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Kolumne NüchternKlarer in Brandenburg

Daniel Schreiber
Kolumne
von Daniel Schreiber

Zwar haben Menschen schon immer Alkohol getrunken, aber heute trinken wir unvergleichlich mehr. Warum die „Mad Men“-Nostalgie in die Irre führt.

Man muss ja wirklich nicht alles trinken ... Bild: reuters

V ergangenen Samstag fand ich mich unter einem Partyzelt auf dem brandenburgischen Land wieder und fragte mich wie so oft in meinem Leben, was mich ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Wie ich erfuhr, bestand die Partyplanung darin, neben Entertainmenteinlagen, einigen Kästen Bier und einem kalten Buffet eine Flasche Klaren pro Gast bereitzustellen. Liebevoll angebrachte Metallplaketten verkündeten „Korn trinken hilft der Landwirtschaft“.

Es war ein sehr lustiger Abend. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn mit der Kolumnendeadline im Kopf als soziologische Ministudie zu nehmen. Aber so richtig weit kam ich damit nicht. Das Geschehen wirkte überaus normal. Die meisten der Anwesenden hatten eine anstrengende Erntewoche hinter sich und schalteten jetzt ab.Viele von ihnen machten den Eindruck, als würde es ihnen sehr viel besser tun, nicht so viel zu trinken, und als würden sie das auch wissen. Aber dem Trinken, ich erinnere mich gut, ist mit Vernunft nur schwer beizukommen. Alle Anwesenden wirkten vernünftig.

Ich musste viel an einen Freund von mir denken, der findet, dass ich in dieser Kolumne ausklammere, dass es viele Menschen gibt, die einfach gerne trinken, und dass ich praktisch einem ganzen Land ein Alkoholproblem attestiere. Immerhin werde in Deutschland schon seit Jahrhunderten Wein angebaut und Bier gebraut. Leute hier hätten schon immer viel getrunken.

Bild: privat
Daniel Schreiber

Daniel Schreiber lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“.

Vervierfachter Konsum

Auch Peter Richter führt in seinem Buch „Alkohol“, einer Ode an den funktionierenden Alkoholismus, historische Gründe für das Trinken an. Dafür holt er sogar bis zu den alten Ägyptern aus, die schon Bier brauten. Solange man nicht mehr als zehn Gläser am Abend und viel Wasser zwischendurch trinkt, so Richter, und ab und zu mal eine Pause einlegt, sei alles in Ordnung: „Betrunkenen wird generell viel zu wenig Verständnis entgegengebracht.“

Das Problem mit der historischen These ist natürlich, dass sie falsch ist. Zwar haben Menschen tatsächlich schon immer Alkohol getrunken, aber heute trinken wir unvergleichlich mehr. Das hat mit unserem wachsenden Wohlstand zu tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Alkoholkonsum in Deutschland vervierfacht. Der durchschnittliche Deutsche nimmt heute pro Jahr 7,5 Liter mehr reinen Alkohols zu sich als 1950. Er trinkt 91 Liter mehr Bier als sein Großvater, 13 Liter mehr Wein, 5 Liter mehr Sekt und 3,4 Liter mehr harte Spirituosen.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in ganz Westeuropa und den USA beobachten. Wer trotzdem in „Mad Men“-Nostalgie verfällt, sei daran erinnert, dass auch der glamouröse Dauerbetrunkene Don Draper am Ende der neuen Staffel seinen Job verliert.

Wir leben in einem Land, in dem Alkohol ungleich günstiger als andere Genussmittel besteuert wird. Man zahlt Pfand auf Mineralwasserflaschen, aber nicht auf Weinflaschen. Mit Kinowerbung und Plakataktionen warnt man vor dem steigenden Alkoholkonsum unter Jugendlichen, ohne zu fragen, wie Jugendliche eigentlich auf die Idee kommen, so viel zu trinken.

Es wäre nur logisch, an dieser Stelle ein Plädoyer für eine breit angelegte Aufklärungskampagne zu liefern und nachdrücklich vor Gesundheits- und Suchtrisiken zu warnen. Aber das Trinken, glaube ich, widersetzt sich der Logik. Das Wort „Alkoholproblem“ legt nahe, dass es sich dabei um etwas handelt, dem man mit Vernunft beikommen kann. Doch wenn das so wäre, hätte niemand von uns eines. Man trinkt nicht weniger, weil man weiß, dass man ein Problem hat. Man hört nicht mit dem Trinken auf, indem man analysiert, warum man trinkt. Man hört damit auf, indem man aufhört.

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
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12 Kommentare

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  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Die statistischen Zahlen die hier verglichen werden sind wenig tauglich. In den 50er Jahren war fast jeder Bauer auch Brenner und Bier wurde in fast jedem Dorf gebraut. Ich habe den Verdacht und auch die Gewissheit, dass nicht jede Flasche Korn und nicht jedes Glas Bier auch versteuert wurde. Deswegen sind alle Spekulationen auf dieser Datenbasis Unsinn.

  • M
    mir-kommen-die-tränen

    Also irgendwas stimmt nicht an dieser Statistik. Nicht berücksichtigt wurde wahrscheinlich, dass heute auch Frauen vermehrt trinken. Da gab es 1950 noch mehr Hemmungen. Wir trinken also nicht mehr als Großvater sonder als Großmutter. Alkohol auf dem Bau, oder in der Fabrik, sind heute tabu. Statistiken sollte man immer hinterfragen, alles andere ist schlechter Journalismus.

  • S
    Super

    1950, was sind das den für vergleiche?

     

    Da Lebzeiten noch viele Menschen in Blechbaracken.

     

    Und dies wird mit Heute verglichen? Ist ja albern.

