Kolumne Kapitalozän: Arschabwischen mit Rasenduft
Der richtige Umgang mit dem Fußball will gelernt sein. Tipps: Fahren Sie Rad. Zerstören Sie die Finanzmärkte. Oder kaufen Sie eine Badeente.
E in Kumpel von mir fuhr während des WM-Halbfinales 2006 zwischen Deutschland und Italien mit dem Fahrrad durch Berlin. Er ist ein sehr großer Fan des Rads und hat ein aus handverlesenen Einzelteilen selbst zusammengebautes Mountainbike. Aus den Materialien fertigt die Nasa sonst ihre Marsrover.
Alle Straßen waren damals komplett leer. Mein Kumpel heizte euphorisch die Karl-Marx-Allee hinab, sein Haar wallte im Fahrtwind, er schanzte über den Strausberger Platz, bis zur Otto-Braun-Straße legte er einen freihändigen Wheelie hin und leerte dabei ein, zwei gut gekühlte Sterni. „Es waren die glücklichsten Momente meines Lebens“, berichtete er mir später.
(Lieber J., falls du das liest: Ich hoffe, ich gebe alles korrekt wieder.)
Bis heute ist J. der einzige Mensch, den ich kenne, der einen souveränen Umgang mit Fußball gefunden hat. Er fährt halt Fahrrad und das – einfach Wind um die Ohren – ist schön. Entspannend. So entspannend, ich glaube, Fahrradfahren wäre auch der einzige Weg, die nächste Finanzkrise zu vermeiden. Don’t panic.
Fußball und Finanzmärkte haben sehr viel gemeinsam. Beides sind massenhysterische Veranstaltungen, die regelmäßig ganze Länder voller Verlierer ins Elend stürzen. Beide sind trivial – Ball ins Tor, Kurs hoch, Kurs runter – trotzdem irren die Experten ständig, haben aber nach dem Spiel vorher alles schon gewusst. Beide verwandeln Menschen in eine panische Herde (Schland-Rufe, Börsenblasen). Fußball und Finanzmärkte sind der Beweis, dass der Mensch ein Rind ist.
Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.
Aber so ein Tor von Götze in der 116. Minute ist halt … JAAAAAAAAAA!!!!! (Muh)
Ich hoffe, dass Sie jetzt nicht denken: Recht hat er, alles Idioten, diese Fußballfans. Come on, Sie gucken doch auch gern! Versuchen Sie mal nicht, sich moralisch-konsumkritisch vom Rest der Massen zu distinguieren. Wir sind alle Rinder. Wir kaufen Schrott. Wir grölen. Genießen Sie deshalb meine Sammlung von absolut authentischen Produktwerbungen zur Fußball-EM, ganz unpolitisch, so wie Radeln. Hier die Highlights:
- Design-Küchentücher EM-Edition- Lustiges Taschenbuch „Elf Enten müsst ihr sein“– Bauer-Joghurt mit Schokobälle-Vanille- Tutut Baby Flitzer Deutschland: Fan-Auto, 1–5 Jahre- Badeente „Sound“, wahlweise „Super Deutschland olé“ oder „Deutschland, Deutschland“- Flaschenöffner „Sound“ mit „Super Deutschland olé …!“- „Damit Sie im Urlaub nicht im Abseits stehen: Jetzt Reiseapotheke auffüllen.“ Mit Gratis-Sonnenbrille im Deutschland-Look- Dekor-Toilettenpapier, 3-lagig, EM-Edition, mit Rasenduft- Hakle Toilettenpapier 3-lagig, EM-Edition, Toooor, 3-fach sicher mit Fußballdekor
Wer wird das taz-EM-Orakel?
Moment. Klopapier? Das gilt es aufzuklären, also schreibe ich an die Pressestelle von Hakle: „Ist das sogar eine extrem subversive Kommentierung der Vermarktung des Fußballs? Quasi antikonsumistisch?“ Weil, man wischt sich ja dann den Arsch mit der EM ab.
Die Antwort: „Als sehr bekannte Toilettenpapiermarke bieten wir unseren Kunden Abwechslung, wenn es um Dekor oder Duft rund ums stille Örtchen geht“, schreibt eine Pressedame. Es gebe auch noch Hakle Kamille mit Dekor und Duftund Hakle Ambiente in Rosé mit Lotusnote. Die Fußball-EM nutze man gern, „um Verbraucher auf unsere Qualitätsprodukte aufmerksam zu machen“.
Fest steht: Falls es im Halbfinale Verlängerung gegen Italien gibt, geh ich kacken.
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