband der deutschen Autoindustrie wurde von allen Seiten bedrängt. Er erklärte überzeugend, warum die Konzerne noch einige Jahre die Schluckspechte in den Markt drücken müssen. Wegen der langen Modellzyklen und natürlich der Arbeitsplätze wegen. Ach, das allgemeine Gemaule der Umweltjohnnies konnte er leicht verkraften. Denn Rebecca Harms brachte am Morgen schon schöne Nachrichten für ihn mit aus dem Europäischen Parlament. Das mit den Flottenwerten für 2012 ist prima gelaufen für die deutsche Industrie. Von den 120g/km CO2 im Jahr 2012 wird wohl am Ende in Brüssel nicht mehr viel Substanz übrig sein. Verbröselt, verwässert, verwurschtelt, verschlufft. Zwar wird in Brüssel noch mit unbekanntem Ende zwischen Rat und Parlament verhandelt, die grobe Richtung allerdings steht: auch im Jahre 2012 werden die meisten Autofahrer ihr Geld mit vollen Händen aus dem fahrenden Autofenster werfen.

Am Nachmittag war die Ökosex-Kolumnenband dran mit ein paar Songs und viel Werbung für mehr emotionale Klima-Intelligenz. Und da wir auch nicht nur zum Kuscheln da waren, kritisierte ich die Grünen ganz gewaltig. Mit bewegter Stimme und den Tränen nahe appellierte ich: "Boykottieren Sie die Fahrbereitschaft des Bundestages und deren Spritschleudern. Es gibt keine gute Politik im falschen Gefährt!" Winfried Hermann, der verkehrspolitische Sprecher, war ganz begeistert. Ähm, ja, auf jeden Fall lächelte er höflich. Auch der Vorschlag für ein 100-Millionen-Euro-Rettungspaket, mit dem wir Prominente der Autoindustrie abkaufen und als mobile Effizienzrevolutionäre einspannen, wurde interessiert aufgenommen. Finanzierungen für irgendwelche Pakete sind im Moment ja recht einfach zu regeln.

Dann musste ich leider gehen. Wegen Zug und den nächsten sieben Stunden. Fliegen kann ja jeder. Um 17.48 Uhr am Hauptbahnhof in den vollen ICE 844 Richtung Köln. Ich will heim nach Maastricht. In Duisburg kommt der Regionalexpress verspätet. Jetzt nicht nervös werden. Ja, es ist die letzte Verbindung heute Abend. Ja, wenn die Verbindung in Venlo nicht klappt, dann habe ich ein Problem. Zugfahren ist nichts für Weicheier. Alte Ökosexweisheit.

Da sehe ich beim Einfahren in den Venloer Bahnhof, wie mein Anschlusszug nach Maastricht gerade davonbraust. Super! Plötzlich wird die Verkehrskrise auch emotional erfahrbar. Und mir fällt ein toller Romantitel ein: "Nacht überm Bahnsteig".

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