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Kolumne ÖkosexLang lebe die Ökodiktatur!

Kolumne
von Martin Unfried

Die Freunde der Atomkraft entdecken ihre Ängste - vor Kretschmann, Fahrradterror und brutalen Tempolimits.

R ätsel: Wer hat beim harmlosen Castortransport die Hosen voll? Und wer transpiriert beim kleinsten Restrisiko? Natürlich der emotionale Atomkraftgegner, dieser alte Hosenscheißer. So einfach sahen das bis vor kurzem auf jeden Fall die Freunde der Kernspaltung. Hysterisch waren immer die anderen. Gefühle? Dafür hatten unsere Verantwortungsethiker keine Zeit. Für Atom sein, das hieß eiskalte wirtschaftliche Vernunft und wissenschaftliche Risikoabschätzung. Da brauchte es Leute wie Wolfgang Clement, Oliver Bierhoff oder Jürgen Grossmann, den Chef von RWE.

Heute lesen wir, dass jene harten Jungs plötzlich Gefühle zeigen. Nach Fukushima sind auch sie in der Lage, in sich hineinzuhören. Sie fürchten sich gewaltig, weil Deutschland schrecklich bedroht ist. "RWE-Chef warnt Merkel vor Ökodiktatur." Diese Lachnummer habe ich bei Spiegel online gelesen. Grossmann frage sich, ob damit "der wirtschaftliche Erfolg generiert werden kann, der für wirtschaftliche Stabilität, möglicherweise sogar für unsere Demokratie nötig ist". Und so lautet die Kausalkette: ökologische Bedenken heißt Atomausstieg, heißt ausbleibender wirtschaftlicher Erfolg, heißt wiederum in Deutschland keine Demokratie. Das wirft Fragen auf: Ist eine politische Entscheidung gegen das Interesse von RWE bereits ein Putsch? Merkel also bereits eine Diktatorin? Noch interessanter: Arm und demokratisch, geht das gar nicht? Sie merken, das Gemoser ist so süß irrational, so heiter emotional, das ist German Angst pur! Das sollte von der Kasse als Therapie anerkannt werden.

Spaß beiseite: Diktatur ist bekanntlich die uneingeschränkte Herrschaft eines Einzelnen oder einer Clique, die nicht durch freie Wahlen legitimiert ist. Was eine Ökodiktatur ist, bleibt undeutlich. Da gibt es bei Wikipedia keinen Eintrag. Gott sei Dank haben ihre Propheten seit Jahren die Vorzeichen erklärt: brutale Tempolimits, übler Fahrradterror in der Innenstadt. Oder menschenverachtende Verordnungen, die Hausbesitzer zum Dämmen zwingen. Alles klassische Zeichen der Machtübernahme.

Bild: taz

MARTIN UNFRIED ist Autor der taz.

Bei faz.net hat der Wirtschaftsredakteur Winand von Petersdorff jüngst eine neue Variante beschrieben: die "herzliche Ökodiktatur". Die ist so richtig fies. Hinter dem freundlichen Gesicht von Kretschmann verstecke sich der Tyrann. Originalton: "Es wächst eine Ökotyrannei in Deutschland, sie stützt sich auf eine große Mehrheit. Und die Bundesregierung steht an der Spitze." Erfrischend crazy. Der Ton erinnert an Hardcore-Atomgegner. Auch die sahen im "Atomstaat" das Ende der Demokratie "as we know it".

Ganz groß in Mode kommt auch die Warnung vor dem "Tugendstaat" der Grünen, der seine Bürger ökomäßig zwangsbeglücken möchte. Jan Ross hat dazu in der Zeit ein hochemotionales Glanzstück geschrieben. Auch hier bricht die nackte, liberale Angst durch vor verlangsamtem Autofahren und beschleunigtem Atomausstieg. Davor, dass der Staat Solarstrom und Elektroautos als "Zukunftsprodukt" identifiziert und fördert. Das ist irgendwie berührend und spannend zugleich. Endlich lassen die Kollegen Gefühle zu.

Jungs, lasst es raus!

