Kolumne Laufen: Schickt die Löwen in die Arena!
Die neuen Regeln für Athleten machen Laufen zum Volksspektakel. Fragt sich nur, wer sich daran erfreuen soll.
A m Dienstagabend bei einem Dauerlauf sagte ein junger Läufer: "Schreib in deiner Kolumne, dass die Team-Europameisterschaften in die Metropolen gehören und nicht ins letzte Dorf von Portugal." Vor zehn Tagen fand dieser Wettbewerb statt, und nicht nur, dass das Stadion fast leer war und Eurosport kaum einer einschaltete, es flimmerten auch gewöhnungsbedürftige Bilder via TV ins Wohnzimmer.
Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.
Ein italienischer 3.000-Meter-Hindernis-Läufer lief Schulter an Schulter mit seinem deutschen Kollegen am Schluss des Feldes. Als die zwei auf ein Hindernis zuliefen, schaute der Italiener verdutzt, fixierte den Balken und lief dann mit voller Wucht dagegen. Er war völlig müde und nicht mehr in der Lage, die Beine zu heben. Vorausgegangen waren zwei Zwischenspurts. Früher hieß die Team-Europameisterschaft noch Europacup, fand in Metropolen statt und war ein kleiner Test für die Saison, mehr nicht. Heute wird es mit Hilfe neuer Regeln zum Spektakel erklärt, ist aber ein Chaos. Die Läufer mussten nach 1.000 Meter den ersten Zwischenspurt einlegen und nochmals zwei Sprints nach jeweils 400 Metern. Der jeweils Letzte im Feld schied aus. Die Läufer sprinteten bei 1.000 Metern, als gehe es um den Sieg. Kaum schnauften sie zweimal durch, zwang sie die Regel und die Angst vor dem Ausscheiden in die nächste Spurtentscheidung. Bei der dritten Sprintmarke verschossen sie ihre restlichen Körner. Danach waren alle fix und fertig und schleppten sich so gut es eben ging ins Ziel. Tolle Schlussentscheidungen mit Duellen auf der Zielgeraden gab es nicht mehr. Mal wurde in Weltrekordtempo angelaufen, mal lief ein Mittelstreckenläufer die 5.000 Meter Distanz, um den ersten Zwischenspurt zu "überleben" und die Punkte zu sichern. Das Resultat konnte man beim polnischen Läufer sehen. Er spurtete bei der ersten Marke um sein Leben, ging dann aber erbärmlich ein. Andere Athleten schauten alle zwanzig Meter ängstlich nach hinten, um kurz nur beruhigt zu sein, nicht der Letzte zu sein. Es gab Stürze bei den Zwischenspurts und Missverständnisse, wer denn nun ausgeschieden war.
Es war weder Werbung für die Leichtathletik noch attraktiv. Auch für die Athleten nicht. Sie werden über Disziplinen eingesetzt, für die sie nicht trainiert sind. Sie werden zu Anfangszeiten gezwungen, für die sie nicht das Talent haben. Nur gut, dass dieses Spektakel im letzten Dorf von Portugal stattfand. Wären nicht Athleten gelaufen, die ich ab und zu mit einem Trainingstipp zur Seite stehe, wäre ich lieber selbst laufen gegangen.
Das mit der Metropole übrigens finde ich klasse. Aber wenn schon Show, dann richtig. Liebe Funktionäre, schickt die Jungs und Mädels nach Rom. Aber nicht ins Olympiastadion, sondern ins Colosseum. Beim Ausscheiden nach dem Zwischenspurt lassen wir für den letzten Läufer die Löwen in die Arena. Brot und Spiele. Ab Winter reines Sprinttraining. Man weiß ja nie.
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