Kolumne Knapp überm Boulevard: Das griechische Paradoxon
Kann wirklich nur die „Nea Dimokratia“ Griechenland retten? Die Griechen können nur an den Euro glauben, weil sie die linke Syriza gewählt haben.
B ereits vor den griechischen Wahlen galt es als ausgemacht, dass nur die Nea Dimokratia den Euro retten könne. Wenn er denn nun „gerettet“ und das Drohszenario entschärft wurde, lag das tatsächlich nur am Wahlsieg der griechischen Konservativen? Man merkt der Frage die Skepsis an.
Ulrike Herrmann schrieb kürzlich in einem sehr schönen Kommentar in der taz, Geld sei nur das, was als Geld akzeptiert werde, Geld sei eine „soziale Konstruktion“. Deshalb brauche es Vertrauen: Nur wenn man einer Währung vertraue, könne diese funktionieren. Das mit dem Vertrauen ist aber eine vertrackte Sache. Da stellt sich die Frage: Wer soll denn Vertrauen in den Euro haben, wessen Vertrauen bedarf er: jenem der Märkte oder jenem der Bürger, etwa der Griechen? Das ist nicht dasselbe.
Es ist in einem gewissen Sinne sogar das Gegenteil. Denn die Finanzmärkte glauben (und das muss man bekanntlich nicht in Anführungszeichen setzen!) an die europäische Währung, wenn diese eine Disziplinarinstitution ist – ein Medium zur Disziplinierung von Volkswirtschaften. Damit aber die Bürger an den Euro glauben, darf dieser eben kein Diktat sein. Für sie kann es Vertrauen nur geben, wenn es auch Einspruch gibt.
ist freie Publizistin und lebt in Wien.
Ein Effekt der Finanzkrise ist, dass die europäische Währung nicht mehr nur durch Vertrauen funktioniert beziehungsweise dass neu definiert wird, was Vertrauen bedeutet: nicht nur Affirmation, sondern auch Einspruch, nicht nur Zustimmung, sondern auch Skepsis. Wenn Geld eine soziale Konstruktion ist, wenn Geld das Medium einer politischen Union ist – und wie sonst sollte eine Währung funktionieren? –, dann braucht es nicht nur Vertrauen, sondern auch Misstrauen. Durch dieses Paradoxon hat sich so etwas wie eine demokratische Dimension der gemeinsamen Währung eröffnet.
Demokratie sei, schrieb der bulgarische Politologe Ivan Krastev, „no satisfaction machine“ (auf Deutsch gibt es keine so prägnante Formulierung). Sie produziert nicht Zufriedenheit, sondern ist Umgang mit Unzufriedenheit. Umgelegt auf das griechische Dilemma bedeutet dies: Wenn die Nea Dimokratia massiv gewonnen hätte, wenn die Griechen also die „Wahlvorgaben“ der EU erfüllt hätten, dann hätten sie nicht mehr an den Euro als „demokratische Währung“, nicht mehr an eine demokratische Union glauben können.
Ökonomische Klugheit erfordert politische Unvernunft
Nur weil sie auch massiv Syriza gewählt haben, also jene Partei, die im Unterschied zur Nea Dimokratia nicht Träger der Marktordnung ist, sondern für den Einspruch gegen die „Wahlvorgaben“, gegen das Sparmemorandum steht, nur deshalb können sie – vielleicht – noch an den Euro glauben.
Vielleicht ist das in gewisser Weise sogar das bestmögliche Wahlergebnis in der gegebenen Situation gewesen. Klaus Hillenbrand hat – ebenfalls in der taz – darauf hingewiesen, dass absurderweise die Wahl ebenjener Partei, die Ursache der Krise ist, jetzt notwendig sei, um das Drama einer Staatspleite abzuwenden. Ökonomische Klugheit erfordert politische Unvernunft. Das widersprach all jenen, die meinten, jetzt, wo es eine tatsächliche Alternative gäbe, hat Brüssel, hat Angela Merkel, haben die Finanzmärkte den Griechen diese wirkliche Wahl genommen.
Das massive Votum für Syriza, diese 27 Prozent, hat diese zwei gegensätzlichen Positionen verbunden. Es hat etwas von der Alternative offengehalten. Und es hat gezeigt, dass der demokratische Umgang mit Unzufriedenheit nicht einfach abreagieren bedeutet. Das ist nicht einfach ein Placebo, um die Aufgebrachten ruhigzustellen. Denn das Wahlergebnis hat Syriza eine starke Position verliehen. Sie ist jetzt ein politischer Machtfaktor, über den man nicht hinweggehen kann. Immerhin.
Nea Dimokratia mag den Euro für die Märkte gerettet haben (zumindest kurzfristig), für die Bürger hat die Stärkung der Partei des Einspruchs, für die Europäer hat letztlich Syriza den Euro gerettet. Das Misstrauen hat sich in Griechenland als das neue Vertrauen in die Währung erwiesen – so lautet die paradoxe griechische Lektion.
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