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15 Kommentare

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  • L
    lab

    Ja, es ist schon lustig, wie sich die Rollen verschieben. Vor einiger Zeit hörte ich einem Streitgespräch zwischen einem Greenpeace-Vertreter und einem Lobbyisten zur CCS-Technik (Kohlendioxidabspaltung in Kohlekraftwerken) zu. Während der Greenpeace-Vertreter in seinem Vortrag detailliert vorrechnete, was die Anwendung der Technik kosten würde, welchen Effekt sie auf den Wirkungsgrad der Kraftwerke haben würde und warum man allein aus Bauzeitgründen damit keinen nennenswerten Beitrag zur CO2-Reduktion leisten könnte, begann der CCS-Lobbyist seinen Vortrag mit dem Zitat "Nur wer nicht kämpft, hat schon verloren" und bestritt seinen ganzen Vortrag mit vagen Zukunftsversprechen ohne irgendwelche konkreten Zahlen oder Belege.

     

    Da dachte ich zum ersten Mal, dass sich die Zeiten definitiv geändert haben...

  • S
    suswe

    @ IJoe:

     

    Braune Wurzeln bzw. Verbindungen hat die Industrie auch. Man lese dazu unter anderem Bernt Engelmann.

     

    Indessen regelt die böse böse Okodiktatur die Parkplatzprobleme in den Innenstädten.

     

    Nu hab ich aber Angst.

  • B
    überrascht

    Die Ängste der Leute die nicht gleich in Hysterie ausbrechen wenn das Wort Kernkraft fällt sind wenigstens real und nachvollziehbar. Da gehts um Kohle, Zaster, Moneten, egal ob Betreiber oder Verbraucher.

     

    Aber bei den Öko-Paranoiden gehts ja nicht unter 'nem Weltuntergang. Diese Hypochonder-Mentalität, dass theoretisch etwas passieren könnte...das ist die peinliche, lächerliche German-Angst.

  • H
    harhar

    Die feigen Atomfreunde machen sich schon seit Wochen in die Hose vor panischer Angst!

     

    .....da sieht man mal, wer die echten Technik-Hasser und Angsthasen vor moderner Technologie sind: unsere lieben, ewig gestrigen Atomfreunde!!

  • F
    Floyd

    @überrascht: Der eigentliche Witz ist doch, dass man sich über das Gemopper über eine "German Angst" tatsächlich echauffiert bzw. dieses ernst nimmt. Von den Zuständen in Deutschland träumt die Bevölkerung der sich mokierenden Länder doch nur - da lasse ich mich gerne als Angsthase brandmarken, wenn es meinem Volk und damit auch mir gleichzeitig so viel besser geht.

  • R
    Robert

    Interessant wird es doch erst wieder, wenn es kein wirtschaftliches Wachstum mehr gibt. Und auch kaum noch welches zu erwarten sein wird. Was wird dann wohl von Demokratie und Rechtsstaat übrigbleiben?

     

    Das wirkliche Problem aber ist, so scheint mir, das unglaublich beharrliche Bedürfnis nach Gegnern und Feinden. Jede®, der/die noch welche - in welcher Form auch immer - benötigt, hat doch selbst gewaltige Defizite. Die Anderen sind die Schuldigen, die Fehlgehenden, die Falschen, die Dummen, die Aggressiven,... Na, usw.usf.

     

    Es ist m.E. nicht die Angst vor einer Ökodiktatur, sondern die riesengroße, unreflektierte Angst vor einem liebevollen Leben.

  • S
    Samuel

    Zumal die vermeintliche Wirtschaftspolitik dieser mainstream-Medien ja nie zukunftsweisend war. So ist Deutschland in den letzten Jahren dank der von ihnen weitgehend totgeschwiegenen landesweiten und nach wie vor exorbitant berechtigten Kritik am aktuellen Ent-Bildungssystem nach G12- und Bologna-Bachelor-Master-Wahnsinn immer weiter in der Bedeutungslosigkeit versunken. Auch die von den mainstream-Medien behandelten klassichen Wirtschafts- und Industriebereiche haben auch mit ihren dumping-Löhnen die Welt erst an den heutigen Abgrund geführt und bieten keinerlei Zukunftslösungen. Diese hingegen bestehen gerade in regenerativen Energien, alternativen Verkehrsmitteln, natürlichen und unbehandelten Lebens- und Nahrungsmitteln und vor allem in tauglichen Lösungen zum aktuellen Weltfinanzterror.

  • T
    tyrann

    Genau, eine Diktatur des Profits ist allemal besser als eine "Ökodiktatur".

