Kolumne Laufen: Der rastende Reporter
Nicht nur Läufer brauchen einen langen Atem - auch Journalisten, wie mein Freund einer ist.
Dieter Baumann, 42, ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.
"Ach du bist es", hörte ich meinen Freund durchs Telefon. Er machte eine Pause.
Die Geräuschkulisse wurde lauter, es schepperte, dann hörte ich im Hintergrund eine andere, laute Stimme, wie bei einer Demo. Dazwischen sagte mein Freund zu jemand anderem: "Da, sie kommen, jetzt geht es los." Dann laut zu mir ins Telefon: "Ich muss Schluss machen, melde mich." Er klang so aufgeregt, dass ich die letzten Worte kaum verstand. Verdutzt blickte ich auf meinen Hörer. Mir war sofort klar, der Mann steckt in Schwierigkeiten. Sie müssen wissen, mein Freund ist Journalist, genauer: er ist Reporter, jawohl. Ein Reporter ist ein Mensch, der immer an vorderster Front die wichtigsten Menschen unserer Zeit interviewt. Der ihnen auf die Finger schaut, der auszieht, um die Ungerechtigkeiten unserer Welt beim Namen zu nennen, und auch sonst irgendwie im Bodensatz unserer Gesellschaft fischt, um die Wahrheit ins "Blatte zu bringen", wie er selbst sagen würde. Er ist am liebsten, wo es knallt, sagt er zumindest. Nicht dass ein falsches Bild entsteht, dieser Mensch hechelt nicht hinter jeder Geschichte her. Im Gegenteil. Er ist die Ruhe selbst. Er puzzelt, er sucht, fragt und recherchiert.
Je mehr es knallt, je mehr Bodensatz, Ungerechtigkeit und wichtige Menschen zusammenkommen, umso ruhiger, besonnener und ausgeglichener ist er. Meist setzt er sich in heiklen Situationen hin und raucht eine. Ich weiß, das sollte ich jetzt nicht schreiben, da Rauchen ja fast überall verboten ist, aber er tut es trotzdem. Es kommt aber noch schlimmer. Er raucht auch, wenn es nicht knallt. Beispielsweise wenn er sich von seinem Kumpel, der eine Eidechsenfarm betreibt, über das Paarungsverhalten seltener südamerikanischer Echsen aufklären lässt oder über Projekte anderer Menschen philosophiert, auch dann lehnt er sich zurück und raucht eine. Was habe ich schon alles probiert, damit er die eine Sucht - Rauchen - durch die andere Sucht - Laufen - ersetzt. Ohne Erfolg. Und jetzt die Aufgeregtheit am Telefon.
"Da, sie kommen." Wer sind sie? Immer wieder wähle ich seine Nummer. Nichts. Es muss etwas passiert sein. So musste es ja einmal kommen.
Meinen Freund anzurufen ist immer spannend, denn man kann nie wissen, wo er gerade steckt. Zugegeben, meist erwische ich ihn in der Redaktion. Dort wartet er auf Anrufe. Nicht auf meinen natürlich, sondern auf Anrufe seiner Informanten. Leute, die etwas wissen, es aber nicht sagen wollen. Das heißt, nicht am Telefon sagen wollen. Menschen, die Auszüge von Bankkonten haben, die sie gar nicht haben sollten. Menschen mit Lebensbrüchen. Natürlich wartet er nicht nur auf Anrufe, keine Geschichte käme "ins Blatte", sagt er immer, wenn er nur warten würde. Er ruft die ganze Welt zusammen. Trifft sich mit Gott, und wenn es sein muss, geht er auch mal zum Teufel. Informantentreffen in der Bahnhofskneipe. Besuch bei ruinierten Pensionären, die auf den falschen Fonds gesetzt hatten. Geheimtreffen in der Sado-Maso-Szene, ach die Liste wäre lang, bei welcher Gelegenheit ich den Mann schon ans Telefon bekommen habe, und noch nie, egal bei welcher Schlamm- oder Drecksgeschichte auch immer, nie wirkte er auf der anderen Seite der Leitung aufgeregt, nie verloren sich seine Worte auch nur im Ansatz in höheren Tonlagen. Er ist die Ruhe selbst. Immer. Am Ende eines Rechercheausflugs weiß er immer mehr, als er schreibt. So einer ist in Schäubles Welt verdächtig. So ruhig, wie der immer ist. Dann die Raucherei und der Eidechsenfreund. Herr Innenminister, ich sage Ihnen: höchst verdächtig.
Nun war sie weg, die Ruhe. Völlig aufgelöst war seine Stimme. Er ist entführt worden. Von der Mafia oder aber von der Polizei verhaftet. Was irgendwie das Gleiche bedeutet. Dann, nach vier Stunden, habe ich ihn wieder an der Strippe. Ganz ruhig, wie immer. Im Hintergrund höre ich seine Tochter. "Sorry", sagt er lachend ins Telefon, "ich war am Flughafen, und da kam die Kleine gerade zum Ausgang raus, da musste ich auflegen." Wie ich schon sagte, die Ruhe selbst, diese Reporter.
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