Kolumne Monday Mirror: Das Maddie-Business
Nichts Neues im Fall Madeleine McCann. Wie man trotzdem in den Nachrichten bleibt, führen die Briten vorbildlich vor.
E s gibt Neuigkeiten im Fall Maddie! Eine Nachricht, beleg- und überprüfbar, die neueste Neuigkeit im Fall jener Madeleine McCann, die kurz vor ihrem vierten Geburtstag während eines Urlaubs in Portugal im Mai aus einer Ferienanlage verschwunden ist: Heute erscheint in England das erste Buch über eines der "größten Mysterien aller Zeiten" - in Portugal ist bereits das dritte publiziert. Herausgeber des englischen ist selbstverständlich ein Medienverlag, denn Medien haben sich in Großbritannien zu den Hauptermittlern und -anklägern im Fall Maddie erklärt. Der Fall ist ein göttliches Geschenk, zumindest für jenen Teil der Branche, der mit Boulevard noch harmlos umschrieben ist. Star, Daily und Sunday Express. Sun. Und Mirror.
Mit dem Buch "Madeleine", publiziert im Verlag der Express- und Star-Zeitungen "Northern & Shell", hat sich nun ein gewisser Robert Downing vorläufig an die Spitze der Maddie-Experten gesetzt. Näheres ist sowohl beim Verlag als auch beim Daily Express, der das Buch eine Woche lang vorabgedruckt hatte, nicht zu erfahren. Umso minutiöser zeichnet Mr. Downing die Geschichte eines "herzzerreißenden" Verschwindens nach, begonnen in Portugal, am Tisch jenes Restaurants, in dem die Eltern mit Freunden zu Abend gegessen haben sollen, als Maddie verschwand. "Die Sonne über der kleinen portugiesischen Ferienanlage Praia da Luz war untergegangen " Obwohl Mr. Downing seinen Beschreibungen nach mit am Tisch gesessen und in der Anlage gewohnt haben muss, kann auch er die Hauptfrage nicht beantworten: Wo ist Maddie?
Umso genüsslicher nimmt er sich noch einmal alle in der Presse durchgespielten Ansätze vor: Wurde sie entführt? Haben ihre eigenen Eltern sie umgebracht? Hat ein Scientologen-Pärchen Maddie gekidnappt und getötet? Haben die Eltern Maddie verkauft? Wurde sie Opfer eines deutschen Pädophilen? Fakt ist: Es gibt keine Nachrichten im Fall Maddie. Schon gar keine Neuigkeiten.
Wie man auf dieser Basis dennoch groß im Nachrichtengeschäft bleibt, führen die britischen KollegInnen meisterhaft vor: jeden Tag das Bild der kleinen Maddie mit den Kulleraugen und eine Spekulation über eine neue Spur, belegt mit einer anonymen Quelle. Angeblich soll sie, könnte sie, wollte sie. Die Eltern, wie berichtet wird, machen dies und das. Die Eltern übrigens haben sich, nach einer weltweiten Tour mit Pressekonferenzen und Hilfesuchrufen, ebenfalls professionalisiert: Clarence Mitchell ist nun ihr Pressesprecher - ein ehemaliger BBC-Journalist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!