Kolumne Landmänner: Außerplanmäßiger Halt
Kein Mensch will mehr Horrorgeschichten über die Bahn lesen. Aber kennen Sie die schon?
Das Reisen ist ja schon lange jeglicher Luxuriösität entkleidet. Dann jedenfalls, wenn man nicht gerade mit dem Privatjet, der Queen Mary oder dem Orientexpress unterwegs ist. Ob Billig-Carrier oder ICE-Großraumabteil - kein Glamour. Die profanste Art des sich Voranbewegens ist jedoch der RE. Der Regionalexpress, landläufig auch als Bauern-TGV bezeichnet.
Martin Reichert ist Redakteur des taz-mag.
In einem solchen bereiste ich kürzlich die südwestdeutschen Gefilde - leider ohne meinen Freund, der gerade eine Phase von kombinierter Flug-, Bahn- und Autobahnangst durchlebt. Wobei man sagen muss, dass er diese Ängste völlig zu Recht hat.
Flugzeuge haben gerne mal ein Problem mit Landeklappen, Fahrgestellen und Passagieren, die ein meinungsbildendes Anliegen haben und zu diesem Zweck Sprengstoff oder zu Übergriffen geeignete Werkzeuge mit sich führen.
Deutsche Autobahnen sind Hochgeschwindigkeits-Achsen des Terrors, Todeszonen. Im ICE laufen die Achsen heiß und schon eine Schafherde mit nur fünf Teilnehmern kann ihn aus dem Gleis springen lassen.
Aber der Regionalexpress ist das Schlimmste. Meiner hatte zum Beispiel einen "außerplanmäßigen Halt" an einem S-Bahnhof bei Frankfurt am Main. Als einige Passagiere und ich das fünfzehnminütige Zeitfenster nutzten, um eine verbotene Zigarette zu rauchen - zwar außerhalb des Nichtraucherzugs, aber doch noch mitten auf einem von allen Menschen verlassenen Nichtraucherbahnhof - weigerte sich die Zugbesatzung, ihre Pforten wieder zu öffnen. Der Lokführer wurde von uns Ausgeschlossenen zwar umringt und bedrängt, fuhr dann aber trotzdem einfach weiter. Ohne uns, aber dafür mit unserem Gepäck. Da guckten wir aber schön aus der Wäsche, einer blöder als der andere.
Ich reiste dem Zug hinterher, ließ ihn anfunken, benachrichtigte sämtliche Bahnhöfe des Südwestens. Konsultierte Hotlines und Service Points, füllte Formulare aus, fluchte und heulte, wurde aschfahl und grün, trank zehn Kaffee TOGO für 3,50 Euro an Bahnhofskiosken und rauchte eine Big Box in den mit gelben Linien gekennzeichneten Raucherbereichen der Deutschen Bahn AG, also jenem Unternehmen, das sich, wenn es nach seinem Chef gegangen wäre, just gerade jetzt in Luft aufgelöst hätte wie ein sinnlos durchgezogener Glimmstengel. Es nützte alles nichts. Wahrscheinlich wurde meine Reisetasche vom SEK gesprengt oder so was. Herrenloses Gepäck - wie gerne hätte mich seiner angenommen, wenn man mich doch nur gelassen hätte. Nun ist es wohl verraucht.
Ich kam dann doch irgendwann am Ziel an - bei meinen Eltern. Und natürlich wäre mein Vater nicht mein Vater, wenn er nicht genau diesen Satz zur Begrüßung gesagt hätte: "Ich habe dir doch gesagt, dass es besser wäre, wenn du mit dem Rauchen aufhörst!"
Der Rückweg war dann erst recht verqualmt. Tonnen von Kerosin wurden sinnlos in die Luft geblasen, weil ich aus lauter Frust einen Nichtraucher-Inlandsflug genommen hatte, der nicht nur halb so billig wie die Bahn war, sondern darüber hinaus auch mich selbst anstatt nur meines (nagelneuen) Gepäcks transportierte.
Ich sage Ihnen: Das Beste am Reisen ist das Wieder-nach-Hause-Kommen. Als ich endlich wieder in der kleinen Ackerbürgerstadt angekommen war, freute ich mich unendlich auf ein schönes Glas Wein mit meinem Freund. Unsere vertraute Ernie-und-Bert-Situation: Bert sitzt im Sessel, Ernie kommt mit irrem Blick und Ringelpullover reingescheppert und hat wieder lauter Sachen erlebt: "Das glaubst du nicht, was ich dir zu erzählen habe, das glaubst du nicht", sagte ich mit irrem Blick und bekleidet mit einem Ringelpullover aus den Beständen meines Vaters, circa Mitte der Achtziger.
Vorher wollte ich noch eine rauchen und ging zu diesem Zweck brav vor die Tür. Fantasierte von Raucherabteilen im Orientexpress, Raucherflügen von Pan Am. Und als ich reinwollte, hatte mein Freund die Tür abgeschlossen. Bei welcher Service-Hotline ruft man da an?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!