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Kolumne Knapp überm BoulevardPervertierung der Aufklärung

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Die Wahrheit derer, die „Lügenpresse“ und „Fake News“ rufen, folgt einer anderen Definition. Es ist die einer autoritär gesetzten Wahrheit.

Ein nie versiegender Quell der Fake News Foto: reuters

W orum geht es eigentlich bei Fake News? Worum geht es bei den „Lügenpresse“-Rufen? Man sollte da etwas ganz Simples festhalten: Bei Fake News geht es nicht einfach um Inhalte, die nachweislich falsch sind. Die Leute, die an Fake News glauben, meinen ja nicht, sie würden an Fake News glauben. Sie meinen nicht, dass sie von Lügen oder von gezielter Desinformation überzeugt seien.

In ihrer Innenperspektive glauben sie an Wahrheiten. An alternative Wahrheiten. An andere Wahrheiten also als jene des sogenannten „Mainstreams“. Das aber heißt: Wahrheiten, die aus anderen Quellen stammen. Anders gesagt: Leute, die an Fake News glauben, glauben nicht einfach an andere Inhalte – sondern sie vertrauen andere Quellen, sie glauben an andere Sprecher. Dasselbe gilt für die „Lügenpresse“-Überzeugten.

Zentral für beide Phänomen sind also die Sprecher, denen man Glauben schenkt – und im Umkehrschluss jene Sprecher, denen man nicht oder nicht mehr glaubt. Fake News und „Lügenpresse“ bedeuten also vor allem eine Verschiebung der Instanzen, denen man und an die man glaubt.

Deshalb gehen all die Faktenchecks, mit denen man Fake News zu begegnen versucht, ins Leere. Sie nützen nichts. Denn sie zielen nur auf die Inhalte – während es doch um die Glaubwürdigkeit der Sprecher geht: sowohl jener, die eine Behauptung aufstellen, als auch jener, die sie zu widerlegen versuchen. Die „Dementis der Realität“, mit denen man Fake News und „Lügenpresse“ beizukommen versucht, prallen für die Überzeugten an ihrem Glauben an die alternativen Sprecher ab.

Quellen der Macht

Und genau darin beginnt das Problem für die Demokratie. Um das, um die Erschütterung, die das bedeutet, zu verstehen, müssen wir uns über unsere eigenen Grundlagen klar werden.

Die demokratische Öffentlichkeit lebt von autorisierten Sprecherpositionen. Das ist eine sehr heikle Grundlage. Weil unser Aufklärungspathos uns unsere eigenen demokratischen Grundlagen vernebelt. Ja, es stimmt: Die Autorisierung der öffentlichen Stimmen speist sich nicht mehr aus anderen denn aus Vernunft-Quellen – etwa aus Quellen der Macht. Idealerweise. Insofern sind die öffentlichen Stimmen also autoritativ, aber nicht autoritär.

Aber trotzdem ist der öffentliche Diskurs keine reine Vernunftordnung. Er bedarf darüber hinaus nämlich noch der Legitimierung der Sprecherpositionen – und das heißt nichts anderes als den Glauben an die Rechtmäßigkeit eben dieser Sprecher. Der öffentliche Diskurs ist also das fragile Gleichgewicht zwischen Vernunft und Glauben, der Balanceakt eines rationalen Glaubens.

Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit

Nehmen wir etwa die Öffentlich-Rechtlichen, die eine herausragend autorisierte Sprecherposition einnehmen, soll sich doch hier die Allgemeinheit über sich selbst verständigen. Deren Objektivitätskriterien sollen Inhalte überprüfen und Aussagen rational halten. Sie sollen also das Glaubensmoment so gering wie möglich halten – oder anders gesagt: Sie sollen den Glauben an ihre Rechtmäßigkeit genau dadurch befestigen. Durchstreichen aber lässt sich die Notwendigkeit des Glaubens auch hier nicht.

Fake News und mehr noch der „Lügenpresse“-Ruf stören dieses heikle Gleichgewicht. Sie rütteln an den Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit. Sie untergraben die Sprecherpositionen. Und zugleich untergraben sie den demokratischen Wahrheitsbegriff. Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit. Diese ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern durch eine ganze Reihe von Maßnahmen – etwa das Unterscheiden zwischen Meinungen und Fakten oder die Möglichkeit von Rede und Gegenrede. Ein ganzes Set an Vorkehrungen, um das Verabsolutieren der je eigenen Meinung zu verhindern.

Die Wahrheit der „Lügenpresse“-Rufer folgt jedoch einem anderen Wahrheitsbegriff – einer autoritär gesetzten Wahrheit. Diese behauptet sich als Tabubruch, ermächtigt sich aus dem Einspruch gegen den öffentlichen Diskurs, dessen Autorisierung sie als autoritär diffamiert. Eine unglaubliche Verkehrung. Und eine Verkehrung in der das Pendant, die sogenannte „Wahrheitspresse“ auf die sie sich berufen, nicht das Andere der Aufklärung ist – sondern zur Pervertierung der Aufklärung wird.

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8 Kommentare

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  • Ich halte das zT für ein gefährliches Missverständnis. Der world wide mob propagiert mit dem label "fake news" nicht die überlegene "Wahrheit" im aufgeklärten Sinne, die sie in Wettbewerb sehen. M.E. zielt "fake news" direkt & ohne Umwege auf die Vernichtung jeglicher aufgeklärten Überzeugung von "Wahrheit". Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung in unseren Ländern lebt seit je oder wieder in einem heidnischen Universum, in dem Transparenz nicht denkbar ist. Zu dunkel & abgründig sind die Kräfte, die darin walten. Ist der Mensch einmal so erzogen, bleibt ihm vernünftigerweise (sic!) nur noch, nach einer "Wahrheit" zu suchen, der er blind vertrauen kann. Dort setzt dann das Angebot der rechten, geschlossenen Gesellschaften an, die unbedingte Zugehörigkeit als schicksalhaftes Versprechen verkaufen. Hierfür genügt es auf Seiten der Medien, einfach wahllos Zweifel, Verwirrung & Rauschen zu verursachen, bis immer mehr Menschen den Glauben an die Wahrheit verlieren.

  • D'accord zur Einordnung der Lügenpresse-Rufer als antipluralistische Autoritäre. Aber was die Darstellung der (öffentlch-rechtlichen) Medien betrifft, würde ich in einer linken Zeitung doch zumindestens ein paar Bezüge zu Herman/Chomkys Manufacturing Consent erwarten....

  • Die Fake-News-Vorwürfe haben ihre Vorwürfe zB in der Truther-Bewegung, die der Bush-Regierung ganz offene Lügen im Umgang mit 9/11 unterstellt - um nicht zu sagen: nachweist. Dazu muss man sicher auch die Massenvernichtungswaffen Saddams zählen.

    In Deutschland gehören zu Fake-News regelmäßig amtliche Bekanntmachungen im Bereich Wirtschaft, so hat man zB die Methodik für die Berechnung des BIPs so geändert, das trotz Stagnation Wachstum ausgewiesen wird. Auch hat man durch Umdefinitionen den Arbeitslosenzahlen jede Aussagefähigkeit genommen. In der Presse werden diese - aus meiner Sicht strafrechtlich relevanten und in betrügerischer Absicht getätigten amtlichen Aussagen - ohne ihre tatsächliche Bedeutung zu erklären hochgejubelt und so den Mißerfolg von Politik in einen Erfolg umgedeutet. Schließlich geht es auch um Investitionsentscheidungen aufgrund von nicht mehr vergleichbaren Zahlen.

    In "meinem Thema", bei Peak-Oil, halte ich die Ignoranz der Bundesregierung für gemeingefährlich! Bundesbehörden publizieren regelmäßig die Einschätzung, es sei genug Energie auch für Wirtschaftswachstum da und man möge sich keine Sorgen machen. Die Sorgen der Kritiker sind jedoch gut begründet: sie befürchten, dass die zweite Hälfte des Erdöls nicht mehr aus der Erde geholt werden kann, weil durch die Kostenexplosion vorher die Wirtschaft zusammen bricht. Sie versuchen nachzuweisen, dass WK1 und WK2 mit Energie-Peaks zusammen hängen und die Subprime-Krise mit Energiekosten. Unter den Kritikern befinden sich renommiertere Sachverständigere als in den Behörden, die auf diese Überlegungen einfach ignorieren und das Wachstum der letzten 100 Jahre wie Pennäler per Lineal auf die nächsten 100 Jahre fortschreiben.

    In der Wissenschaft darf man Paradigmen in Frage stellen (auch wenn sie Angst machen), im Journalismus nicht. Dieses Denkverbot halte ich für Staatspropaganda oder "Fake-News" und plädiere für mehr Offenheit. Dazu muss man sich häufig tiefer einlesen.

  • "lying by omission" ist eine alte stalinistische Weisheit. "Man muss auch einmal lügen um das Gute durchzusetzen."

    In Wirklichkeit ist die Erkenntnis viel älter, sonst gäbe es heute keine Religionen mehr.

    Aber darum geht es ja gar nicht. Es geht um die Selbstgewissheit zu den Auserwählten zu gehören. Das ist das typische Kennzeichen von Sektierern. Ein deutliches Beispiel: "USA - God's own country."

    Im Falle der Medien heißt das, die Mitarbeiter sind von ihrer intellektuellen Überlegenheit dermaßen durchdrungen, dass sie wissen, was dem gemeinen Volk frommt.

