Kolumne Nachbarn: Eine Syrerin in den Alpen
Ein Brief an meine liebe Freundin Laura: Danke, dass du mir einen Traum erfüllt hast. Und dass du dir auch meine Albträume angehört hast.
N eulich verbrachte ich drei Tage mit Freunden in den Alpen. Heute will ich ein paar Einzelheiten dazu schreiben, um mich vor allem bei meiner Freundin Laura zu bedanken, die diese Reise komplett organisiert und mir damit den alten Wunsch erfüllt hat, in den Alpen wandern zu gehen. Ich hatte ihr nämlich erzählt, dass ich seit Jahren nicht in den Bergen gewesen war. Ein Brief.
Liebe Laura,
ich weiß, dass ich während der vier Tage sehr viel mit euch über mein Land geredet habe, vor allem über Latakia und Damaskus, die mir die liebsten Orte sind. Immer wieder stellte ich Vergleiche zwischen hier und dort an. Diese Eigenschaft begleitet mich stets, seit ich mein Land verließ und hierherkam. Gelegentlich hielt ich inne oder wechselte das Thema. Ich wollte dich nicht nötigen, dir meine Geschichten anzuhören.
Ich war gerade in den Alpen angekommen, als ich sogleich begann, mit den Lämmern zu spielen, so wie ich es früher in den Tälern von Latakia getan hatte.
Der Vergleich zwischen den Alpen und den Bergen an der syrischen Küste erscheint nicht schlüssig, misst doch die höchste Erhebung am syrischen Meer gerade mal 1.550 Meter. Doch allein der Geruch der Nadelbäume reichte, um mich dorthin wegzutragen.
Eine Begebenheit beeindruckte mich besonders: Eine Schweizerin, die wir in den Alpen trafen, konnte ihre Überraschung nicht verhehlen und sagte ständig „wow“, als sie feststellte, dass eine leibhaftige Syrerin aus Fleisch und Blut vor ihr stand. In den Nachrichten höre man nur von Krieg, Zerstörung und Tod, sagte sie. „Wow, eine Syrerin in den Alpen!“, fügte sie hinzu. Ihre Worte könnten ein Buchtitel sein.
Beim Gehen über recht gefährliche Pfade berieten wir spaßeshalber darüber, wen wir zuerst um Hilfe rufen würden, falls uns etwas zustoßen sollte. Zum Glück passierte uns nichts.
Am dritten Tag erzählte ich euch, dass ich von einem Rettungshubschrauber träumte, der über uns flog und Bomben auf uns abwarf, statt uns zu retten. In meinem Traum rannte ich und versorgte euch mit feuchten Tüchern, um euch vor den giftigen Gasen zu retten.
Ich merkte, liebe Laura, wie dich mein Albtraum traurig machte. Deshalb unterbrach ich und hörte auf zu erzählen. Ich wollte uns diesen schönen Morgen in den Alpen nicht verderben. Ich schätze deine Anteilnahme, dein Mitgefühl, deine Großzügigkeit und deine Unterstützung sehr.
Wenn jeder geflüchtete Mensch eine Freundin oder einen Freund wie dich hätte, Laura, und wie viele andere deutsche Freundinnen und Freunde, wäre die Kluft zwischen den Menschen in dieser Gesellschaft nicht so tief, wie sie heute ist. Dann würde die Integration vielen Menschen wesentlich leichter fallen.
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach