Kolumne Jung und dumm: Aufs Pferd gekommen
Immer muss man eine Meinung haben, ständig ist man in Verzug und hat nicht mal mehr Zeit, auf Toilette zu gehen. Jetzt ist die Zeit, um über Pferde zu reden.
O ft wurde in den letzten Wochen über „Meinungsfreiheit“ gestritten. Ich verstehe all die Aufregung nicht. Was kann es Schöneres geben, als einmal keine Meinung zu haben?
Das dachte ich mir und noch anderes und legte mich dann in den Park, bemerkte jedoch, dass Winter war und ich keine Schuhe anhatte. Auch war ich in Wahrheit gar nicht im Park, sondern, wie ich an dem Pferdemist merkte, der um mich herum langsam einfror, auf dem Bauernhof, den einer der vielen mit ihren Reichtümern auf den Frankfurter Wohnungsmarkt gekommenen saudischen Ölscheichs kürzlich mitten in der Innenstadt errichten ließ, zwischen zwei Shopping Malls, damit seine Kinder und Freunde die Freuden des Landlebens genießen konnten, ohne allzu weit vom Schuss weg zu müssen; und mit dem er die Stadt zugleich um eine recht illustre Art der Flächenaufwertung und Touristenbespaßung in einem bereicherte.
Das Situative lag mir schon immer. „Auf Island ist gerade ein Pferd mit einer bislang unbekannten Pferdefarbe entdeckt worden“, gab ich spontan zum Besten, was ich tags zuvor in der Iceland Review gelesen hatte, aus Gründen, die hier auf Abwege führen würden. Man lachte und ließ mich frei. Der misslichen Lage entronnen, kam ich doch nicht zur Ruhe.
Immer dringlicher lärmten die Rhythmen, die mein Leben in Bann hielten. Ständig musste irgendetwas aufgeladen, eingesteckt und wieder herausgezogen werden, damit es nicht Schaden nahm. Die Geräte gaben sich empfindlicher als der empfindlichste Mensch.
Ein Pferd namens Siebke
In „Die fabelhafte Welt der Amélie“ denkt die Hauptfigur, dass ihre im Koma liegende Nachbarin einfach allen Schlaf ihres Lebens auf einmal nehme. Doch die wahre Welt sieht anders aus. Immer ist man in Verzug, fünfundachtzig Parameter des Wohlbefindens schwanken gleichzeitig durch den Hirnorbit hin und her, man wäre schon froh, wenigstens einmal vernünftig aufs Klo gehen zu können, sodass man nicht danach sofort schon wieder muss. Ein aufregender Gedanke: Nie ist die Blase ganz leer, es läuft immer was nach.
Weil inzwischen alle Algorithmen meines Computers auf das Thema „Pferd“ eingeschossen waren, gründete sich dazu auch gleich eine Parlamentsgruppe im Bundestag unter dem Vorsitz des FDP-Abgeordneten Pascal Kober. Das, also das Pferd, ist schließlich eine gute Kapitalanlage, ebenso wie eine Eigentumswohnung oder, auf lange Sicht, ein ökologischer Fidget-Spinner, der aus eingeschmolzenen Eiswürfelformen hergestellt wurde. Vorgestern nahm die Gruppe ihre Arbeit auf, zu welchem Anlass man erfuhr, dass auf Andrea Nahles’ Hof in der Vulkaneifel ein Friesenwallach namens Siebke steht, was sich anhört wie der Name eines Ministerialreferenten.
Angenommen, Sie müssten die ganze Sprache auf ein einziges Wort reduzieren, welches würden Sie wählen: Pferd oder Siebke? Ich habe dazu noch keine Meinung.
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