Kolumne Kriegsreporterin: Sex! Sex! Und niedliche Tierbabys!
Medienredaktion, wir müssen den Leseanreiz erhöhen! Also was mit Bein ins Bild. Schickes Bein. Marlene-Bein. Und Sex drüber schreiben.
H allo, taz-medienredaktion, ich muss mehr Bein zeigen. Auf dem Foto, meine ich. Denn wenn ich etwas habe, dann Bein. Auf dem Hirn ist ja der Helm. Ein Erlebnis in der Stadt der Ignoranten, Berlin, hat mich zu dieser Erkenntnis geführt.
Ich saß in der U-Bahn. Vor mir stand ein Mann und las die taz. Perfekte Zielgruppe, die Anzeigengeschäftemacher wären erfreut. Jung, wissbegierig, was mit Umwelt studierend. Mindestens. Er las die Texte. Auch die langen. Intensiv. Die Fahrt dauerte. Dann blätterte er auf die Medienseite. Es war Mittwoch. Ich hatte meinen Helm in Hamburg gelassen, war inkognito in der Stadt. Es war also in Ordnung, dass er mich nicht erkannte, dass er nicht sah, dass vor ihm die Frau saß, die die medialen Trümmer anhebt, um zu schauen, welche Käfer darunter leben.
Ich komme damit klar. Es ist schon in Ordnung. Ich habe ja meine Applausmaschine, für graue Tage. Es war also okay, dass er sich nicht in den Staub warf, den ich stets überall verbreite. Dass er ohne ein Lächeln von mir weiterleben will. Doch dann das! Der las nicht mal meinen Text! Der guckte links, rechts, blieb kurz an meinem Kasten hängen, dann Blick runter, links, rechts, weiterblättern. Einfach so. Bums, Ende, aus!
SILKE BURMESTER berichtet wöchentlich von der Medienfront. Feldpost? Mail an kriegsreporterin@taz.de.
Medienredaktion, wir müssen den Leseanreiz erhöhen! Also was mit Bein ins Bild. Schickes Bein. Marlene-Bein. Und Sex drüber schreiben. Oder was mit Tierbabys, sonst melden sich wieder die Verrückten, die was verwechseln. Also irgendetwas, damit dieser Kram hier gelesen wird. Von den jungen Umwelttechnikstudenten, die das Wasserproblem in Afrika lösen.
Denn es wäre schade, wenn sie nicht erführen, dass ausgerechnet der Vorstand des Burda-Verlags, Philipp Welte, herausgefunden hat, warum es nicht so recht klappt mit dem Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland. Die Marke SuperIllu sei in der Zone "bekannter als Coca-Cola und größer als die Bild-Zeitung." Womit geklärt wäre, warum es selbst in Swinger-Clubs im Bereich der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze so wenig Ost-West-Austausch gibt - es gibt zu wenig gemeinsame Gesprächsthemen.
Das könnte Halali ändern, ein neues Magazin, das sich der Schönheit der Jagd und dem ästhetischen Umfeld des Tötens widmet. Hetzen, Abknallen, Ausweiden ist schließlich Ost wie West ein schöner Zeitvertreib. Allerdings dürfte es als Schmiermittel für den sozialen Aufstieg im Osten weniger relevant sein. Dafür gibt es viel freie Fläche, auf der die Langzeitarbeitslosen ihren Flinten mal so richtig durchpusten können. Ob die allerdings 9,80 Euro für "den Schmelztiegel jagdlicher Kulturen" ausgeben wollen, ist fraglich. Interessant ist das Killer-Heft allerdings für freie Journalisten und Fotografen, die die "Leidenschaft für Jagd und Natur" der Herausgeber teilen. Na, wenn es weiter nichts ist!
Vom röhrenden Hirsch ist es bekanntlich nur ein kleiner Schritt nach Bayern, wo die Süddeutsche Zeitung wohnt. Häufig genug ist die Nord-Süd-Kommunikations-Achse nicht störungsfrei, diesmal aber sind meine stillen Gebete bei Allah angekommen: Die Süddeutsche macht ihr "Wochenende" neu. Hatte man die tollen Schreiber quasi in einem runtergekommenen Künstlerdorf ohne Hausmeister und warmes Wasser ihr Dasein fristen lassen, verspricht man nun eine hochmoderne Zukunftssiedlung, die als Leser zu begehen eine Bereicherung sein soll. Ich hoffe nur, dass sie Opas muffige Bumsbude, die Seite "Historie", gleich mit abreißen, nicht dass die als Zugeständnis an die graue Leserschaft im neuen Heim wieder aufgebaut wird.
Und damit frohen Mutes zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin