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Kolumne KlatschJetzt helfe ich mir selbst

Selbermachen ist das Schönste, von der Marmelade bis zur Motorreparatur. Nur beim Wein habe ich es aufgegeben.

Bild: privat

Philipp Maußhardt (49) ist Mitglied der Reportage-Agentur "Zeitenspiegel" und hat große Angst davor, seine Leser zu langweilen oder einzuschläfern. Darum klatscht er beim Schreiben oftmals laut in die Hände in der Hoffnung, dass sie es beim Lesen hören.

Meine Mutter erzählt, eines meiner ersten Wörter sei "belber" gewesen. Belber wollte ich aus dem Kinderstuhl klettern, belber die Stufen hinauf. Bis heute lasse ich mir nur ungern helfen, nur selbst getan ist gut getan.

Wenn zu Hause ein Wasserhahn tropfte oder eine Glühbirne zersprang erklärte sich mein Vater für "nicht zuständig". Im Fall eins holte er einen Klempner, im Fall zwei rief er den Elektriker an. "Die haben das gelernt", sagte er. Mir war es peinlich. Vielleicht legte ich mich auch deshalb schon als Jugendlicher stundenlang unter meinen Zündapp-Motorroller, zerlegte ihn und setzte ihn wieder zusammen und kann das Glück noch heute nachempfinden, wenn der Motor danach wieder funktionierte.

Literarisch hat mich während der Adoleszenzphase eine Reihe aus dem Stuttgarter Motorbuchverlag besonders geprägt: "Jetzt helfe ich mir selbst". In den schön bebilderten Bändchen wurde detailliert beschrieben, wie man bei einem VW-Käfer die Kupplung wechselt oder bei einem Fiat 500 die Bremsen entlüftet. Während meine Studienkollegen Lehrbücher über das politische System Italiens lasen, entlüftete ich Fiat-Bremsen. Wer dabei mehr über Italien lernte? Ich behaupte: ich. Auch wenn das die Prüfungsnoten nicht belegen. So viel habe ich aber dann doch noch im Seminar aufgeschnappt: Die Entfremdung vom Produkt der eigenen Tätigkeit war ein zentraler Kritikpunkt des ollen Marx am kapitalistischen System. Von daher war allein schon der Versuch, einen kaputten Staubsauger aufzuschrauben und nach dem Fehler zu suchen, ein revolutionärer Akt. Gestern fiel mir allerdings bei einer solchen revolutionären Aktion - die verstopfte Gasdüse am Gasherd auszuwechseln - eine wichtige Schraube ins Innere des Herdes. Nun warte ich gedemütigt auf den Installateur.

Nicht alles gelingt dem treuen Baumarkt-Kunden. Aber das selbst gebaute, wenn auch schiefe Bücherregal, die eigenhändig verputzte, wenn auch unebene Wand, die eigene, wenn auch zu flüssige Erdbeermarmelade spendet mehr Glück, als es Geld je kaufen könnte.

Lange, sieben Jahre lang, redete ich mir das auch beim Wein ein. Vier Studienkollegen und ich hatten einen aufgelassenen Weinberg gepachtet, um auch auf diesem Gebiet unser Do-it-yourself-Prinzip in die Tat umzusetzen, und keiner von uns hatte Ahnung davon. In einer Buchhandlung bestellten wir alle Titel, die nach Lehrbuch klangen. Eines hieß: "Die Arbeit im Weinberg". Davon versprachen wir uns hilfreiche Tipps. Das Büchlein entpuppte sich als christliche Kinderfibel mit bunten Bildchen über das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg (Matthäus 20, 1-16). Von Rebschnitt und Schädlingsbekämpfung war nicht die Rede. Dafür von gerechter Entlohnung.

Den Rotwein, den wir unterhalb der Wurmlinger Kapelle (Württemberg) erzeugten, nannten wir nach einer Widerstandsorganisation im Dritten Reich "Rote Kapelle". Er schmeckte beschissen. Aber es dauerte sieben Jahre, bis ich es zugeben konnte. In meinem Keller lagern noch immer viele Flaschen "Rote Kapelle" aus den Jahrgängen 1985 bis 1987. Obwohl ich meinen früheren Weinberggenossen zu deren Geburtstag immer eine Flasche schenke, wird er nicht weniger. Sie tun dasselbe. Immerhin verdanke ich diesem Wein mein Universitätsdiplom: Vor jeder Prüfung hatten wir die Professoren zu einem Weinbergfest eingeladen und ihnen großzügig eingeschenkt. Ihnen schmeckte der Wein und vor allem stimmte er sie gnädig.

Nur den Schnaps und den Likör, den bereite ich auch heute noch selber zu. Die mobile Destille aus handgeschmiedetem Kupfer kaufte ich vor einigen Jahren bei rumänischen Zigeunern und baue sie seither unter konspirativen Vorsichtsmaßnahmen einmal im Jahr in meiner Küche auf.

Gestern war ein großer Tag: Den seit Monaten mit Orangenschalen und Zucker angesetzten Schnaps füllte ich in kleine Fläschchen. Der Selfmade-Orangenlikör schmeckt hervorragend und wird Weihnachten an alle Bedürftigen verschenkt. Er hat auch einen Namen: "Belber".

Lust auf "Rote Kapelle"? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE

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