Kolumne Lügenleser: Die Bombe und der Klugscheißer

Eine Woche nach dem Dortmund-Anschlag ist noch nichts über die Täter bekannt. Doch im Internet stehen die Besserwisser Gewehr bei Fuß.

Ein Mann mit LKA-Jacke steht vor dem schwarz-gelben BVB-Mannschaftsbus

Das LKA untersucht nach dem Anschlag in Dortmund den BVB-Mannschaftsbus Foto: dpa

Keiner mag Klugscheißer, schreibt der Klugscheißer und lehnt sich gemütlich in seinem Chefsessel zurück. Denn man ist besser, wenn man es besser weiß. Es besser zu wissen, ist eine harte Währung im Internet geworden, die Bitcoins wurden längst abgehängt. Der Aktienkurs der eigenen Ansichten steht und fällt mit den Likes der Anderen. Der stummen Masse, die den Daumen senkt oder hebt. Wer den „Top-Kommi“ platziert, der fühlt sich sicher in seinen vier Wänden, denn er hat ja Recht.

Ein aktuelles Beispiel: Der Bus einer Fußballmannschaft wurde attackiert. Eigentlich werden die Menschen darin attackiert, aber merkwürdigerweise scheint der Bus in der Berichterstattung schwerer ins Gewicht zu fallen als die Spieler darin. Kurz darauf ist sich die „Kommi oder Like“-Schwarm­intelligenz sicher: Waren nur Polenböller, wahrscheinlich von verfeindeten Ultras. Dann kommt die Meldung: Es handelte sich um professionell angefertigte Bomben. Und es gab drei Bekennerschreiben von Islamisten.

Die Besserwisser stehen Gewehr bei Fuß. Sie haben jetzt den Schuldigen, den sie sich jedes Mal wünschen, wenn irgendetwas passiert. Ob Anschlag, Schlägerei oder Elefant im Briefkasten, das Herz hüpft, wenn der Muselmann verantwortlich gemacht werden kann. Doch dann, hurra, ein weiteres Bekennerschreiben, von der Antifa. Das ist wie ein Sechser im Lotto, auch wenn der Inhalt absurder nicht sein könnte. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt sind sie, die hinterhältigen Beileidsbekunder.

Nebenbei findet auch noch ein Fußballspiel der eigentlich Betroffenen statt. Die Passquote der Dortmunder ist niedriger als bei syrischen Flüchtlingen und die Spieler bezeugen, dass sie lieber nicht gekickt hätten, aber das interessiert nicht, hier geht es um Werbeverträge. Unterdessen verkündet die Polizei, man habe jetzt doch ein paar Rechtsextreme ins Visier genommen, zur Sicherheit aber auch ein paar Islamisten verhaftet. Das sei ja nur ein Ablenkungsmanöver, sagen die einen, die anderen wiederum wussten schon die ganze Zeit, dass es sich um Nazi-Terror handelt.

Die Gesichtslosigkeit schließt die Besserwisserei mit ein

Nach einer Woche ist jedoch nur eine einzige Sache klar: Dass überhaupt nichts klar ist. Niemand weiß irgendwas. Aber es wurde sehr viel geschrieben. Und sehr viel kommentiert. Besonders schön auch: Es wurde sehr viel geklickt. Gefühlte zwanzig Artikel pro Tag ohne jegliche neue Information, Abertausende Kommentare. Schön dass wir drüber geredet haben.

Noch nie wurde irgendjemand im Internet davon überzeugt, falsch zu liegen. Die Gesichtslosigkeit schließt die Besserwisserei mit ein, mit sich alleine lügt es sich immer noch am besten in die eigene Tasche. Der Tag, an dem ein AfD-Wähler schreibt: „Mein Gott, sie hatten recht, wie konnte mir das nur entgehen“, und der militante Antifaschist antwortet: „Jetzt fällt mir auf, Gewalt ist keine Antwort“, wird das Internet implodieren lassen.

Neueste Meldung zum BVB-Bus: „Bombe hätte größere Katastrophe anrichten können.“ Potzblitz, das hätte ich nicht gedacht, da muss ich gleich mal was kommentieren, denkt sich der kommentierende Kolumnist.

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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