Kolumne Knapp überm Boulevard: Pervertierung der Aufklärung

Die Wahrheit derer, die „Lügenpresse“ und „Fake News“ rufen, folgt einer anderen Definition. Es ist die einer autoritär gesetzten Wahrheit.

Ein aufgerissener Mund, er gehört zu Donald Trump

Ein nie versiegender Quell der Fake News Foto: reuters

Worum geht es eigentlich bei Fake News? Worum geht es bei den „Lügenpresse“-Rufen? Man sollte da etwas ganz Simples festhalten: Bei Fake News geht es nicht einfach um Inhalte, die nachweislich falsch sind. Die Leute, die an Fake News glauben, meinen ja nicht, sie würden an Fake News glauben. Sie meinen nicht, dass sie von Lügen oder von gezielter Desinformation überzeugt seien.

In ihrer Innenperspektive glauben sie an Wahrheiten. An alternative Wahrheiten. An andere Wahrheiten also als jene des sogenannten „Mainstreams“. Das aber heißt: Wahrheiten, die aus anderen Quellen stammen. Anders gesagt: Leute, die an Fake News glauben, glauben nicht einfach an andere Inhalte – sondern sie vertrauen andere Quellen, sie glauben an andere Sprecher. Dasselbe gilt für die „Lügenpresse“-Überzeugten.

Zentral für beide Phänomen sind also die Sprecher, denen man Glauben schenkt – und im Umkehrschluss jene Sprecher, denen man nicht oder nicht mehr glaubt. Fake News und „Lügenpresse“ bedeuten also vor allem eine Verschiebung der Instanzen, denen man und an die man glaubt.

Deshalb gehen all die Faktenchecks, mit denen man Fake News zu begegnen versucht, ins Leere. Sie nützen nichts. Denn sie zielen nur auf die Inhalte – während es doch um die Glaubwürdigkeit der Sprecher geht: sowohl jener, die eine Behauptung aufstellen, als auch jener, die sie zu widerlegen versuchen. Die „Dementis der Realität“, mit denen man Fake News und „Lügenpresse“ beizukommen versucht, prallen für die Überzeugten an ihrem Glauben an die alternativen Sprecher ab.

Quellen der Macht

Und genau darin beginnt das Problem für die Demokratie. Um das, um die Erschütterung, die das bedeutet, zu verstehen, müssen wir uns über unsere eigenen Grundlagen klar werden.

Die demokratische Öffentlichkeit lebt von autorisierten Sprecherpositionen. Das ist eine sehr heikle Grundlage. Weil unser Aufklärungspathos uns unsere eigenen demokratischen Grundlagen vernebelt. Ja, es stimmt: Die Autorisierung der öffentlichen Stimmen speist sich nicht mehr aus anderen denn aus Vernunft-Quellen – etwa aus Quellen der Macht. Idealerweise. Insofern sind die öffentlichen Stimmen also autoritativ, aber nicht autoritär.

Aber trotzdem ist der öffentliche Diskurs keine reine Vernunftordnung. Er bedarf darüber hinaus nämlich noch der Legitimierung der Sprecherpositionen – und das heißt nichts anderes als den Glauben an die Rechtmäßigkeit eben dieser Sprecher. Der öffentliche Diskurs ist also das fragile Gleichgewicht zwischen Vernunft und Glauben, der Balanceakt eines rationalen Glaubens.

Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit

Nehmen wir etwa die Öffentlich-Rechtlichen, die eine herausragend autorisierte Sprecherposition einnehmen, soll sich doch hier die Allgemeinheit über sich selbst verständigen. Deren Objektivitätskriterien sollen Inhalte überprüfen und Aussagen rational halten. Sie sollen also das Glaubensmoment so gering wie möglich halten – oder anders gesagt: Sie sollen den Glauben an ihre Rechtmäßigkeit genau dadurch befestigen. Durchstreichen aber lässt sich die Notwendigkeit des Glaubens auch hier nicht.

Fake News und mehr noch der „Lügenpresse“-Ruf stören dieses heikle Gleichgewicht. Sie rütteln an den Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit. Sie untergraben die Sprecherpositionen. Und zugleich untergraben sie den demokratischen Wahrheitsbegriff. Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit. Diese ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern durch eine ganze Reihe von Maßnahmen – etwa das Unterscheiden zwischen Meinungen und Fakten oder die Möglichkeit von Rede und Gegenrede. Ein ganzes Set an Vorkehrungen, um das Verabsolutieren der je eigenen Meinung zu verhindern.

Die Wahrheit der „Lügenpresse“-Rufer folgt jedoch einem anderen Wahrheitsbegriff – einer autoritär gesetzten Wahrheit. Diese behauptet sich als Tabubruch, ermächtigt sich aus dem Einspruch gegen den öffentlichen Diskurs, dessen Autorisierung sie als autoritär diffamiert. Eine unglaubliche Verkehrung. Und eine Verkehrung in der das Pendant, die sogenannte „Wahrheitspresse“ auf die sie sich berufen, nicht das Andere der Aufklärung ist – sondern zur Pervertierung der Aufklärung wird.

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