piwik no script img

Kolumne LustobjekteSelektive Demenz

Gern wüsste ich noch, wer 2012 Nobelpreisträger war. Stattdessen weiß ich: Bettina Wulff hat einen Dunstabzug.

Man muss das Buch von Bettina Wulff nicht mal gelesen haben um zu wissen, was drin steht. Leider. Bild: dapd

E ine neue Dunstabzugshaube. Das ist es also, was mir von der, ähem, Nachrichtenlage im vergangenen Jahr am besten im Gedächtnis geblieben ist. Die Dunstabzugshaube hat Bettina Wulff im Schloss Bellevue einbauen lassen, weil es ihr ohne nicht prinzessinnenhaft genug war. Muss sie die jetzt eigentlich rausreißen? Aber ich schweife ab. Bis vor Kurzem wusste ich nicht mal, dass diese Information in meinem Kopf existiert. Dann habe ich ein Jahresrückblick-Quiz gemacht.

Und ich weiß noch viel mehr! Dass zum ersten Mal seit mehr als 300 Jahren neue Thronfolge-Regeln für das britische Königshaus beschlossen wurden und britische Royals bald Katholiken heiraten dürfen. Dass Kim Jong Un sich mit einem Kraken fotografieren ließ, nicht jedoch mit einem Superman-Comic.

In der Neon gibt es eine Rubrik mit solchen Fakten, sie heißt „Unnützes Wissen“. Mein Gehirn ist quasi die Neon unter meinen Organen. Eigentlich sollte es erwachsen werden, stattdessen beschäftigt es sich die ganze Zeit mit Befindlichkeitsgedöns.

Bild: privat
FRANZISKA SEYBOLDT

ist Redakteurin bei taz.de und twittert unter @mareiwilltanzen. Ihre Kolumne „Lustobjekte“ erscheint einmal im Monat in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.

Von den Olympischen Spielen hingegen weiß ich nur eines sicher: dass sie stattgefunden haben. Vermutlich hat auch Angela Merkel mit dem griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras nicht nur einen gemütlichen Plausch gehalten („Das hier ist mein Büro.“ – „Das ist ein schönes Büro.“), sondern über Geld gesprochen. Und den Nobelpreis für Medizin, hm, den haben doch 2012 so zwei bis drei Männer über 50 bekommen, von denen mindestens einer US-Amerikaner ist (stimmt in 90 Prozent der Fälle, muss reichen).

Vergessen? Kann ich. Jedenfalls alle Informationen, die potenziell relevant sind. Wie funktioniert noch mal Prozentrechnen? Mit welcher Briefmarke frankiert man einen Standardbrief? Welcher war jetzt der Pin für die Bankkarte und welcher der fürs Handy? Ich weiß es nicht. Aber hey, ich weiß, dass die Narben von Seal nicht von einem Wohnungsbrand stammen, sondern von der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. Das wird mich bestimmt irgendwann weiterbringen. Jedenfalls rede ich mir das ein.

Vielleicht sind es aber auch die Gene. Selektive Demenz liegt bei uns in der Familie, und die Augen habe ich schließlich auch von der Oma. Leider ist dabei die falsche Hälfte des Gehirns betroffen. Die linke, die für analytisches Denken zuständig ist. Oder war es die rechte? Egal. Wussten Sie eigentlich, dass Hirn mit bis zu 3 Gramm pro 100 Gramm das meiste Cholesterin aller Lebensmittel enthält, etwa doppelt so viel wie Eigelb?

Es scheint, als bräuchte auch ich dringend eine neue Dunstabzugshaube – für mein Gehirn. Vielleicht ist der Ventilator kaputt, der den Mief nicht mehr fachgerecht absaugt. Oder die Rückstauklappe. Oder der Fettfilter ist verstopft.

Ach was weiß ich. Ich weiß ja nur Dinge, die ich gar nicht wissen will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    Mein Gehirn kann gar nicht so schnell vergessen, wie die Informationen reinrauschen. Schaue ich weg, bin ich ein Ignorant, filtere ich vor, bin ich ein Ideologe. No way! No chance!

     

    Die Folgen:

    Mittlerweile interessiere ich mich mehr für Leute, die ich persönlich nicht kenne als für meine Verwandten. Mittlerweile gebe ich mehr Geld aus für Dinge, die ich nicht wirklich brauche als für Notwendiges.

    Mittlerweile brauche ich nicht mehr über Dinge reden, die ich selbst erlebt habe, weil genug fremdes Material abrufbar ist.

  • T
    T.V.

    Ich wünsche mir bei der Taz irgendwie Journalisten, die nicht im Klatsch und Tratsch wühlen. Dafür gibts genug andere Zeitschriften. Gibt Menschen die interessiert sowas einfach nicht und die haben keine Angst zu verpassen wer bei irgendeiner Fernsehshow gewinnt oder welches Promipaar sich als nächstes trennt.

  • S
    Slobo

    Lustiger Artikel, aber er erschreckt mich doch ein wenig. Das Vergessen ist halb so schlimm, das passiert mir auch. Aber erschreckend finde ich, dass so viele unnütze Dinge im Gedächtnis hängen geblieben sind, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Ich lese/höre/sehe kein Boulevard und bin auch froh darum. Jedenfalls selektiere ich die Informationen selber bewusst raus und nehme meinem Hirn da schonmal ein wenig Arbeit hab. Vielleicht bleibt so auch mehr von den wichtigen Dingen hängen...

  • A
    aujau

    wie waere es mit mehr Auswahl bei der Lektuere? Das koennte die Anhaufung unnuetzen Wissens verhindern.

  • H
    hm-hmm

    war das jetzt ein "artikel"?

     

    und ist das jetzt ein kommentarfeld?

     

    wer bin ich und wo bin ich hier? welcher tag ist heute?

     

    ich klicke die taz an, um eben den prozentsatz an ansonsten recht hohem gehalt an unnützen "informationen" zu senken und dann ertappe ich meine augen beim lesen von sowas... empfehle nicht einen neuen "filter" für die "gehirn-abzugshaube" der hier den gehalt ihres übervollen filters ausbreitenden dame, sondern dringend neue lesegewohnheiten. was nicht erst rein gestopft wird, muss auch nicht erst herausgefiltert werden. etwas weniger Bild, gala und brigitte, etwas weniger "sonstiges" lesen, etwas besser sortiere lektüre und schon muss man taz.de-leser nicht mit filerresten behelligen.

     

    (im ernst jetzt? die bezahlten für diesen beitrag?

     

    krass...)

  • I
    ion

    Fr. B. Wulff (wie heißt Sie eigentlich aktuell?) braucht-e vermutlich ’ne "neue Dunstabzugshaube" für Ihre mentalen Flatulenzen;

     

    Und Sie dringlich eine Job-Alternative für Ihre ", ähem," .... – bei "der Neon" nix frei ?

  • HB
    Heinz Boxan

    Mir dünstet:

    Die Abzugshaube wäre gar nicht nötig gewesen, weil sie von nichts 'nen Dunst hatte.

    Nur aus dem Schinken, den sie erdünstet(hat lassen müssen, weil Dunst fehlte) steigt übler Dunst und verdünstigt sich. Gut, dass keine Haube drüber.

    Aber was kommentiere ich überhaupt so dunstlos? Kann ich mein bisschen Dunst nicht besser dünsten lassen?

    Verflixterdunstnochemol!

    inriboxan