    Kennt jemand "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen"? Heinrich Böll hat hier genial skizziert, welche Überheblichkeit und Opportunismus z.B. im WDR herrschte. Als enger Familienangehöriger eines Mitarbeiters des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kann ich das nur bestätigen. Er und seine Freunde waren bis zur Lächerlichkeit hin überzeugt von Ihrer politischen und gesellschaftlichen Führungsrolle. Alle Anderen waren erbärmliche Spießer. Typisch ist auch dafür das "Spiegel"-Deutsch.

    Was zunächst noch als zu belächelnde Attitüde erscheint, wird bei dem Sektierer penetrant. Ja, es kann bis zu einer neurotischen Blickverengung kommen.

    "Lügenpresse" und dergleichen sind Hilferufe von Menschen, die sich in ihrer Scheinwelt bedroht sehen. Diskussion ist sinnlos.

    Den Medien muss klar werden, dass sie ihre hohen moralischen Ansprüche nur aufrecht erhalten können, wenn sie ihre Mietmäuler stopfen, ihre Egomanen im Zaum halten und ohne Rücksicht auf den Kapitalgeber im Hintergrund zu der alten staubtrockenen Berichterstattung zurückkehren. Ich-Reportagen müssen verpönt sein, emotionale Ausdrücke auf ein Minimum beschränkt werden und die Hetzartikel, im Stile der erfundenen Hartz IV- Geschichten in der "Welt" und "Bild", gehören in den Reißwolf.

    Mut zur Objektivität - ihre Meinung sollen sich die Leser selbst bilden.

    • @achterhoeker:

      Ja in der Tat, Medien sollten berichten und keine Weltbilder vermitteln.

      Was ebenfalls eine echte Frechheit ist sind die Pensionen, welche über die andauernd steigenden Zwangsgebühren, finanziert werden müssen. Da machen sich viele Mitarbeiter die Taschen so voll das die Gehälter von Maaßen und Co geradezu mickrig wirken! (www.faz.net/aktuel...alt-14043338.html)

    • @achterhoeker:

      Guter Kommentar.



      Ja, es geht zwar auch, nach meiner Wahrnehmung aber eben nicht primär um Faktizität. Sondern um Themensetzung und -selektion, und mehr noch um die Einordnung und Bewertung der Dinge.

  • Man darf die “Fakenews” Rufer nicht einfach so kleinreden, wie das hier passiert. Es geht dabei vor allem um Einflussnahme von Medien(-Akteuren) auf die öffentliche Meinung und nicht nur um plumpe Lügen. Dieser Einfluss wird in den Medien nur in den allerwenigsten Fällen durch lügen und bewusste Falschinformation ausgeübt. Ausgeübt wird er vor allem durch die Auswahl der Themen, über die berichtet wird und durch die Auswahl der Fakten, die genannt werden. Das ist jedem klar der eine gewisse Medienkompetenz aufgebaut hat.

    Was man den Medien mit vollem Recht vorwerfen kann ist das sie nicht vorrangig über die Themen schreiben, welche die (potentielle) Leserschaft interessieren, sondern die Themen die den Medien-Akteuren wichtig sind. Wenn man nun politisch im konservativen oder im Linken (nicht im grün-progressiven) Spektrum verortet ist dann wird einem die Temenauswahl zumindest zum Teil ziemlich sauer aufstoßen.

    Dann gibt es noch die zahllosen Fälle, in denen Informationen unter den Tisch fallen. Das prominenteste Beispiel ist sicher die Herkunft von Tätern. Besonders krass ist es deshalb weil diese Unterschlagung ja lange Zeit sogar institutionell gewünscht wurde. Man kann dafür und dagegen argumentieren aber grade in der Flüchtlingskrise hat das an der Glaubwürdigkeit gerüttelt.



    Ein anderes Beispiel ist: Man kann ja schrieben das Frauen 21% weniger Einkommen haben als Männer aber man muss dazu sagen das es gute Gründe dafür gibt, die nicht Sexismus sind. Das wird ja gerne mal vergessen. Die Amerikaner nennen sowas “lying by omission”. Eine deutsche Entsprechung gibt es leider nicht.

    • @Januß:

      "Die Amerikaner nennen sowas “lying by omission”. Eine deutsche Entsprechung gibt es leider nicht."

      Doch: "Lügen durch Auslassung".

      Bisher hatten die etablierten Medien allein durch ihre Themenauswahl und Schwerpunktsetzung das Monopol über die Deutungshoheit. Mit Social Media hat sich dies geändert. Dort ist zeitnah und immer alles zu allen möglichen Themen zu finden. Manches ist wahr, manches ist falsch, manches ist bewußte "Fake News" - aber es ist immer ungefiltert; es gibt keinen Chefredakteur mehr, der entscheidet welche Themen behandelt werden und welche nicht.

      "Fake News" gab es schon immer, nannte man bisher "Zeitungsenten". Das sie aber erst in den letzten Jahren als Problem identifiziert wurden, welches gar die Demokratie gefährdet liegt daran das die etablieren Medien ihre Macht über die Deutungshoheit schwinden sehen.