     

    Wenn dann nehmt doch wenigstens die1980et Jahre.

  • O
    Olorin

    Interessant wären ja die absoluten Zahlen, nicht nur 'mehr als 1950'.

  • G
    Gast

    Wollen Siw wirklich wissen, Herr Schreiber, warum die Menschen mehr trinken? Weil sie mehr Stress haben als früher und weil sie weniger rauchen. Und weil dem Bedürfnis nach kleinen Fluchten aus dem Alltag nicht mit Verboten beizukommen ist, die führen nur zu einer Verlagerung.

  • ZI
    zur Info

    Peter Richter Buchtitel ist "Über das Trinken" uns nicht „Alkohol“

  • F
    Flipper

    Na klar es wurde ja auch Zeit dass man nach dem totalen Rauchverbot auch langsam mal mit dem Alkoholverbot anfängt.

     

    Dass heute mehr getrunken wird als 1950 ist allerdings die steilste These. Schon mal daran gedacht, dass damals ein Großteil des Alkohols nicht über den Supermarkt eingekauft wurde und deshalb in Ihren Statistiken gar nicht auftaucht? Ich kenne noch allzu gut die Erzählungen von "früher" in denen die Bauern morgens erstmal ein paar Gläser Viez (Apfelwein, um 4-5%) zum Frühstück tranken, dann den ganzen Tag auf dem Feld ihren Durst damit löschten. Mittags gabs den ein oder anderen Schnaps und Abends mit Wasser gestreckten Wein. Nichts davon taucht in Ihren schlauen Statistiken auf, da entweder selbst gebraut oder vom Nachbarn bezogen.

     

    Und wenn Sie (wer schreibt eigentlich?) unbedingt mit dem Trinken aufhören wollen oder müssen: Dann tun Sie's doch einfach, anstatt drüber zu schreiben!

  • Hat schon mal jemand nach gerechnet, wie diese Zahlen zu Stande kommen? Bei allen solchen Statistiken habe ich das Gefühl im falschen Land zu leben, mein Verbrauch ist nicht annähernd so hoch, weder bei Alkohol noch bei Fleisch noch bei Zuckerverbrauch. Was wird da hochgerechnet?

     

    P.S. Vielen Dank!! für die Info zum Ende von Mad Men, wohl zuviel Korn getrunken.

    • J
      John
      @Thomas Fluhr:

      "Bei allen solchen Statistiken habe ich das Gefühl im falschen Land zu leben, mein Verbrauch ist nicht annähernd so hoch, weder bei Alkohol noch bei Fleisch noch bei Zuckerverbrauch. "

       

       

       

      Ich trinke ebenfalls so gut wie keinen Alkohol, mich wundert die Statistik aber nicht im Geringsten. Wenn ich im Bekanntenkreis höre, wie man damit prahlt, wie man besoffen irgendwo in die Ecke gekotzt hat, dann wundert mich nichts mehr.

       

       

       

      @Artikel

       

      "Solange man nicht mehr als zehn Gläser am Abend und viel Wasser zwischendurch trinkt, so Richter, und ab und zu mal eine Pause einlegt, sei alles in Ordnung: „Betrunkenen wird generell viel zu wenig Verständnis entgegengebracht.“"

       

       

       

      Im Gegenteil, Betrunkenen wird viel zu viel Verständnis entgegengebracht. Wer im betrunkenen Zustand Mist baut, sollte doppelt so hart bestraft werden, weil er zugelassen hat, nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein. Das gilt bei Sachbeschädigung, als auch bei Autounfällen und Co. Dass Menschen so viel saufen, ist eher traurig als lobenswert.

  • L
    Lionel

    Seltsam - erst kürzlich habe ich gelesen, dass der durchschnittliche Alkoholkonsum in Deutschland seit 40 Jahren rückläufig ist. Dabei wird sich auf die Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezogen. Danach trank Mitte der siebziger Jahre der Durchschnittsdeutsche noch 15 Liter reinen Alkohol pro Jahr. Heute sind es weniger als zehn Liter.

     

    Aber irgendwie passt diese Bestandsaufnahme wohl nicht zum heutigen Gesundheitsverständnis - Warnungen vor zuviel Alkohol, Fleischkonsum oder Fast-Food treffen die Gemütslage der ständigen Bedenkenträger wohl besser. Aber die ständigen Prohibitionsbemühungen, glaube ich, widersetzen sich der Logik.

  • K
    Karl-August

    Unfug. Der Alkoholkonsum ist in Deutschland und anderen Ländern seit Jahren kontinuierlich und stark rückläufig. Das einzige was steigt, ist der der Konsum von Wein.

     

     

     

    Ich hätte mit meinen Großvätern kein Wetttrinken machen wollen; die hätten mich sowas von unter den Tisch gesoffen. Das Herrengedeck nach Feierabend, der Sonntagsfrühschoppen, der Magenbitter bei "Völlegefühl", Weinbrand, Eierlikör und Korn in der Hausbar - für diese Generation völlig normal. Dagegen sind wir heute Abstinenzler.

     

     

     

    Ich empfehle dazu, mal alte Fanilienfotos aus den 60ern, 70ern und 80ern rauszukramen. Habe ich letztens gemacht und war stark beeindruckt von dem, was da bei Geburtstagen, Hochzeiten und sonstigen Festen aufgefahren wurde. Sowas sieht man heute nicht mehr.

  • P
    Peter

    Der Vergleich mit dem Jahr 1950 scheint mir sehr künstlich, da der Wohlstand, wie auch im Artikel erwähnt, zu der Zeit auf einem Tiefpunkt war.

     

    Wie sieht der Alkoholkonsum denn verglichen mit den Jahren 1960,1890 oder 1500 aus?