    Mir sind die Müslifresser und Dreadlocks doch lieber, solange sie mich in Ruhe und selbst denken lassen. Rückendeckung von "ganz oben" brauche ich dabei nicht.

  • A
    Andi

    Ökologische Politik gefährdet also die Demokratie, weil dann die Gewinne etwas geringer ausfallen?

     

    Was die Demokratie nicht gefährdet sind immer weiter steigende Profite, die erkauft werden durch millionen Arbeitsloser und Löhne die so niedrig sind, daß der Staat sie aufstocken muß sowie die nicht ausreichende Abführung von Steuern der Unternehmen, die somit ungenügend an die Kosten, die sie verursachen, beteiligt werden.

     

    Das alles stützt natürlich die Demokratie...

  • M
    matt

    Besonders schön: Die Tyrannei, die sich auf eine große Mehrheit stützt.

    Danke für den schönen Artikel.

     

    Was die Kommentare angeht: Ich hoffe einfach Mal, dass Irrsinn mit gesteigertem Sendungsbewusstsein einher geht und die Kommentare, die man gemeinhin liest, das Denken der Gesellschaft nicht akkurat abbilden. Man könnte auf die Idee kommen, die Mehrzahl der Leute wären total bescheuert. Aber, nein, das will ich doch nur ungern glauben. Wäre zu deprimierend.

  • O
    oreilly

    Die Angst vor der Ökodikatatur ist offenbar so tiefgreifend, dass selbst gestandene FAZler ihre sonst so hoch gehaltene humanistische Bildung vor lauter Schreck vergessen.

     

    Oder wie soll man Wienand von Petersdorfs Äusserung " "Es wächst eine Ökotyrannei in Deutschland, sie stützt sich auf eine große Mehrheit." sonst verstehen?

     

    Der Tyrann als Alleinherrscher zeichnete sich ja nun mal gerade dadurch aus, dass er gegen den Willen der Polis illegitime Herrschaft ausübte.

  • B
    überrascht

    Endlich können die Erfinder der German-Angst mal zurück Lästern!

    Die in Sack und Jute gekleideten und Dreadlock gekrönten Ultra-Paranoiker die uns seit den 70ern aus den Nachrichten über diverse Demos entgegenleiden können nun den Spieß umdrehen und die wirtschaftlichen Bedenken, mit der politischen Rückendeckung von ganz oben, weg Lästern.

    Aber, dass spätestens seit der Waldsterben-Paranoia der Rest Europas sich über die German-Angst zu Recht lustig macht, diesen Verdienst können sie sich mit voller Inbrunst neben den Atomkraft-nein-danke Button ans Revers heften.

  • I
    IJoe

    Ökos - der sichere Weg in den Untergang. Die Mischung machts: eingebildete Gefahren & Allmachtsphantasien (die ganze Welt muss Sprossen essen, Verzeihung, geht ja auch nicht). Man lese auch mal: die braunen Wurzeln der Ökos - sehr lustig!

  • S
    systemix

    Das war doch abzusehen. Wenn wirtschaftliche Interessen in Gefahr geraten, dann ist jedes Mittel recht um die Bevölkerung zu manipulieren und dumpfe Ängste zu schüren.

     

    Die andere Seite ist die ökologische Inquisition. Es ist ein Charakterzug des hässlichen Deutschen seine Mitbürger stets in Gute und Böse zu sortieren und zu selektieren. Ob das nun der schwäbisch-pietistisch geprägte Eigenheimöko ist, der die Mülltonnen der Nachbarschaft auf richtige Mülltrennung kontrolliert, oder der Berliner Laubenpieper, der die Hecke vom Nachbarn nachmisst, schaut ob die Gartenzwerge ordentlich aufgestellt sind und die Nutzfläche vermisst, ob da nicht etwa ein halber Quadratmeter Rasen zuviel angelegt wurde.

     

    Der Deutsche ist von altersher ein geprügelter Hund gewesen. Deshalb hat er dieses System verinnerlicht und als Leidkultur kann er sich nichts anderes vorstellen. Von Demokratie ist er meilenweit entfernt und so müssen wir mit solchen Angstpredigern eben leben. Nur beharrliche Aufklärung kann diesem Muff langsam abziehen lassen.

  • K
    Kollegin

    Schade, dass du das mit der Ökodiktatur nicht von taz.de hast, Martin.