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Kolumne Neue WerteDie Stadt als iPhone

Ulrich Gutmair
Kolumne
von Ulrich Gutmair

Arno Brandlhuber hat ein Haus gebaut, das den Rest von Berlin Mitte alt aussehen lässt. Während die einen sich freuen, fürchten die anderen die Chichifizierung des Kiez.

Die Faszination, die Männer wie die Humboldt Brothers auf die neuen Bildungsbürger ausüben, speist sich aus dem Gefühl eines Verlusts, der nicht erst eben eingetreten ist. Das klassische, sich selbst bildende Individuum ist von der Bühne abgetreten. Stattdessen überall Celebrities, die man dialektisch besehen als fiesen Racheakt der Geschichte für die Geringschätzung individuellen Handelns lesen kann.

Dabei kann auch im 21. Jahrhundert die beherzte Tat eines Einzelnen manchmal eine ganze Stadt wachrütteln: Schaut mal her, es geht auch anders! In Berlin heißt dieser Jemand derzeit Arno Brandlhuber, dessen Studenten ich hin und wieder beim Verfassen ihrer Masterthesis zur Hand gehe. Als Bauherr hat der Architekt mit Partner Markus Emde unter Mitwirkung von ERA/Boom auf einer Bauruine in der Brunnenstraße ein Haus errichten lassen, das die in Mitte wuchernde architektonische Ideenlosigkeit so nackt dastehen lässt, wie sie eben ist. Nun reden alle über das neue Ding in der Brunnenstraße wie von einer Offenbarung. Kollege Kito Nedo erklärt sich in der Art die Begeisterung richtig mit dem Ausmaß des architektonischen Traumas, in dem die Stadt auch noch drei Jahre nach Abtreten des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann gefangen sei. Auch wenn es etwas unfair sein mag, die konservative Grundstimmung in der Stadt einem einzelnen Buhmann anzulasten.

Brandlhuber brauchte dazu nur Beton, Polycarbonatfassadenelemente, die nie als solche gedacht waren, und den Mut, sein Haus mittels einer wilden Außentreppe zu erschließen. Über diese sagte Alexandra kürzlich, als wir Bier trinkend beieinanderstanden, sie lasse offen, ob sie einem anatolischen Autodidakten oder der Tessiner Schule zu verdanken sei. Das war nicht hämisch gemeint, sondern Ausdruck des Respekts.

Es sei ein billiges Haus, sagte Alexandra, das auf Putz und Estrich verzichte und den schnörkellosen Minimalismus der klassischen Moderne mit dem Charme des Rohen und Unfertigen verbinde, der Berlin seit Maueröffnung ganzen Generationen von Zuzüglern und Touristen so interessant gemacht habe. Der Eindruck des Prozesshaften sei anfangs noch durch den Umstand verstärkt worden, dass sich zum Zeitpunkt der Eröffnung der Galerie, die das Untergeschoss des Hauses gemietet hat, die oberen Stockwerke noch beinahe im Zustand des Rohbaus zu befinden schienen. So was kennt man in der Tat sonst nur aus Ländern des Südens und nicht aus der Mitte von Berlin.

Alexandra freute sich jedenfalls über Brandlhubers Coup, der uns immerhin die Hoffnung verleihe, noch sei Berlin nicht ganz verloren. Und ich freute mich mit ihr. Dann aber verblüffte mich Alexandra, wie so oft, durch eine kühne Wendung des Gedankens. Noch viel toller wäre es aber gewesen, sagte sie nämlich nun, wenn das wunderbare neue Haus nicht die üblichen Galerien und hippen Magazine beherbergen würde, sondern eine Behindertenwerkstatt oder gar eine Suppenküche.

Nein zum Designpreußen

Das stimmte, da hatte sie recht, genau das ist womöglich die Crux des Brandlhuberschen Erfolgs: Er verdankt sich der freudigen Zustimmung der jungen neuen Bürger, denen der so rückwärtsgewandte wie hilflose Rückgriff auf preußischen Ordnungssinn, der das Bild der Stadt zu dominieren sucht, womöglich bloß zu wenig iPhone-kompatibel scheint, während sie sonst ganz gern auf dem Ticket der neuen Elite fahren, die in der Stadt so gern das Sagen hätte.

Dass die Wertschätzung und Beobachtung von Phänomen meist nicht ohne deren gleichzeitige Veränderung zu haben ist, gilt nicht nur für Physik und Ethnologie. Auch Brandlhubers sympathische Feier der prekären urbanen Berliner Verhältnisse, wie sie die Brunnenstraße derzeit vielleicht wie keine andere Straße symbolisiert, stellt etwas mit ihrer Umgebung an. So freute sich auch Oliver Miller, einer der Betreiber des Kim und somit Brandlhubers Nachbar, im Slab Magazine über das Ufo, das nebenan gelandet ist - und begann sich zugleich zu fürchten vor der endgültigen "Chichifizierung" seiner Straße, die damit nun wohl eingeläutet sei. Jette Joop soll das besetzte Haus mit dem Umsonstladen auf der gegenüber liegenden Straßenseite gekauft haben. So wenigstens erzählt man sich.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).

1 Kommentar

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  • T
    taz-Leser

    Entbindet die Überschrift "Kolumne" einen Journalisten von der Recherche?

    Das Ende dieses Artikels scheint mir eher aus einem größeren Gebäude in der Axel-Springer-Straße zu kommen als aus der Rudi-Dutschke-Straße.

    Von taz-Redakteuren erwarte ich ordentliche Recherche und keine Polemik.