Kolumne Männer: Apocalypse Now
Auf dem Mekong unbekannte Welten zu erkunden ist ja so unglaublich männlich. Eine Pioniertat. Hinter mir grölen sie. Wie kann ein Mann in Würde altern, frage ich mich.
W enn ich den Kopf senke, lese ich im Roman "Extrem laut und unglaublich nah". Wenn ich ihn hebe, werde ich daran erinnert: Um mich herum ist es extrem laut, und alles ist unglaublich nah. Ich schippere den Mekong entlang. Von Houey Xay nach Luang Prabang in Laos. Eine Pioniertat, dachte ich. Sie wissen schon: etwas irgendwie Männliches, von wegen unendliche Weiten erkunden und so. Dachte ich.
Das schmale Boot durchpflügt die trägen, braunen Fluten des Mekong. Links und rechts Panoramen, von denen sich das Rheintal, die olle Nuss, mal ruhig ein paar Scheiben abschneiden könnte. Der alte Dieselmotor im Heck lärmt zuverlässig seit Stunden. Noch lauter aber sind meine Mitreisenden. Die "majestätische Ruhe des Anorganischen" (Max Goldt) schert sie nicht. Etwa zwei Dutzend Anfangzwanziger aus Großbritannien und den USA, die seit heute Morgen um neun, mit dem Rücken zur Aussicht, ausdauernd lauwarmes "Lao Beer" und Thaischnaps-Cola-Mischungen trinken.
In Jonathan Safran Foers Roman, den ich zu lesen versuche, lenkt sich der neunjährige Protagonist durchs Erfinden absurder Dinge von seinen Ängsten ab. "Extrem laut und unglaublich nah" ist auch ein Buch über abwesende Väter und was das mit deren Söhnen macht. Ein Männerbuch sozusagen.
MATTHIAS LOHRE ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Um mich herum sehe ich ein Panorama männlicher Lebensentwürfe. Direkt hinter mir die gerade erst Erwachsenen, die ihr Mannsein durch das Tragen von "Chang Beer"-T-Shirts, hochrote Gesichter und das betrunkene Pinkeln vom Bootsheck feiern. Die Briten haben diesen Tipp fürs rechte Männerleben perfektioniert. Dann gibt es da noch die Mittdreißiger, auf dem Boot anwesend in Gestalt einiger freundlicher, um Ausgleich bemühter und vielseitig interessierter Herren. Einer ist besonders sympathisch, ich sage aber nicht, wer. Ich bin übrigens 34.
Vor mir sitzt Jerome, Ende 40, Klempner aus dem Großraum Paris. Er wurde von seiner Freundin verlassen. Nun reist er allein durch die Welt, spricht kein Wort Englisch und sieht, wie er das mitgebrachte Baguette auf seinen Knien isst, sehr zerbrechlich aus. Seine Jugendträume haben sich nicht erfüllt.
Daneben schließlich thront Frank. Frank ist Anfang 70, ein einst gewiss bulliger Amerikaner. Er ist mit seiner Frau da. Seine Frau redet kein Wort mit Frank und auch sonst mit niemandem. Franks Frau ist Thailänderin und Mitte 20.
Der Lärm der Jungbullen schwillt an. Sie haben ein neues Saufspiel gefunden. Der neunjährige Oskar aus meinem Roman erfindet Dinge, um sich zu beruhigen. Ich zähle Buchstaben. "Schweißgeruch" besteht aus 13 Buchstaben, "Zweckehe" aus 8. Das Ablenken will mir nicht recht gelingen.
Hinter mir grölen sie jetzt, während wir alle gemeinsam den Mekong hinabschippern, "We will rock you". Jerome entschuldigt sich dafür, dass jemand ihm auf den Fuß getreten ist. Franks Frau hat Tränen in den Augen, und Frank merkt es nicht.
Wie lässt sich bloß als Mann würdevoll altern, frage ich mich. "Mehr", sage ich mir immer wieder, besteht aus 4 Buchstaben, "Gelassenheit" aus 12.
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