Kolumne Klatsch: Spätzlepresse auf Englisch
Jeder Schwabe muss in seinem Leben zumindest eine Erfindung machen und wenn es nur das Schwenglisch ist.
S pätestens seit der Erfindung der Zündkerze bei Bosch in Stuttgart gelten die Schwaben als das Volk der Erfinder. Unausgesprochen fühlt sich jeder am Neckar geborene Mensch von Geburt an aufgefordert, die Welt mit einer Neuentdeckung zu verbessern, und sei die Erfindung noch so klein. Nur so lässt sich erklären, warum Günther Oettinger auf seine alten Tage noch den dringenden Wunsch verspürte, der Welt eine neue Sprache zu schenken. Sein "Schwenglisch" wird derzeit von Sprachforschern untersucht und kommt wohl demnächst als Lexikon heraus. Duju like Spätzleteig? Ist Lachen nicht sowieso die schönste Energie, und was ließe sich besser recyceln als ein alter Witz? Richtig, und darum ist Oettinger auch völlig zu Recht EU-Kommissar für Energiefragen.
Wer jetzt immer noch nicht aufhört, über unseren früheren Minischterpräsidenten zu lachen, der sei daran erinnert, dass die Kunscht, Englisch zu sprechen und zu verstehen, nicht nur bei süddeutschen CDU-Politikern im Argen liegt. Kürzlich fiel mir das Programm des "World Business Forum" in Mailand im Oktober dieses Jahres in die Hand. Al Gore wird dort sprechen neben anderen großen Weltenlenkern. Teilnehmerkosten für die zwei Tage: schlappe 2.700 Euro pro Person. Gesponsert wird das World Business Forum unter anderem von Mercedes-Benz (Stuttgart) und Bosch (Stuttgart). Und über was wird Al Gore auf dem World Business Forum reden? Das Programm, auf teurem Glanzpapier gedruckt, kündigt an: Al Gore spricht über "Halbarkeit und ein neues Abkommen globale".
Wäre es nicht so teuer, ich würde hinfahren. Allein, weil ich mir unter "Halbarkeit" so gar nichts vorstellen kann. Vielleicht ist es ja nur ein Druckfehler, und Al Gore will über Haltbarkeit reden, über das Verfallsdatum von Erdbeerjoghurt oder Spätzleteig. Aber auch das scheint mir widersinnig. Warum sollte ein ehemaliger US-Vizepräsident auf dem World Business Forum in Mailand über deutsches Lebensmittelrecht reden? Wahrscheinlicher scheint mir, dass jemand das englische Wort sustainability, das so viel bedeutet wie Nachhaltigkeit, falsch übersetzt hat und die schwäbischen Sponsoren das bei der Durchsicht des Programms auch nicht bemerkten. Ja, nicht bemerken konnten. Weil sie, siehe oben, in Stuttgart eben nur Schwenglisch sprechen.
Philipp Maußhardt (49) ist Mitglied der Reportage-Agentur "Zeitenspiegel" und hat große Angst davor, seine Leser zu langweilen oder einzuschläfern. Darum klatscht er beim Schreiben oftmals laut in die Hände in der Hoffnung, dass sie es beim Lesen hören. Foto: privat
Apropos Spätzleteig: Ein Parteifreund Oettingers, der ehemalige Stuttgarter Regierungspräsident Manfred Bulling, hat seinen schwäbischen Erfindungsauftrag pflichtgemäß noch im Amt erfüllt und seinerzeit das Patent für eine Spätzlepresse erworben, deren unterschiedlich geformte Löcher die Nationalspeise aussehen lassen wie von Hand geschabt. Die "Bulling-Presse" gehört heute zu jedem anständigen Haushalt in Württemberg.
Das wird sich allerdings bald ändern. Denn im Moment wird gerade ein neues Patent zur Herstellung von Spätzle angemeldet. Die simple Plastikflasche ist mit Düsen ausgestattet, die den Teig auf Druck ins kochende Wasser spritzen. Die von einer 47-jährigen Schwäbin aus Tübingen erfundene Neuerung hat auch schon einen schwenglischen Namen: "Spätzle-Shaker". Günther Oettinger wird den Prototyp hoffentlich in Brüssel der Welt vorführen. "Dir Gäschts, let's förscht shake händs and sen shake Spätzle."
Es ist zwei Jahre her, da forderte die Mehrheit der CDU-Delegierten auf ihrem Bundesparteitag in Stuttgart die Festlegung auf die deutsche Sprache im Grundgesetz. Die Forderung wurde danach nie wieder erhoben. Es gab wohl zu viele Oettingers in der Partei.
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