Kolumne Leuchten der Menschheit: Liebe und Verrat in Zeiten der RZ
Hans Schefczyk und sein politischer Roman „Das Ding drehn“ erzählen von einer Episode aus der Spätphase der westdeutschen Guerilla.
M anche Menschen ändern sich nie. Und sind stolz darauf. Doch die, die sich nicht ändern, sind öfter auch sehr konservativ. Sicher, es gibt auch „Originale“ – und auch den immer schon in sich ruhenden, ausgeglichenen Menschen. Doch generell sind Menschen, die sich niemals ändern, die keine Brüche in ihrem Leben kennen, eher mit Vorsicht zu genießen. Besonders wenn sie sentimental werden und in Lifestyle oder Sound ihrer Jugend (rebellische Phase!) schwelgen.
Zwischen Tradition, Beharren und alten Rollenbildern schwankt auch der politische Roman „Das Ding drehn“ von Hans Schefczyk (Transit Verlag, Berlin 2017). Schefczyk erzählt darin eine Geschichte aus dem linken bewaffneten Untergrund, den es in der Bundesrepublik zwischen 1968 und 1989 ja auch einmal gab. Genauer gesagt, erzählt er eine Episode aus der Spätphase der Revolutionären Zellen (RZ), als die in seinem Roman die „Anarchistischen Zellen (AZ)“ unschwer zu erkennen sind.
Die realen RZ agierten nahe an den Autonomen Bewegungen. Sie vermieden im Gegensatz zur RAF Anschläge mit Menschenopfern. Zumindest nach Abspaltung ihres antiimperialistischen Flügels, der sich Mitte der 1970er Jahre der brutalen Carlos-Gruppe anschloss.In „Das Ding drehn“ erzählt Schefczyk davon, wie sich Teile einer Gruppe der AZ in einem finalen Coup das notwendige Kleingeld für ein Leben nach dem Untergrund besorgen wollen. Es ist die Zeit Anfang der 1990er Jahre.
Nach dem Ende des Kalten Kriegs befanden sich auch die realen RZ in Auflösung. In der „anti-etatistischen Linken“ hatte ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Viele wandten sich den Institutionen des demokratischen Staates zu, gerade in Verteidigung gegen Nationalismus und Neonazismus der 1990er Jahre. Doch für die Illegalen, die der Staat als RZ-Mitglieder identifiziert hatte, schien es kein Zurück zu geben. Haftstrafen drohten. Einige inaktive RZ-Mitglieder lebten mit gefakten Existenzen im Ausland. Jahrelang ging das gut, bis es dem Staatsschutz in den 1990ern gelang, die RZ zu infiltrieren.
Lass uns das Ding drehn
In Schefczyks Roman ist es eine Liebe in Köln, die einem Agenten Zugang zum Inner Circle verschafft. Den Titel seiner Kriminalgeschichte hat er einem Rio-Reiser-Song von 1986 entlehnt: „Lass uns das Ding drehn“, ein Lied von der ersten Soloplatte des legendären Ton-Steine-Scherben-Sängers. Musikalisch Neue Deutsche Welle, politisch dem Heroismus des autonomen Anarchoexistenzialismus verpflichtet.
Eine Textstrophe lautet: „Das ist kein Jahr für Eintagsfliegen / Das ist kein Jahr wie jedes Jahr / Das wird ein Jahr für Kies und Kohlen / Ein Jahr für Coke und Kaviar / Die Sterne stehen glänzend günstig / Und selbst der Mond hat keinen Fleck / Es ist genau der richt’ge Zeitpunkt / Alle Connections sind gecheckt / Laß uns das Ding drehn / laß uns über Los gehen.“
„Das Ding drehn“ von Hans Schefczyk, Transit Verlag, Berlin 2017, 192 Seiten 20 Euro
Für Schefcyks AZ-Protagonisten fungiert Reisers Song als eine Art Durchhaltehymne. Obwohl sich die Welt in den 1990ern um sie herum bereits stark verändert hat, scheint der Schriftsteller die Haltung seiner Figuren zu affirmieren. Zu distanzlos hat er die Story angelegt, weswegen der Roman trotz der Spannungsmomente leicht aus der Zeit gefallen wirkt.
„Das Ding drehn“ feiert in seinen Figuren eher die Nichtveränderung, den Starrsinn, anstatt diese als entscheidende Schwächen zu begreifen. Dafür bietet er als ein klassisches Misserfolgsmotiv einen sehr klassisch angelegten Liebesverrat. Schade. Die RZ haben vielleicht gar nicht „verloren“, wie Schefczyk seine AZ-Protagonisten denken und sagen lässt. Die Geschichte machte sie überflüssig. Und das könnte man jenseits aller Heroik auch als Erfolg sehen.
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