Kolumne Ökosex: Das Ende der Ökospießigkeit
Der deutsche Blockwart lädt ein: Zu einer Solarparty.
I ch habe mich total verändert, sagen meine Kinder. Eigentlich habe ich nämlich immer ins Bad reingebrüllt, es reiche jetzt bei ihnen mit dem Duschen. Das war so nach neuneinhalb Minuten Powerdusche. Es tat mir eben weh wegen der fossilen Brennstoffe, in diesem Fall Erdgas aus unserem eigenen Groningen. Also, kürzer Duschen! Das war gute alte Ökospießigkeit!
Martin Unfried, Jahrgang 1966, arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.
Harald Martenstein hat im Tagesspiegel gemeint, auch 68 habe eigene Varianten des Spießers mit faschistischer Blockwartmentalität hervorgebracht. Da fielen ihm zuerst die fanatischen Ökos ein. Oh, là, là. Mit Blick auf meine eigene Biografie eine nicht uninteressante These. Die würde ich gern mal mit ihm diskutieren.
Herr Martenstein, als Effizienzrevolutionär stehe ich zu den guten alten solaren Spartugenden. Meine süßen Langzeitduscher haben nämlich sogar beim Einseifen nicht mal den Hahn abgedreht! Nochmals: Es war eine fossile Dusche. Und die war so was von uncool. Konnte man nicht herzeigen, wenn Besuch kam. Das aber war gestern, womit wir endlich beim Angeberteil wären.
Auf meinem kleinen Reihenhausdach liegen jetzt 14 Quadratmeter Solarthermie, darunter ein großer Speicher mit tollem Display, mit dem ich jetzt jeden Tag spiele. Ooooh, schon wieder 89 Grad im oberen Bereich!! Uiih, die Solarpumpe lief heute sechs Stunden! Seit zwei Wochen säusele ich meinen putzigen Mitbewohnern in die Ohren, sie sollten sich doch ein bisschen länger waschen. Oder wollt ihr nicht am Abend noch eine schöne, heiße Dusche nehmen? Schließlich gäbe es ja immer wieder ein solares Morgen. Toll wird es im Winter. Duschwasser ist ja Pipifax, aber meine kann auch Heizung. Mit diesem tollen Lifestyleprodukt und ein etwas mehr Isolierung werde ich also meinem ersten Zwischenziel näher kommen: 50 Prozent weniger CO2 bis Ende 2009. Sie erinnern sich? Die Avantgarde vom Klimaklub will beim Wohnen und in der Mobilität halbieren. Und zwar nicht um die Welt zu retten, sondern um solar zu duschen, um den eigenen PV-Strom zu verbraten, um freudig die Landschaft mit eigenen Mühlen zu verspargeln. Lekker. Also, Konsum und Kapitalismus pur.
Am Wochenende nach den Bauarbeiten lud ich gleich meine niederländische Nachbarschaft zur Solarparty. Sozusagen als deutscher Blockwart! Kleiner Spaß. Oh, wie interessiert diese meinen ausführlichen Kurzreferaten gelauscht haben. "De Koningin" unter den Erneuerbaren, die Solarthermie, wird ja völlig verkannt, besonders in unserer Straße. Das wird sich ändern. Ich musste meine Nachbarn auch leider warnen. Viele von denen werden über Nacht RWE- und Vattenfall-Kunden sein. Die niederländischen Kommunen sind nämlich wahnsinnig. Hatten noch recht stattliche Beteiligungen und Mitspracherechte beim Energiekonzern Essent und verkaufen die jetzt an die Braunkohle-RWE. Und der zweite große Konzern Nuon wird an die Atom-Jonnies von Vattenfall verhökert. Dabei heißt die solare Devise "kaufen" und nicht "verkaufen".
Mir fehlt beispielsweise in meinem Portfolio noch ein Energiekonzern. Aber da habe ich auch ein echtes Schnäppchen entdeckt. Die Thüga, eine Eon-Tochter ist bekannterweise im Angebot, und die werde ich mir holen. Das ist das heißeste Produkt des Sommers, gibt es unter "energie-in-bürgerhand.de". Ökospießer, Lohas und andere Warmduscher: Jetzt zuschlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure