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Kolumne NüchternImmer diese Nichttrinker

Daniel Schreiber
Kolumne
von Daniel Schreiber

Der Nüchterne, nicht der Trinker fällt auf in der Gesellschaft. Alkoholismus gehört so selbstverständlich zum Alltag, dass er kaum wahrgenommen wird.

Bei Affen vielleicht noch normal. Bei Menschen gelten Safttrinker als seltene Spezies. Bild: ap

W as mich immer wieder irritiert, seit ich nicht mehr trinke, sind die teils recht brachialen Vorurteile gegen nüchtern lebende Menschen. Vorurteile, die Abhängigkeit betreffen, aber interessanterweise nicht an die Legionen aktiver Trinker adressiert werden, die die Bars, Büros und Bungalows dieses Landes bevölkern, sondern an die Nichttrinker.

Meistens handelt es sich dabei um völlig fehlgeleitete Projektionen der Intoxikation: dass Abhängige ewig auf Entzug leben zum Beispiel, dass sie Tag für Tag an nichts anderes denken als das Trinken, dass sie so etwas wie tickende Zeitbomben sind. Oder, ähnlich deprimierend, um nur schwer verdauliche Infantilisierungen: Man sei „trocken“ oder „hänge nicht mehr an der Flasche“.

Medial schlägt sich diese Haltung immer wieder in dramatischen Fotos von halb leeren Wodkaflaschen und anderen hochprozentigen Finessen nieder, die scheinbar das Leben des Nüchternen bebildern sollen, aber offensichtlich das genaue Gegenteil erreichen.

Der nüchterne Abhängige ist natürlich auffälliger als der Trinker, nicht zuletzt weil die meisten Menschen Alkoholismus im Regelfall nicht erkennen. Das Trinken gehört so selbstverständlich zu unserem Alltag, dass es gerade deshalb nicht gesehen wird.

Durch sein Nichttrinken scheint der Nüchterne diesen blinden Fleck sichtbar zu machen. Er verkörpert eine Krankheit, von der viele intuitiv glauben, dass sie keine Krankheit ist, und für die sich viele schämen, eine Krankheit, die oft versteckt wird und geheim gehalten werden soll.

Offene Ressentiments

In „Krankheit als Metapher“ setzte sich Susan Sontag 1978 mit den Vorurteilen auseinander, mit denen sie während ihrer ersten Krebserkrankung immer wieder konfrontiert wurde. Es waren Variationen von Vorurteilen, wie sie ein paar Jahrzehnte zuvor auch der Tuberkulose entgegengebracht wurden. Sie bestanden vor allem in der weit verbreiteten Annahme, dass die Erkrankung mentale und psychologische Ursachen hätte und durch Willensstärke geheilt werden könnte. Solche Theorien, schreibt Sontag, seien immer ein Indikator dafür, wie wenig die tatsächlichen physiologischen Ursachen einer Krankheit verstanden würden.

Diese Beobachtung lässt sich auch beim gegenwärtigen Verständnis von Abhängigkeit machen. Trotz der gewaltigen neurobiologischen Fortschritte der vergangenen Jahre, ist sie immer noch zu wenig erforscht. Immer noch wird Alkoholkranken ein Selbstverschulden unterstellt, immer noch denken viele, dass es mit einem bisschen Disziplin doch nicht so schwer sein kann, „normal“ zu trinken, was auch immer das bedeuten soll.

Vielen Menschen ist es natürlich völlig egal, wie viel andere Leute trinken. Sie begegnen dem Nüchternen meist mit einer Art soziologischem Interesse. Ach, so etwas gibt es auch?

Andere wiederum wissen einfach zu wenig über die Krankheit, hängen überkommenen Klischees an, den Tabus vergangener Jahrzehnte. Aber es ist erstaunlich, wie häufig man dann doch auf Menschen trifft, die auf den Nichttrinkenden herabschauen und ihm mit offenen Ressentiments begegnen. Ich musste mir etwa schon oft anhören, dass ich das Trinken verbieten wolle und einfach nicht verstünde, wie man Spaß hat.

Solchen Menschen würde ich dann immer gern sagen, dass ich Sie locker unter den Tisch trinken und in kürzester Zeit einen sehr viel glamouröseren Abend organisieren könnte, als sie ihn gerade haben. Aber das mache ich nie. Ich kenne diesen Hunger, diese Dringlichkeit, die durch diese Abwehr spricht. Früher hätte ich mit jemandem wie mir vielleicht ganz ähnlich geredet.

Darüber hinaus würde es sich wohl auch nicht sehr gesund anfühlen. Mein Leben ist so viel schöner, glücklicher und erfüllter als damals, als ich noch trank. Und im Grunde ist es mir irgendwie auch egal, was andere Menschen über mich denken.

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
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14 Kommentare

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  • wir müssen aufhören weniger zu trinken

    • MN
      Mi Nee
      @tomas:

      Denn gibts wahrscheinlich mehr Glasmüll. Weinflaschen und hochprozentigere Alkoholika kommen ja meist in Einweg daher. Hey Tomas, altes Haus, siehste eigentlich alte Posts von dir an, wenn du anderen Vorwürfe machtest? Kann ja sein, dass die nur nicht sofort reagieren.

       

      Tschö, ick jeh mal eene Alkoholflasche ausschütten und werfe sie danach lächelnd in den Hausmüll ;)

  • S
    Steffan

    Schön, dass das Thema Anti-Alkoholismus aufgegriffen wird. Ich finde es auch immer sehr unverständlich, mit welchem Tamtam eine Jenny Elvers-E... etwa in den Medien also große Heldin dargestellt wird, weil sie nun trocken ist und die Krankheit Alkohol (Alkohol = Spaß, Freiheit, Lebenslust (vgl. div. Werbungen)) "besiegt" hat, während nicht-TrinkerInnen immer als Aussätzige behandelt werden.

     

    Jedoch spiegelt dieser Artikel auch nur diese Sicht wieder. Hier scheint es auch nur Alkoholiker, oder trockene Alkoholiker zu geben.

     

    Scheinbar ist es für viele (inkl. des Autors?) einfach nicht vorstellbar, dass es viele andere gute Gründe gibt, freiwillig auf Alkohol und Drogen zu verzichten und ein bewusstes Leben vorzuziehen, um eben nicht eine Industrie und Gesellschaft zu unterstützen, die auf Benebelung und Betäubung und Realitätsverlust aus ist, ohne dass man Suchterfahrungen gehabt haben muss oder etwa durch relegiöse Paradigmen dazu getrieben wird.

     

    Vielleicht noch ein kleiner solidarischer Gruß an alle VeganerInnen an dieser Stelle :-)

  • Ich trinke nicht, rauche nicht und esse keine Tiere.

    Es fehlt mir nichts und es ist mir egal was andere denken oder sagen.

  • A
    amigo

    Saufen und freie Fahrt für freie Bürger ist das Zeug, das unser Land zusammenhält. Vielleicht noch die Blöd-Zeitung.

    Wer an dieser staatstragenden Sinnleere rüttelt, macht sich verdächtig.

  • H
    Hans

    Auch ich möchte betonen, dass es Leute gibt, die noch nie Alkohol getrunken haben. Ich habe mir mit 16 Jahren dazu entschlossen. Ich wollte anders sein wie die anderen - und in einer trinkenden Gesellschaft ist man das, wenn man einfach keinen Alkohol trinkt.

     

    Man wird dadurch ein wenig zum Außenseiter und Grenzgänger. Das lässt sich nicht vermeiden und soll ja auch so sein. Und ganz sicher könnte ich keinen unter den Tisch trinken wie der Autor oben. Ganz selten trinke ich im Sommer mit meiner Frau zusammen ein(!) Radler - das reicht, dass ich mich beduselt fühle ...

  • T
    trinker

    Hmmm,

    ich bin ein großer Fan der Wirkung von Alkohol.

    Ich kann auch die Aussage mein Leben ist erfüllter ohne nicht nachvollziehen, da ich nicht glaube, dass Alkohol so eine große Rolle da spielt ich bin ja doch 90% der Zeit nüchtern durchbrochen von Rauscherlebnissen.

    Klar kann ich bei mir eine gewisse Sucht nicht leugnen aber im ganzen gefällt mir das ganz gut und ich will einige Rauscherlebnisse echt nicht missen.

    Wenn das jemand nicht braucht spart er auf jeden Fall Geld etc. Aber ich kann gut verstehen warum die Mehrheit zu dieser leicht zugänglichen und effektiven Droge greift.

    Deshalb mein Frage was ist nun der Vorwurf an die Gesellschaft? I

    ch bin auch der einzige meiner Freunde der nicht Ski-fahren kann und dadurch ausgegrenzt aber sollen die das nun für mich sein lassen?

  • C
    consonuss

    Naja...Intoxikation -in welcher Form auch immer- ist ja in vielen Kulturen "normal". Und bei der massenhaften, legalen, günstigen Verfügbarkeit von Alkohol und der ständigen Verharmlosung dieser Droge im Vergleich zu anderen scheint es sehr verständlich, dass viele Leute "Abstinenz" als unnormal auffassen. Ich würde also das beschriebene Unverständniss und teils Aggressivität eher mit dem Verhalten vergleichen, das viele Vegetariern und Veganern gegenüber zeigen. Wenn man auf tierische Produkte verzichtet, wird einem ständig vorgeworfen, man sei ein indoktrinierender Weltverbesserer, auch wenn man nie jemanden versucht zu überzeugen. Ich denke, wenn Menschen sich (unberechtigterweise) genögtig fühlen ihr Konsumverhalten zu rechtfertigen, dann erscheint ihnen oft Angriff als die beste Verteidigung.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @consonuss:

      Als männlicher mittelalter Veganer hat man es schon nicht so leicht. Neulich waren wir zu einer Familienfeier in einem Nobelrestaurant, das auf Anfrage meinte, es könne problemlos ein veganes Essen auftischen. Faktisch wussten die aber gar nicht, was das ist (massenweise Sahne usw.). Viele wissen schlicht nicht, wie das ist, wenn man ohne das lebt, was anderen normal erscheint.

       

      Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch jene, die sich durch den "Verzicht" einer Minderheit gestört fühlen, weil sie meinen, ihnen würde dadurch ein Spiegel vorgehalten. Nicht gerade selten gebärden sich diese "Verzichtenden" ja auch als Moralapostel.

       

      Aber mal allgemein gefragt: wer is(s)t und trinkt schon ausschließlich gesund? Oder glaubt irgendwer, dass Cola gesünder als Bier oder Wein sei? Es gibt kein gesundes Essen im falschen! Insofern hat auch der Nichttrinker als notorischer Falschesser zur Beschwerde im Grunde keine Ursache.

  • Was mir an dem Artikel nicht gefällt ist, was er eigentlich zu Beginn kritisiert. NichttrinkerInnen wird prinzipiell unterstellt, sie seien trockene AlkoholikerInnen.

    Was aber ist mit all denjenigen, die einfach keinen Alkohol trinken? Ohne Grund, ohne Krankheit, ohne Abhänägigkeit. Einfach so. Sieht man davon ab, dass wir kontinuierlich zu Fahrdiensten bereit stehen dürfen (müssen), dass wir als letzte noch nüchterene die ganze Bagage dann versorgen dürfen und dass wir uns den gesamten Abend eigenartig vorkommen, eben weil wir uns an unserem Wasser festhalten, da es nichts anderes sonst gibt. Sieht man all davon ab, fehlt es mir einfach an der Normalität im Umgang. Dass es eben nicht normal ist, vollkommen ohne Grund Alkoholismus ohne Alk im Glas dazustehen. Praktisch aus oben genannten Gründen, aber schon ein wenig seltsam.

  • I
    Irrlicht

    ich habe ehrlich gesagt das gefühl, daß die deutsche bierkultur da eine "teilschuld" hat. "der trinkt ja keinen hartalk" heißt es dann, aber keiner außer der wirt bemerkt, ob der jetzt schon bei der 3. oder 6 Halbe ist... und bei Alkoholiker_innen dauert's lange, bis die "unterm Tisch liegen"!

    Wenn Leute mitkriegen, daß ich kein Bier trinke, nehmen sie lustigerweise in den meisten Fällen automatisch an, ich würde gar keinen Alkohol trinken.

  • Sehr schoener Artikel, trifft den Nagel auf den Kopf.

    Man muss sich in dieser Gesellschaft tatsaechlich dafuer rechtfertigen, dass man sich kein Gift in den Kopf schuettet.

    Traurig eigentlich. Denn wenn man es mal schafft, einen Trinker (aber natuerlich kein Abhaengiger) in ein kritisches Gespraech zu verwickeln, kommen sehr schnell Widersprueche auf, die, um sie wieder aus der Welt zu schaffen, meist in einem Eingestaendnis enden, dass man ein Leben ohne nicht gebacken kriegt, ergo sehr wohl abhaengig ist.

    Ich kann auch nur bestaetigen, dass mein Leben ohne Flasche viel erfuellter ist und ich am Ende des Tages auch nicht viel auf die Meinung anderer gebe, diesbezueglich.

  • L
    Liv

    Guter Beitrag. Nur den letzten Satz nehme ich dem Autor nicht ganz ab...

  • G
    Georg

    Der neue Ehemann der Mutter meiner Freundin ist ein ehemaliger Alkoholkranker, er trinkt also keinen Alkohol mehr, war aber früher abhängig davon. Und von dem bekommt meine Freundin doch tatsächlich Vorwürfe zu hören, dass sie doch ruhig was trinken können und ein "Spaßverderber" wäre. Als ich das gehörte hatte, da wusste ich einfach nicht was ich denken sollte...