Kolumne Knapp überm Boulevard: Warten auf Montag früh
Wir leben längst digital, fühlen uns aber noch analog. Deshalb darf nervös sein, wer offline ist, wer aber freiwillig dem Internet entsagt, versteht nicht, was sich verändert hat.
E igentlich wollte ich gerade eine Kolumne über Internetsucht schreiben. Genauer gesagt über die Welle an Selbstversuchen zur Internetabstinenz, die uns derzeit erreicht. Seit Schirrmacher die Büchse der Internetskepsis geöffnet hat, häufen sich ja die Titel wie "Mein Leben ohne Internet" oder "Ich bin dann mal offline".
Aber man sollte das Schicksal nicht herausfordern. Gerade als ich mich an den Text mache, bricht ein schweres Unwetter aus und kappt meine Internetverbindung. Kein Witz. Und so sitze ich nun ein ganzes langes Wochenende völlig netzlos in der Pampa und warte darauf, dass mich Montagmorgen um acht Uhr ein Techniker wieder connected.
Nun, wo ich den Entzug also am eigenen Leib erlebe, könnte ich Ihnen mitten aus der Erfahrung berichten. Allein, mir fehlt das wesentliche Element: die Freiwilligkeit. Die Erfahrungsberichte gehören der Gattung der Askese an, das ist freiwilliger Verzicht, seelische Selbstschulung zu höheren Zwecken.
Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien.
Tatsächlich ist dies eine erstaunliche Selbstdisziplinierung. Denn im Unterschied zu sonstigen Süchten - ob Drogen, Spiel oder Zigaretten - ist die Internetsucht ja primär eine kollektive Abhängigkeit, also eher ein gesellschaftlicher Zustand. Mehr noch, sie ist zur Voraussetzung unseres gesellschaftlichen Seins geworden. Es reicht also nicht aus, starken Wünschen einen noch stärkeren Willen entgegenzuhalten, wie bei den individuellen Lastern. Die Probanden müssen vielmehr eine Reihe von Vorkehrungen treffen, bevor sie sich in die Diaspora der analogen Welt verabschieden: Sie müssen sich regelrecht abmelden.
Was mich in erster Linie beschäftigte, war nicht unsere unauflösliche Verwobenheit mit dem Netz, auch nicht der Verfall von Fertigkeiten oder Konzentration. Mich interessierten vielmehr diese Selbstversuche als solche, diese öffentlichen Kasteiungen, diese privaten Initiativen, die einen gesellschaftlichen Zustand überschreiten oder besser umkehren wollen. Denn diese Art des Ausstiegs ist ja getragen von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, von der Suche nach einem anderen Subjekt-Sein. Ist dies ein authentischeres Subjekt? Jedenfalls ist es ein früheres. Diese Selbstversuche zeigen sehr deutlich das Dilemma an: die Tatsache, dass wir alle längst in dieser schönen neuen Welt leben, dass wir längst digitale Subjekte sind, auch wenn wir uns noch analog fühlen. Es ist dies die klassische Problematik von Wendezeiten, wo man gleichzeitig in zwei gegensätzlichen Erfahrungsformen steht.
Die Versuche des Entzugs zeigen also nicht so sehr, wie abhängig wir vom Internet sind, als vielmehr, wie objektive Veränderung und subjektive Wahrnehmung unserer Individualität auseinanderklaffen. Gerade an solchen Gegenbewegungen wird deutlich, wie weit die Veränderung bereits fortgeschritten ist und wie wenig wir dies verstanden haben. Wie etwa beim Nationalismus, wo erst das moderne Subjekt für authentische, archaische Lebensformen schwärmen konnte, weil es diese eben verlassen hatte.
Aber macht das Internet wirklich Cyborgs aus uns, an Maschinen angeschlossene Mischwesen, die sich ihrer Subjektivität nicht mehr vergewissern können? Dem unterliegt ein romantisches Missverständnis von Technik. Der Urvater aller Medientheorie, Marshall McLuhan, schrieb bereits in den 1960er Jahren, dass alle Techniken Medien seien, also Mittel zur Kommunikation mit unserer Umwelt. Und jedes Medium - ob Glühbirnen, Kleider, Häuser, Elektrizität oder Telefone - sei nichts anderes als eine Erweiterungen unseres Körpers, unserer Sinne, unseres Ichs.
Wir sind also nicht nur mit jedem Medium unmittelbar körperlich vernetzt, sondern jedes Medium verändert uns grundlegend. Wir brauchen nicht zu beklagen, dass wir Cyborgs werden: Denn wir sind immer schon Cyborgs gewesen (mit je verschiedenen Medien kurzgeschlossen). Und die Vorstellung, jemals etwas anderes gewesen zu sein, ist nichts als eine romantische Flause. In diesem Sinne ist es also ganz normal, wenn ich zunehmend nervös werde, so ganz de-connected in der Wüste der analogen Welt. Und wenn ich nur noch auf Montag früh warte, so bin ich einfach nur auf der Höhe der Zeit.
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